Fake News aus dem Universum?
Die Gravitationswellen-Kollaboration LIGO/VIRGO scheitert gerade an ihren eigenen Vorhersagen. Dies wirft Fragen auf
Selten hatte die Physik so ein Medienecho wie am 11. Februar 2016. In einer Pressekonferenz der National Science Foundation wurde von der sensationellen Entdeckung von Gravitationswellen durch ein Ereignis am 14.9.2015 berichtet, genau hundert Jahre nach Vollendung der allgemeinen Relativitätstheorie und über fünfzig Jahre, nachdem die Suche nach den geheimnisvollen Kräuselungen der Raumzeit begonnen hatte.
Im Sommer 2017 wartete die Kollaboration der Laboratorien LIGO/VIRGO mit einer weiteren Sensation auf: ein von ihnen entdecktes Gravitationswellensignal verschmelzender Neutronensterne sei auch von anderen Teleskopen bestätigt worden. Mit dieser unabhängigen Beobachtung schienen auch die allerletzten Zweifel beseitigt; schließlich wurden 2017 Rainer Weiss, Kip Thorne und Barry Barish mit dem Nobelpreis geehrt.
Mit Anlauf ins goldene Zeitalter
Im Frühjahr 2018 wurde schließlich das Laboratorium nochmals für ein Jahr abgeschaltet, um die Instrumente noch empfindlicher und zuverlässiger zu machen. Ab Anfang April 2019 sollte endgültig das goldene Zeitalter der Gravitationswellenastronomie beginnen, indem die empfindlichen Laserinterferonmeter zusammen mit den konventionellen Teleskopen für elektromagnetische Signale die Weiten des Universums analysieren.
Allein von verschmelzenden Neutronensternen erwartete man für die nun laufenden Messperiode O3 bis 2020 Dutzende von Ereignissen. Die Detektion wurde automatisiert, so dass die Koordinaten jedes Gravitationswellensignals in einem sogenannten Alert sofort an andere Teleskope weitergegeben werden, die dann an dieser Position suchen.
Seit zwei Monaten ist nun dieses neue "Fenster zum Universum" im Betrieb und findet - nichts. Zwar gab es nicht wenige Alerts von LIGO/VIRGO, aber kein einziges Signal, welches die großen terrestrischen oder die Weltraumteleskope hätten bestätigen können. Die Astronomen sind ob der verschwendeten Beobachtungszeitzeit bereits leicht genervt und stellen Fragen. Was ist los?
Dieses für viele überraschende Resultat sollte Anlass sein, die Veröffentlichungen zur Gravitationswellenbeobachtung der letzten drei Jahre näher zu betrachten. Einer, der dies tut, ist Andrew D. Jackson vom Niels-Bohr-Institut in Kopenhagen mit seiner Arbeitsgruppe, die bereits verschiedenste astronomische Datensätze mit großer Sachkunde analysiert hat.
Unabhängige Auswertung findet Ungereimtheiten
Die Gruppe begann, mit den frei verfügbaren Daten vom LIGO-Server die nicht allzu aufwändige Datenanalyse zu wiederholen. Zunächst fand sie keine großen Unterschiede, jedoch eine kleine Merkwürdigkeit.
Die durch zufällige Erschütterungen verursachten statistischen Störsignale der 3000 km voneinander entfernten LIGO-Laboratorien wiesen unerklärliche Korrelationen auf. Dabei sollte einzig und allein die Gravitationswelle selbst in beiden Laboratorien sichtbar sein - mit entsprechender Verzögerung durch die Lichtlaufzeit. Nachdem LIGO die Ergebnisse der dänischen Arbeitsgruppe eine Zeit lang ignoriert hatte, reiste eine Gruppe von acht Wissenschaftlern im August 2017 nach Kopenhagen, um die Datenauswertung mit ihren Kritikern zu diskutieren.
