Fast alle Organe im Körper sind betroffen

Seite 3: Herz und Kreislauf sind weitere Hauptkampfplätze

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Wie das Virus das Herz und die Blutgefäße schädigen kann, ist immer noch nicht geklärt, aber das Phänomen wird in Dutzenden von wissenschaftlichen Artikeln beschrieben. Eine aktuelle Arbeit aus dem JAMA Cardiology dokumentiert Herzschädigungen bei nahezu 20% von 416 hospitalisierten Patienten in Wuhan/ China. In einer weiteren Studie aus Wuhan wiesen 44% von 36 Patienten einer Intensivstation Herzrhythmusstörungen auf.

Die Schädigung durch das Corona-Virus kann den Herzmuskel betreffen. Es gibt Patienten, die unter der Diagnose eines Herzinfarktes ins Krankenhaus eingewiesen werden. Sie weisen typische Beschwerden, eindeutige Zeichen im Elektrokardiogramm und erhöhte Serummarker auf. Die echokardiographische Untersuchung kann bei ihnen ein stark vergrößertes linkes Herz ergeben. Bei der anschließenden Koronarangiographie findet man jedoch keine Einengungen oder Verschlüsse der Herzkranzgefäße. Der PCR-Test auf das Corona-Virus fällt bei diesen Patienten jedoch positiv aus.

Die Schädigung durch das Virus scheint das Blut selbst zu betreffen. In einer Arbeit, die kürzlich in der Zeitschrift Thrombosis Research veröffentlicht wurde, hatten 184 Patienten mit Covid-19 einer Intensivstation in den Niederlanden eine abnorme Blutgerinnung und bei fast einem Drittel fanden sich Blutgerinnsel in den Gefäßen.

Die Gerinnsel können sich verkleinern, in die Lungen verschleppt werden und dort wichtige Arterien blockieren- das nennt man dann eine Lungenembolie, woran Covid-19-Patienten versterben können. Blutgerinnsel in den Arterien können ebenfalls in das Gehirn gelangen und einen Schlaganfall hervorrufen.

Viele Patienten haben dramatisch erhöhte D-Dimere, das ist ein spezifischer Marker für Thrombosen und Lungenembolien, stellt Behnood Bikdali, ein Kardiologe im Medical Center der Columbia Universität fest.

Je mehr wir darauf schauen, desto wahrscheinlicher wird die Einschätzung, dass die Bildung von Blutgerinnseln ein wichtiger Aspekt ist, der für die Schwere der Krankheit und die Sterblichkeit an Covid-19 entscheidend ist.

Behnood Bikdali

In einem Artikel vom 20.4.2020 im Tagesspiegel wird über einen Schweizer Forscher berichtet, der auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Ergebnis kommt, dass viele Covid-19-Patienten an Lungenembolien sterben. Er schlägt vor, dass dagegen gängige Blutverdünner helfen könnten.

Die Virusinfektion kann außerdem zu einer Blutgefäßkontraktion (Zusammenziehen der Blutgefäße) führen. Berichte über das Auftreten von dadurch bedingten Ischämien, das heißt einer Minderdurchblutung, im Bereich der Finger und der Zehen sind erschienen. Die Folge kann eine schmerzhafte Schwellung der Finger mit einem Absterben von Gewebe sein.

Eine durch die Virusinfektion bedingte mögliche Kontraktion von pulmonal-arteriellen Blutgefäßen in den Lungen könnte auch erklären, wie ein bisher ungeklärtes Phänomen bei Covid-19-Patienten auf Intensivstationen verursacht wird: Einige Patienten weisen extrem niedrige Sauerstoffwerte im Blut auf und haben trotzdem keine ausgeprägte Atemnot.

Man vermutet, dass in einigen Stadien der Krankheit das Virus das empfindliche Gleichgewicht der Hormone, die den Blutdruck regulieren, verändern kann und dass die zur Lunge führenden arteriellen Blutgefäße sich deshalb kontrahieren. So könne dann die Sauerstoffaufnahme in der Lunge eher durch sich kontrahierende Blutgefäße behindert werden als durch verstopfte Alveolen. Das könne ein Grund sein, dass bei einigen Patienten so niedrige Sauerstoffwerte gemessen werden.

