FDP und ver.di auf einer Linie
Stimmen zu den Ermittlungen gegen Journalisten in der BND-Affäre
Im Zuge des Bekanntwerdens der Ermittlungen gegen Journalisten, die über den BND-Untersuchungsausschuss berichteten, werden die Stimmen für einen stärkeren Schutz vor Einschüchterung der Presse mittels Straf- und Zivilverfahren lauter. Gestern wurde bekannt, dass fast alle Ermittlungen schnell eingestellt werden sollen - lediglich ein Berliner Staatsanwalt will weiter ermitteln.
Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger äußerte den Eindruck, dass Journalisten in dem Fall als "eine Art Faustpfand" missbraucht werden:
"Weil man an die echte undichte Stelle im Ausschuss nicht rankommt, der man womöglich wirklich eine Verletzung des Dienstgeheimnisses vorwerfen könnte, versucht man es eben über die Journalisten [...]. Auf diese Weise hindert man die Medien an der Ausübung ihrer wesentlichen Funktion, staatliches Handeln zu kontrollieren und Missstände aufzudecken. Wer nicht weiß, was er überhaupt noch veröffentlichen darf, veröffentlicht doch bald gar nichts mehr."
In der "unverhältnismäßigen Ausweitung des Geheimnisschutzes" sieht sie "ein weiteres Beispiel im Bestreben des Staates [...], in der schwierigen Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit im Zweifelfall eben der Sicherheit den Vorrang einzuräumen."
Obwohl die Ermittlungen ihrem Eindruck nach nicht zulässig sind, reicht ihr zufolge das Cicero-Urteil alleine zur Stärkung der Pressefreiheit nicht aus. Als Beispiel nennt sie das Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 3 StPO, das dann entfällt, wenn sich ein zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger der Teilnahme an einer Straftat verdächtig gemacht hat - wozu schon ein einfacher Tatverdacht ausreicht:
"In den Privaträumen von freien Journalisten kann die Beschlagnahme durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungsbehörden angeordnet werden, ohne dass ein richterlicher Beschluss vorliegt."
Ebenfalls eine zu schließende Lücke ist nach Ansicht der ehemaligen Justizministerin, dass § 100h Abs. 2 Satz 1 StPO zwar Geistliche, Verteidiger und Abgeordnete vor der Telefonüberwachung schützt, aber keine Journalisten. Nach Ansicht der FDP-Abgeordneten wollte der Gesetzgeber mit § 353b StGB ursprünglich "die Äußerungsfreiheit der Presse schützen und die Strafbarkeit nur auf solche Personen beschränken, die zur Geheimhaltung verpflichtet sind."
Dem Problem, dass der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur zufolge eine Tatbeteiligung an der Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353 b StGB auch noch nach Vollendung der Haupttat möglich ist (und damit nach der Offenbarung des Geheimnisses durch den Amtsträger an den Journalisten), weshalb der Journalist mit der Veröffentlichung des ihm zugeleiteten Materials zumindest theoretisch der Beihilfe zur Haupttat bezichtig werden kann, will sie mit einer Änderung begegnen, die ihre Fraktion Anfang 2006 im Rahmen eines Gesetzentwurfs zur Stärkung der Pressefreiheit vorgelegt hat. Nach diesem Entwurf sollen Beihilfehandlungen der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO genannten Personen dann von der Strafbarkeit ausgenommen sein, "wenn sie sich auf die Veröffentlichung des Geheimnisses beschränken oder mit dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehen".
Ähnlich sieht dies der FDP-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss, Max Stadler. Obwohl die Cicero-Entscheidung seiner Ansicht nach eine Stärkung der Pressefreiheit brachte, ist mit ihr trotzdem "noch nicht abschließend geklärt worden, ob sich Journalisten wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen oder nicht". Auch wenn seiner Auffassung nach eine solche Strafbarkeit nicht vorliegt, würden die laufenden Ermittlungsverfahren doch zeigen, dass es Staatsanwaltschaften gibt, die eine andere Rechtsauffassung haben. Deshalb ist es seiner Ansicht nach"dringend erforderlich [...], dass jetzt das Parlament tätig wird" und dass CDU/CSU und SPD "endlich" dem Gesetzentwurf seiner Partei zustimmen.
Grüne, Ver.di und die SPD
Auch Julia Seeliger von den Grünen sieht die Politik in der Pflicht, Journalisten vor "staatlicher Willkür" zu schützen und einen "wirksamen Rechtsschutz für Opfer rechtswidriger Maßnahmen" zu gewährleisten, da Behörden sonst "nach eigenem Gusto statt nach geregelter Rechtsstaatlichkeit" handeln.