Die Gravitationswellenforscher mussten einige Fehler eingestehen, unter anderem, dass die zentrale Abbildung in der Zeitschrift Physical Review Letters nicht mit den Originaldaten erstellt, sondern für "illustrative Zwecke" aufbereitet wurde - peinlich für einen Artikel, der hunderttausendfach heruntergeladen wurde und Grundlage des Nobelpreises 2017 war. Bei dem Treffen in Kopenhagen entstand das untenstehende Foto der Wandtafel. Einer der führenden LIGO-Wissenschaftler, Duncan Brown, versprach, sich bei seinen Kollegen für die Korrektur einzusetzen - was bis heute nicht geschehen ist.
Browne, der auf einem weiteren Foto zusammen mit Andrew D. Jackson und sechs anderen Forschern vor der Tafel zu sehen ist, hat inzwischen die Kollaboration verlassen. Die "pädagogische" Aufbereitung der Abbildung und andere Nachlässigkeiten führten im November 2018 im renommierten New Scientist zu der Schlagzeile "Große Zweifel an LIGOs Entdeckung von Gravitationswellen". Für die bemängelte Beschriftung der Abbildung erklärte sich bei LIGO erst mal niemand zuständig. Inzwischen hat die Gruppe um Jackson sogar nachgewiesen, dass ein sogenanntes Template, ein theoretisch berechnetes Signal, das zur Analyse verwendet wird, nachträglich ausgetauscht wurde.
Mit sauberer Statistik noch (fast) kein Resultat
Noch mehr Sprengkraft als die bis heute unerklärliche Korrelation im Rauschen der Detektoren hat jedoch ein weiteres Resultat der Gruppe aus Kopenhagen. Die LIGO/VIRGO Kollaboration untersucht die Daten, indem sie sie mit einer riesigen Datenbank von theoretisch zu erwartenden Signalen, den Templates, abgleicht. Das erleichtert zwar die Interpretation der Signale, wenn man sich zum Beispiel für die Masse und Entfernung von Schwarzen Löchern interessiert, ist aber methodisch höchst fragwürdig, weil es die Existenz von Gravitationswellen schon voraussetzt.
Andrew D. Jackson und seine Gruppe schlugen daher eine Methode vor, die allein auf Statistik beruht und in der die Korrelationen der Signale der beiden Laboratorien berechnet werden. Dies ist in der Tat der einzig saubere Zugang, wenn man eine falsch-positive Interpretation von Zufallsrauschen vermeiden will.
Äußerst bemerkenswert ist dabei, dass mit dieser unvoreingenommenen Methode bisher noch keines der inzwischen über zwanzig detektierten Gravitationswellensignale sicher nachgewiesen werden konnte - bis auf jenes erste Signal GW150914 im September 2015. Nun könnte man argumentieren, durch dieses erste Signal sei der Nachweis erbracht und die Gefahr gebannt, dass die folgenden Signale durch willkürliches Filtern von Zufallsrauschen entstanden sind.
Geheimniskrämerei um September-Ereignis
Das Problem ist jedoch, dass die Forscher von der Echtheit von GW150914 keineswegs so überzeugt waren, wie dies kommuniziert wurde. Anfangs erschien vielen die Welle als zu perfekt, als dass sie daran glauben mochten. Denn in früheren Jahren waren künstlich erzeugte Scheinsignale, sogenannte blind injections, eingesetzt worden, um zu testen, ob die Kollaboration ein Signal zu erkennen in der Lage wäre.
Die Software dazu wurde im September 2015 auch fertiggestellt, wie das Labor-Logbuch1 dokumentiert. Theoretisch war zu diesem Zeitpunkt sowohl eine blind injection, also die Einspeisung eines künstlichen generierten Signals, denkbar als auch eine Manipulation durch Unbefugte. Denn das Labor befand sich noch in einem Testmodus ohne jegliche Sicherheitsvorkehrungen.2
Um ein künstlich generiertes Signal auszuschließen, bat Duncan Brown in einer Rundmail am 18. September 2015 die - bisher nicht namentlich genannten - drei Mitglieder des blind injection teams Jeffrey Kissel, Christian Ott und Michal Bejger, sich dazu zu äußern. Alle verneinten eine Signaleinspeisung, ebenso wie bei einem weiteren Gespräch mit LIGO-Direktor David Reitze, der auch im US-Kongress dazu befragt wurde.
