Fall Sucharit Bhakdi: Meinungsfreiheit ist das höhere Gut
Amtsgericht spricht Mediziner von Vorwürfen der Volksverhetzung frei. Der Fall ist juristisch noch nicht abgeschlossen. Was können wir der Öffentlichkeit zumuten?
Die Meinungsfreiheit bewertete der Richter als das höhere Gut: Sucharit Bhakdi wurde gestern vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.
Der Fall ist aber noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt, gegen die Entscheidung Rechtsmittel einlegen zu wollen.
Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz weit vorne verankert, im Artikel 5 des Grundgesetzes. Dort heißt es in Absatz 2, dass die Grundrechte Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und Pressefreiheit "ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze" finden.
Die Anklage gegen den Mediziner Sucharit Bhakdi, über die das Amtsgericht im schleswig-holsteinischen Plön zu urteilen hatte, findet sich im Strafgesetzbuch unter "Volksverhetzung" (§ 130) Dort ist niedergelegt, dass die "Störung des öffentlichen Friedens" mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird.
Richter nicht überzeugt
Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft war der Amtsrichter Malte Grundmann nicht davon überzeugt, dass die Anklage zutrifft. Wie die Nachrichtenagentur dpa aus der Urteilsbegründung zitiert (auf der Webseite des Gerichts ist es nicht zu finden), habe das Gericht nicht feststellen können, dass sich Bhakdi "mit Äußerungen im Wahlkampf 2021 sowie einem Interview im Internet strafbar gemacht habe".
Der Vergleich zwischen Impfpolitik und Holocaust sei zwar "nicht hinnehmbar", so der Richter, aber er bewertete die Äußerungen des Angeklagten als "nicht geeignet", um den öffentlichen Frieden zu stören.
Im Interesse des Angeklagten sei die für ihn "günstigste Interpretation bei der Urteilsfindung zu wählen", begründete Richter Grundmann seine Entscheidung. "Bei mehrdeutigen Aussagen müssten auch andere Deutungen berücksichtigt werden." (Legal Tribune Online)
Für den Angeklagten sprach dabei, dass Bhakdi in einer Rede, die ein Gegenstand der Anklage wegen Volksverhetzung war, "zu friedlichem Diskurs mit Politikern aufgerufen und die Idee der demokratischen Willensbildung betont habe".
Instrumentalisierung von Gerichten
Das Urteil bekräftigt den Vorrang der Meinungsfreiheit gegenüber Versuchen, diese über Rechtsmittel einzuschränken. Es ist die Aufgabe der staatlichen Institutionen, das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu sichern.
Sie besteht nicht darin, eine Bühne dafür bereitzustellen, das Grundrecht dann zu beschneiden, wenn die Äußerungen einer vermeintlichen Mehrheit nicht passen. Das ist im Ansatz repressiv und nicht demokratisch. Dumme Äußerungen sind nicht verboten. Dummheit ist nicht strafbar.
Der Richter des Amtsgerichts hat sich von einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den grenzwertigen Äußerungen Bhakdis ferngehalten. Maßstab für ihn war die "Störung des öffentlichen Friedens" und der Vorwurf der Holocaust-Relativierung. Beides sah er, wie dargelegt, als nicht in dem Maße gegeben, dass eine Verurteilung ausreichend begründet gewesen wäre.
Was sich in dem Unterfangen zeigt, das Meinungsäußerungen, mit denen schwer umzugehen ist, vor Gericht bringt, ist ein Misstrauen in die Debattierfähigkeit und in die Fähigkeit zur erwachsenen Meinungsbildung der Öffentlichkeit.
Man gewinnt den Eindruck, dass einer solchen Instrumentalisierung von Gerichten die Anmaßung unterliegt, mit strafbewehrten Mitteln darüber zu entscheiden, was der Öffentlichkeit zuzumuten ist.
Das ist eine ziemlich autoritäre Auffassung dessen, was doch wesentlicher Kern der Demokratie ist: demokratische Willensbildung über einen offenen Diskurs, der von Hass und Beleidigungen absieht.