Wenn man annimmt, dass das Corona-Virus die Blutgefäße schädigt, könne das ebenfalls erklären, warum Patienten mit vorbestehenden Schädigungen der Gefäße, zum Beispiel auf Grund von Diabetes oder Bluthochdruck, ein höheres Risiko für eine schwere Erkrankung aufweisen.

Möglicherweise schädigt das Virus aber auch direkt die Endothelauskleidung der Herzhöhlen und der Blutgefäße. Diese (einlagigen) Zellschichten sind ebenfalls, wie die Nasenschleimhaut und die Lungenalveolen, reich an ACE2-Rezeptoren.

In einer am 20.4.2020 veröffentlichten Untersuchung in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "The Lancet" konnten bei an Covid-19 Verstorbenen post-mortem im Endothel des Herzens und der Blutgefäße histologisch Virusbestandteile nachgewiesen werden (Varga Z, Flammer AJ, et al.: Endothelial cell infection and endotheliitis in Covid-19). Die Autoren sprechen von einer Endotheliitis, der sie auf die Spur gekommen sind.

Weiteres Schlachtfeld - die Nieren

Die weltweite Furcht vor einer zu geringen Anzahl von Beatmungsgeräten, die für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen, hat große Aufmerksamkeit hervorgerufen. Zu wenig beachtet ist bei dieser Diskussion ein anderer Typ von notwendigen Maschinen auf Intensivstationen: die Dialysegeräte.

Wenn Leute nicht am Lungenversagen versterben, dann werden sie das aufgrund von Nierenversagen tun.

Jennifer Frontera

Die Neurologin Jennifer Frontera arbeitet beim Lonone Medical Center in der Universität von New York und hat dort Tausende von Covid-19-Patienten behandelt. Sie hat ein Protokoll für den Einsatz von verschiedenen Dialyse-Geräten auf Intensivstationen entwickelt. Die Notwendigkeit dafür könnte damit zusammenhängen, dass die Zellen in den Nieren ebenfalls ein Ziel für die Viren sein können, weil sie reichlich ACE2-Rezeptoren an ihren Zellmembranen aufweisen.

Nach einem Preprint-Artikel aus Wuhan wurde bei 27% von 85 stationär aufgenommenen Patienten in Wuhan ein Nierenversagen festgestellt. In einem anderen Artikel wurde beschrieben, dass 59% von nahezu 200 hospitalisierten Patienten in den chinesischen Provinzen Hubei und Sinchuan Eiweiss in ihrem Urin und 44% Blut aufwiesen, beides Hinweise auf eine Nierenschädigung. Patienten mit einer akuten Nierenschädigung hätten ein fünffach erhöhtes Risiko, an Covid-19 zu sterben, im Vergleich mit Patienten ohne Nierenschädigung, wird in dem gleichen Artikel berichtet.

Bei einer elektronenmikroskopischen Untersuchung von Nierengewebe, das bei Autopsien gewonnen wurde, konnten in Nierenzellen eingeschlossene Viruspartikel festgestellt werden, die eine dírekte virale Schädigung vermuten lassen.

Aber eine Nierenschädigung könnte auch Ausdruck eines Kollateralschadens sein. Eine künstliche Beatmung fördert das Risiko einer Nierenschädigung, ebenso wie antivirale Medikamente wie Remdesivir, das versuchsweise bei Covid-19-Patienten eingesetzt wurde. Ein Cytokin-Sturm kann aber ebenfalls den Blutfluss in der Niere dramatisch reduzieren und dann einen schweren Nierenschaden hervorrufen.

Und vorbestehende Krankheiten wie Diabetes können das Risiko für einen Nierenschaden erhöhen. Und darüber hinaus gibt eine ganze Reihe von Menschen, die an einer chronischen Erkrankung der Nieren leiden und bei denen dann durch Covid-19 ein höheres Risiko für eine zusätzliche akute Nierenschädigung besteht.