Nicht im Kongress erwähnt wurde ein bis heute unveröffentlichter Bericht vom Oktober 2015, der einige Möglichkeiten diskutiert, wie das Erzeugen eines künstlichen Signals durch Manipulation möglich gewesen wäre - allerdings nur mit erheblichem Insiderwissen (s. Auszüge). Neben dem blind injection team verfügten darüber sicher nur wenige Personen innerhalb oder außerhalb der Kollaboration.
Natürlich ist dies noch kein Hinweis auf eine Manipulation, jedoch wäre es angesichts der durchaus vorhandenen internen Zweifel sicher angemessen, dass LIGO3 seine eigenen Untersuchungen dazu transparenter macht - die Geheimniskrämerei kritisiert sogar der Soziologe Harry Collins, der die Entdeckungsgeschichte in seinem Buch Gravity’s Kiss durchaus wohlwollend beschreibt.
Der langjährige LIGO-Direktor und Nobelpreisträger Barry Barish äußerte jedenfalls in einem Interview, er habe aus diesen Gründen im Dezember 2015 einen "Seufzer der Erleichterung" getan, als ein zweites Signal in den Daten gefunden wurde.
Wie man auch immer diese Vorgänge bewertet, es bleibt die Tatsache, dass nach weiteren drei Betriebsjahren und inzwischen dreifacher Sensitivität der Detektoren GW150914 immer noch das stärkste Signal von allen ist. Ein Zufall, der jeden Tag merkwürdiger wird.
Nachhersage statt Vorhersage
Für viele beruht daher die stärkste Evidenz für Gravitationswellen auf dem Signal GW170817 vom August 2017, das von LIGO entdeckt worden war und dann von den Gammastrahlen/Gammablitz-Teleskopen Fermi (NASA) und Integral (ESA, aber mit sehr schwachem Signal) bestätigt wurden - so jedenfalls wurde es auf der Pressekonferenz dargestellt.
In Wahrheit war es jedoch umgekehrt: Fermi hatte zuerst die Benachrichtigungsmail gesendet und LIGO benötigte ganze vier Stunden, um eine "Vorhersage" der Himmelsposition zu machen - welche mit den bereits bekannten Koordinaten übereinstimmte. Der falsche Eindruck, LIGO seien die ersten gewesen, entstand lediglich dadurch, dass nach einer expliziten Bitte durch LIGO die Betreffzeile der Alert-Mail modifiziert worden war (s. Bild).
Neben diesen Ungereimtheiten widersprechen auch namhafte Experten der Interpretation, das Signal rühre von verschmelzenden Neutronensternen her. Dies sei, so ein Autorenkolletiv aus neun renommierten Instituten, nur durch "extreme Modelle" der entsprechenden Galaxien möglich, während eine italienische Arbeitsgruppe das Gammastrahlensignal (bzw. das Nachglühen) einer Fusion von weißen Zwergen zuordnet. Die können aber keine Gravitationswellen aussenden.
Es bleiben also erhebliche Zweifel, ob GW170817 wirklich von anderen Teleskopen bestätigt wurde bzw. ob es sich überhaupt um eine Gravitationswelle handelte.
Gravitationswellen: bitte melden!
Mit nun drei Laboratorien (Hanford, Livingstone, Pisa) und nie dagewesener Messgenauigkeit sollte es nun eigentlich ein Leichtes sein, Ereignisse wie GW170817 zu reproduzieren. Man erwartete früher bis zu fünfzig solcher Signale in der folgenden Messperiode, dieser Wert wurde dann später auf zehn korrigiert.
Seit dem Beginn der Messungen Anfang April gibt es jedoch kein einziges belastbares Ereignis, vielmehr wurden unverständlich viele Fehlalarme produziert. Besonders peinlich war dabei jener vom 10. Mai 2019, bei dem die Vorhersagesicherheit von 98 Prozent auf 85 Prozent und schließlich 42 Prozent angepasst wurde, nachdem die alarmierten Teleskope nichts gesehen hatten. Weitere Fehlschläge finden sich hier und hier.