Sogar auf Gewerkschaftsseite ist man in diesem Fall von den Forderungen der FDP nicht sehr weit entfernt: Ulrike Maercks-Franzen, die Bundesgeschäftsführerin der Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di fordert, "Journalisten generell aus der Vorschrift des Paragrafen 353b des Strafgesetzbuches, der Beihilfe zum Geheimnisverrat unter Strafe stellt, auszunehmen."
Die amtierende Justizministerin Brigitte Zypries gab keine Stellungnahme ab - dafür aber ihr Parteigenosse Jörg Tauss, der ebenso wie Leutheusser-Schnarrenberger den Eindruck hat, dass mit dem Verfahren Journalisten eingeschüchtert werden sollten. "Nach den Vorgängen der letzten Zeit" hält Taus "einen besseren Berufsschutz auch im Rahmen der StPO für unumgänglich". Die FDP hat nach Ansicht des SPD-Abgeordneten "einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Grundsatz durchaus in die richtige Richtung geht." Ein Problem darin ist seiner Ansicht nach aber die Abgrenzung der "berufsmäßigen Journalisten" von "selbsternannten Schreibern". Hierzu, so Tauss, gebe es in der SPD- Fraktion "einige noch nicht abgeschlossene Überlegungen".
Seiner Wahrnehmung nach sinkt in der Bevölkerung allerdings die "Bereitschaft, Bürgerrechte als hohen Stellenwert auch bei der Bekämpfung von Kriminalität anzuerkennen." Hierzu trägt ihm zufolge auch ein Journalismus bei, "der so tut, als ob wir am Vorabend der Übernahme Deutschlands durch Kriminelle stehen."
Die Unabhängigkeit der Justiz ist nach Ansicht von Tauss ein hohes Gut, mit dem diese "verantwortungsbewusst" umgehen müsse, was ihm "nicht mehr in jedem Falle gegeben" zu sein scheint. "Sanktionen" für Richter und Staatsanwälte, die sich zu Erfüllungsgehilfen von Einschüchterungsversuchen machen lassen, hält er jedoch für problematisch und plädiert für "verbesserte Mechanismen einer verantwortungsbewussten Selbstkontrolle bis hin zu wirksameren Dienstaufsichtsverfahren". Hierzu, so Tauss, müssten Rechtspolitiker "verstärkt Überlegungen anstellen und bessere Lösungen anbieten."
Unabhängige Stelle zur Verfolgung von Einschüchterungsmaßnahmen
Der SPD-Jungpolitiker Marcel Bartels hält die Forderung der FDP dagegen für "zynisch": Eine gesetzliche Klarstellung hilft seiner Ansicht nach nichts, wenn Politik und Justiz sich nicht an die Gesetze halten." Er schlägt stattdessen vor, "unverzüglich Ermittlungsmaßnahmen wegen der Verfolgung Unschuldiger im Sinne von §344 StGB einzuleiten [...], denn sicherlich ist den Staatsanwaltschaften das Cicero-Urteil bestens bekannt."
Dem Problem, dass immer häufiger nicht die angedrohte Strafe, sondern die Ermittlungen - die Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen und entsprechende wirtschaftlichen Folgen mit sich bringen - die eigentliche Sanktion darstellen, will Bartels dadurch begegnen, dass für die Verfolgung Unschuldiger eine "unabhängige Stelle" eingerichtet wird, die sich auch um "zivilrechtliches Mobbing" und "Law-Hunting" kümmern soll. Erfolgen solche Taten "zur Unterdrückung im Großen und Ganzen rechtmäßiger Berichte zur Information der Öffentlichkeit" sollte dies seiner Ansicht nach "als besonders schwerwiegend angesehen" und "die Ermittlungsschwelle dafür niedrig angesetzt" werden. Das derzeitige Instrumentarium reicht Bartels zufolge nicht aus, um so etwas zu verhindern:
"Wenn ein Bundestagsabgeordneter für die Abgabe einer Reihe falscher eidesstattlicher Versicherungen zur erfolgreichen Unterdrückung wahrer Presseberichte lediglich zu einer Geldstrafe verurteilt wird, wirkt das nicht abschreckend, sondern einladend auf Täter."
Wirksamen Sanktionen für Staatsanwälte und Richter, die sich für Einschüchterungsmaßnahmen hergeben, steht Bartels ebenfalls nicht ablehnend gegenüber:
"Justiz in Deutschland besteht aus weithin unbekannten Personen, ist von willkürlich anwendbaren großen Ermessensspielräumen geprägt und ihre Ergebnisse sind meiner Meinung nach beängstigend oft grotesk ungerecht [...]. Vermutlich mangelt es gerade wegen der Angst vor der Justiz an einer wirksamen Kontrolle durch kritische Journalisten und Medien. Durch die kaum vorhandene kritische Berichterstattung über Vorgänge in der Justiz ist der Öffentlichkeit das Problem allerdings - bis sie selbst betroffen ist, wie nun die Chefredakteure namhafter deutscher Medien - kaum bewusst".