Facebook-Demokratie
Wie sich die Demokratie im Zeitalter der social media neu erfinden muss
Big Data sind das Thema der Stunde. Wenn man manchen Schätzungen glauben darf, gibt es inzwischen mehr digitale Informationen als Sand am Meer. Das ist ein gewaltiger Schatz - und ein großes Problem.
Kaum jemand zweifelt: Big Data werden Wirtschaft und Gesellschaft tiefgreifend verändern. Die Folgen reichen aber noch weiter. Auch das Denken und die sozialen Fähigkeiten der Menschen werden beeinflusst. Eine Frage ist bisher völlig offen: Was bedeutet das für die Demokratie?
Filter und die Folgen
Wie lassen sich aus den riesigen Datenmengen, die im Internet anfallen, neue Erkenntnisse gewinnen und innovative Geschäftsmodelle kreieren? Der Königsweg, der im Augenblick beschritten wird, heißt collaborative filtering und personal internet.
Der Grundgedanke ist einfach: Aus dem digitalen Datenmeer werden Informationen nach speziellen Kriterien herausgefiltert und aufbereitet. Die Informationen, die ein User im Internet findet, sind nach seinen ganz individuellen Bedürfnissen und Vorlieben gefiltert. Ein Beispiel: Jeder User sieht dadurch nur die Websites, die ihn wirklich interessieren (sollen). Und die Websites werden flexibel mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt, je nachdem, welcher User die Website besucht.
Intelligentes Filtern - diese Strategie ist ein wirksames Instrument, um sich im Datenstrom des Internet zurechtzufinden. Sie hat aber eine problematische Schattenseite: Jeder User wird nur noch mit Informationen versorgt, die zu seinen bisherigen Vorlieben, Vorstellungen und Verhaltensweisen passen. Informationen, die nicht durch den Filter gelangen, werden von den Menschen nicht mehr wahrgenommen. Das verengt den Blick auf die Welt; die Wahrnehmung wird eingeschränkt und verzerrt.
Früher war das Internet das Fenster zu einer großen weiten Welt, in der es viel Neues zu entdecken gab. Das personalisierte und gefilterte Internet dagegen ist eher ein Spiegel, in dem wir nur uns selbst und unsere Vorlieben und Interessen sehen. Aber ist das ein Problem?
Das Ende der Kreativität?
Kreatives Denken und innovative Problemlösungen sind auf Zufälle und Irritationen angewiesen. Irritationen und Zufälle geben dem Denken eine neue, bisher nicht gekannte Richtung. Wenn das Denken irritiert wird, verlässt es seine eingefahrenen Bahnen und findet neue Wege. Erst die Konfrontation mit und die Irritation durch fremde Ideen führen dazu, dass neue Ideen entwickelt werden.
Beides - Zufälle und Irritationen - gibt es im personalisierten Internet nicht mehr. Für die Zukunft des menschlichen Denkens lässt das nichts Gutes ahnen: Das Denken wird enger und versteinert. Innovationen werden seltener. Das ist auch ein Problem für die Demokratie.
Keine Kompromisse mehr?
Menschen ändern ihre Meinung grundsätzlich nur ungern und zögernd. Eigene Ansichten müssen permanent mit fremden Meinungen, Ideen und Konzepten konfrontiert werden. Nur dann werden sie in Frage gestellt - und vielleicht auch geändert. Die extreme Personalisierung des Internet verschlechtert die Rahmenbedingungen für Meinungs- und Einstellungsänderungen auf die Dauer dramatisch. Dann wird der demokratische Prozeß schwierig, wenn nicht unmöglich. Denn er lebt ja gerade von der Diskussion unterschiedlicher Meinungen und Standpunkte.
Im Idealfall soll aus kontroversen, auch hitzigen und emotionalen Debatten ein Kompromiss hervorgehen. Dann hat der demokratische Prozess funktioniert. Ein Kompromiss ist aber undenkbar, ohne dass Meinungen auch mal revidiert werden, jedenfalls teilweise. Genau das wird aber im personalisierten und gefilterten Internet schwerer, wenn nicht auf Dauer unmöglich. Kurz: Demokratie lebt vom Kompromiss. In der extrem personalisierten Welt des Internet wird es aber schwieriger, Kompromisse zu finden.
Schöne neue Facebook-Welt
Wer sich in sozialen Medien bewegt, ist nur noch unter seinesgleichen. Man kommuniziert fast ausschließlich mit Freunden und Menschen, die gleiche Interessen und ähnliche Erfahrungen und Biografien haben. Soziale Medien spiegeln nicht die Welt ihrer gesamten Breite wieder. Sie sind ein hermetisch abgeschlossener Teil der Welt, der nach strengen Homogenitätskriterien gebildet wird: Wer anders ist, gehört nicht zur Community.
Die Facebook-Welt ist eine nette, aseptische Welt, in der sich alle mögen. Alle haben dieselben Interessen, Vorlieben und Abneigungen. Niemand muss Kompromisse machen. Für demokratisches Denken und soziale Demokratiefähigkeiten ist das fatal. Denn wir werden - sozialisiert durch die Social Media - immer ich-bezogener, weniger tolerant und immer unfähiger zum Kompromiss. Das wird auf die Dauer dazu führen, dass Konflikte härter werden und ausgewogene Kompromisslösungen schwerer und seltener gefunden werden können. Dieser Herausforderung muss sich die Demokratie stellen.
Wie wird sie aussehen, die neue Demokratie 2.0? Das kann niemand sagen. Sie wird sich entwickeln in einem evolutionären Prozess, in dem sich das enge Denken und die zunehmende Ich-Bezogenheit der social media mit den Anforderungen einer möglichst breiten Einbeziehung unterschiedlicher Interessen ausgeprägter Individuen austariert. Wir dürfen gespannt sein.
Volker Boehme-Neßler ist Jurist und Politikwissenschaftler. Er lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Wechselwirkungen zwischen Internet und Gesellschaft/Politik.