Fake News raus? Schlechte Neuigkeiten für die Demokratie
Mediensplitter (36): Bertelsmann-Studie ermittelt große Mehrheit in der EU für stärkere Gegenmaßnahmen zu Falschinformationen. Der Wunsch ist nachvollziehbar. Vor der Umsetzung kann einem bange werden.
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich viele Befragte in der EU mehr Maßnahmen von Medienkonzernen und Staat gegen sogenannte Fake News.
Wie überraschend! Man hätte ja denken können, die meisten forderten einfach einen Ausbau dieser "Fake News". Aber Scherz beiseite: Die Vorschläge auch jener Untersuchung laufen in der Tendenz auf noch engere Themen- und Meinungskorridore hinaus, also auf weitere autoritäre Verselbständigungen – und das gerade in demokratisch verfassten Gesellschaften.
Dabei heißt das relativ neue Bertelsmann-Projekt zum Thema "Desinformation" sinnigerweise "Upgrade Democracy". Demokratisierung jetzt – aber gerne! Oder liegen die Dinge komplizierter?
Wer kann denn schon etwas dagegen haben, dass falsche Nachrichten bekämpft werden? Scheinbar niemand! Falsche Nachrichten wären tatsächlich überflüssig wie ein Kropf.
Studie: Mehrheit will entschlossenes Vorgehen gegen Desinfo
Auch daher sind laut neuer Bertelsmann-Studie 85 Prozent der rund 13.000 befragten EU-Bürger:innen der Meinung, "die Politik" solle "mehr gegen die Verbreitung von Desinformationen" vorgehen.
Von Betreiberkonzernen der Plattformen, also Intermediären wie Alphabet (Google, YouTube etc.) oder Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp etc.), forderten sogar 89 Prozent der Befragten einen größeren Einsatz gegen "Fake News". Die Studie konstatiert insgesamt EU-weit bei den Mediennutzerinnen und -nutzern einen "Wunsch nach einem stärkeren Eingreifen". "Entschlossenes Vorgehen" werde verlangt.
Das darf kritisch durchaus als Drohung gelesen und verstanden werden: Rufe nach einem "Wahrheitsministerium" mögen dann nicht mehr weit (hergeholt) sein. Denn die herrschenden Definitionen von "Fake News" sind alles andere als unproblematisch.
Einwände
Auch in der jüngsten Studie heißt es, bei "Fake News" oder "Desinformation" gehe es um "vorsätzliche Verbreitung unwahrer und gefälschter Inhalte im Internet." Drei Einwände an der Stelle:
1) Wie oft in solchen Zusammenhängen wird sich auf "das Internet" konzentriert. Als ob nicht auch in etablierten, tradierten Medien (Print, Radio, TV) höchst fragwürdige Inhalte zu finden wären. Aber nein – das "Böse" scheint vorzugsweise im Netz unterwegs zu sein.
Dabei wird zum Beispiel übersehen, dass relativ progressive Politiken wie die von Bernie Sanders (USA) oder Jeremy Corbyn (GB) samt ihren Bewegungen ohne "das Internet" kaum möglich gewesen wären. Deren Öffentlichkeiten wurden GEGEN weite Teile der Leitmedien hergestellt.
2) "Fakten statt Fakes" heißt es dann gerne, als Rezept gegen "Manipulationen" oder gegen "Propaganda". Hier sei keiner Beliebigkeit in Sachen "Wahrheit" das Wort geredet (die pragmatisch als intersubjektiv prüfbare Entsprechung zwischen menschlichem Modell und sonstiger Wirklichkeit bestimmbar scheint – und damit menschliche Praxis als Kriterium von Wahrheit).
Es sei aber darauf verwiesen, dass "Fakten" eben von Menschen gemachte Aussagen/Modelle sind, wie schon die Wortgeschichte belegt, vom lateinischen "facere" (tun, machen) her.
"Factum" ist damit von Menschen Gemachtes, nicht das Gegebene (das wäre noch am ehesten ein "Datum"). "Fakten" sind also alles andere als gegeben, sie werden nicht gefunden oder erfunden, sie werden entsprechend menschlicher Interessen, Bedürfnisse und Fähigkeiten "gemacht".
Wie auch die Autorin Angela Steidele unterstreicht:
Fakten haben daher schon rein begrifflich etwas Prozessuales in sich, ein Werden, nicht ein Sein.
Und daher zuspitzend gesagt: Alle Medien "manipulieren", im Wortsinne (lat. "manus" Hand): Sie greifen buchstäblich ein in die Vermittlung von Wirklichkeit, mit Hand- oder Kunstgriffen, in ihrer Handhabung.
Die Frage ist dann "nur", gemäß welcher Maßstäbe?
3) Die herrschenden Definitionen von Fake News beziehen sich nicht zuletzt darauf, dass Fälschungen nicht nur "falsch" seien, sondern dass dies bewusst und in "manipulativer" Absicht geschehe.
Dass also vorsätzlich "Böses" getan werde. Wie schwierig es wäre, diese Aspekte intersubjektiv zu prüfen (zu schweigen von "objektiv"), das sollte auf der Hand liegen: Es ist nicht Aufgabe von Journalismus noch von Politik oder Konzernen, in die Köpfe von Menschen zu schauen, um deren wie auch immer gute oder böse Absichten feststellen zu können, zur etwaigen Identifikation von Fake News.
Es sei denn, man hätte eben ein "Wahrheitsministerium" oder arbeitete darauf hin. Für alle anderen Herangehensweisen sollten möglichst breite und vertiefende, jedenfalls öffentliche Debatten das Mittel der Wahl auch zur "Wahrheitsfindung" sein – nicht zuletzt darüber, was nun "Fake" sei und was "Fakt".