Dabei ist man offenbar schon vorsichtiger geworden, die Kollegen der Astrophysik unnötig aufzuscheuchen. Die Bezeichnungen der Signale tragen neuerdings nach dem Datum am Ende ein bis zwei Buchstaben, die angeben, wie viele Ereignisse am jeweiligen Tag eine Übereinstimmung mit den theoretischen Gravitationswellen-Templates zeigten. Bei S190524q bedeutet dies beispielsweise, dass 16 andere Ereignisse a-p verworfen wurden - aus unbekannten und intransparenten Gründen.
Augen zu und durch?
In der Community herrscht nach wie vor Optimismus: Es sei "nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Neutronenstern- oder NSBH-Verschmelzung entdeckt wird, für die dann auch eine leuchtende Quelle gefunden werden kann".
Natürlich ist es möglich, das LIGO/VIRGO in den kommenden zehn Monaten Signale findet, denen ein elektromagnetischer Gegenpart von anderen Teleskopen eindeutig zugeordnet werden kann und damit unbestreitbare Evidenz für Gravitationswellen liefert. Es muss aber auch klar gesagt werden, dass ein Scheitern dieser Vorhersage in der Messperiode O3 nicht einfach mit einer erneuten Anpassung der astrophysikalischen Modelle erfolgen kann, indem man sich herausredet, dass die überprüfbaren Ereignisse im Universum offenbar doch viel seltener vorkommen, als man sich gedacht habe.
Vielmehr sollten jetzt, vor dem Ende der Beobachtungen, Konsequenzen definiert werden. Wenn die Laboratorien weiterhin nichts sehen, was andere überprüfen können, deutet dies auf ein nur scheinbar unbefriedigendes, aber vielleicht sehr wichtiges Resultat der technischen Wunderwerke hin: dass es vielleicht doch gar keine Gravitationswellen gibt.
In den letzten sechzig Jahren musste die Gravitationswellenphysik schon sehr oft eingestehen, dass die Signale schwächer sein müssen als vorhergesagt. So wurde trotz intensiver Suche keine Abstrahlung von Pulsaren gefunden, und noch 2009 äußerte zum Beispiel der VIRGO-Direktor Giazotto, dass man keine Entdeckung von Gravitationswellen ohne Bestätigung durch koinzidente elektromagnetische Signale behaupten sollte - woran sich 2015 niemand mehr erinnerte.
Generell gibt es in der Wissenschaft eine Verzerrung der Meinungsbildung zu Gunsten von "Entdeckungen", weil entsprechende Ereignisse punktuelle Aufmerksamkeit erzeugen, die oft eine große Rolle beim Formen der vorherrschenden Überzeugung spielt. Nachfolgende Untersuchungen, die im Regelfall fundierter sind, erzielen weit weniger Beachtung, ebenso wie ein langsames Scheitern, das nicht einem konkreten Zeitpunkt zuzuordnen ist. Der Wissenschaftshistoriker Gary Taubes bemerkte einmal:
Niemand hat je einen Nobelpreis für den Nachweis gewonnen, dass etwas nicht existiert, oder weil er gezeigt hat, dass etwas anderes falsch war.
Gary Taubes
Die Gravitationswellenphysik steuert auf eine entscheidende Phase zu, in der es wichtig ist, die Beobachtungen unvoreingenommen zu interpretieren - eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist, die von der Kopenhagener Gruppe vorgeschlagene statistische Methode der Detektion zu implementieren. Denn der bisher praktizierte Abgleich mit Templates, den Vorhersagen der theoretischen Modelle, bedeutet, die Realität durch eine Brille der Wunschvorstellung zu betrachten.
Dr. Alexander Unzicker ist Physiker, Jurist und Sachbuchautor. Sein Buch "Vom Urknall zum Durchknall" wurde 2010 von "Bild der Wissenschaft" als Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet. Sein Buch "Auf dem Holzweg durchs Universum - warum CERN & Co. der Physik nicht weiterhelfen" erschien 2019 in aktualisierter Auflage.
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