Fed nimmt Aktien als Sicherheiten
Da die gestrauchelte US-Investmentbank Lehman einer der wichtigsten Teilnehmer am Repo-Markt war, springt neuerlich die US-Notenbank ein
Am Sonntag war klar geworden, dass die Verhandlungen der britischen Barclays Bank und der Bank of America um eine Übernahme der strauchelnden Investmentbank Lehman gescheitert waren und die viertgrößte Investmentbank der USA am Montag Insolvenz anmelden und Gläubigerschutz beantragen werde. Denn Barclays wollte die „potentiell unbegrenzten Risiken“ aus Lehmans Handelsbereich nicht ohne Staatsgarantie übernehmen und Bank of America schnupfte lieber gleich das weltgrößte Brokerhaus Merrill Lynch für 50 Mrd. USD auf (Finanzkrise bedroht das weltweite Finanzsystem).
Eine Verstaatlichung wurde von der Notenbank abgelehnt, weil die Märkte – anders als bei Bear Sterns – ohnehin genug Zeit gehabt hätten, sich darauf vorzubereiten. Immerhin steht die Fed schwer in der Kritik, den Finanzmärkten zu signalisieren, dass sie ohnehin einspringen werde, wäre ein gescheitertes Finanzhaus nur groß genug, um das Funktionieren der Märkte zu gefährden („to big to fail“). Das würde die großen Finanzinstitute zu übermäßigen Risiken motivieren, denn die daraus resultierenden Gewinne könnten sie privat einstreifen, während etwaige Verluste von der Öffentlichkeit getragen werden würden.
Lehman nahm im US-Finanzsystem allerdings eine Schlüsselrolle bei der kurzfristigen Finanzierung der Banken am so genannten Repo-Markt ein. Ein Repo ist eine Verkaufs- und Kaufvereinbarung eines Wertpapieres („Repurchase Agreement“ für Rückkaufvereinbarung), die in einer einzigen Vereinbarung fixiert wird. Die Banken können so Wertpapiere gegen Liquidität tauschen, wobei sie aber die Erträge (Couponzahlungen, Dividenden) behalten, so das ein Repo praktisch einem wertpapierbesicherten Kredit entspricht, der dank der übereigneten Sicherheiten niedriger verzinst ist als die unbesicherten Kredite am Interbankenmarkt. Da sich der Kurs des zugrundeliegenden Wertpapiers während der Laufzeit ändern kann, wird ein „Haircut“, ein Sicherheitsabschlag auf den Nenn- oder Marktwert verlangt; bei Preiseinbrüchen während der Laufzeit können gegebenenfalls Sicherheiten nachgefordert werden.
Der Repo-Markt, an dem sehr kurzfristige Laufzeiten von selten mehr als einem Monat üblich sind, ist der umsatzstärkste Finanzmarkt und für viele Marktteilnehmer die wichtigste Finanzierungsquelle. So hatte Lehman noch im März rund 300 Mrd. USD seiner Bilanzsumme mit Repos finanziert, wobei sie in den USA nur von Morgan Stanley und Merrill Lynch übertroffen wurde, in Europa von BNP Paribas, UBS, Barclays und der RBOS. Lehman trat in diesem Markt aber auch als wichtiges Clearinghouse auf. Denn oft werden Repos nicht direkt, sondern als Triparty Repo über einen Dritten abgewickelt, so dass der Verkäufer des Wertpapiers nicht direkt an den Käufer liefert, sondern an eine dritte Partei, die das Wertpapier auf den Namen des Käufers hält.
Da Lehman zu den drei wichtigsten Marktteilnehmern gehörte, mussten also noch am Sonntagnachmittag die Trader der größten Finanzmarktteilnehmer ins Büro. Sie sollten die Märkte unter der Bedingung einer Lehman-Pleite aufarbeiten, wobei vereinbart war, alle Trades zu canceln, sollte Lehman nicht bis Montagmittag Konkurs anmelden. Nachdem offenbar klar geworden war, was für ein Funktionieren der Märkte notwendig sein würde, gab die Fed am Abend ihren Beitrag bekannt. Laut dem Statement können die wichtigsten Brokererhäuser, die über Zugang zur „Primary Dealer Credit Facility“ (PDCF) verfügen, dafür ab jetzt alle Wertschriften als Sicherheiten verwenden, die auch bei den Triparty-Repos verwendet werden. Das umfasst seit Montag sogar Aktien, was bislang noch von keiner westlichen Notenbank je gestattet wurde. Das gilt nun auch für die „Term Securities Lending Facility“ (TSLF), bei der die für die Wertpapierseite der Repos oft benötigten Staatsanleihen gegen Beistellung bestimmter andere Sicherheiten ausgeliehen werden können.
Die TSLF-Auktionen werden von jetzt an zudem jede, und nicht wie bisher nur jede zweite Woche durchgeführt und von 175 Mrd. auf 200 Mrd. USD aufgestockt. Darüber hinaus wird den der US-Einlagensicherung unterliegenden Banken gestattet, ihren Finanzmarktfilialen Liquidität zur Finanzierung von Assets zur Verfügung zu stellen, die sonst im Triparty-Repo-Markt finanziert werden. Damit werden die dem Repo-Markt inhärenten Risiken, nämlich dass die gestellte Sicherheit auch samt Haircut nicht dem darauf gegebenen Kredit entsprechen und bei Zahlungsausfall mangels ausreichender Sicherheiten ein Verlust eintritt, de facto von der Notenbank übernommen.
Von der New Yorker Fed wurde zudem ein privater Fonds inittiert, in den zehn Großbanken – aus den USA JPMorgan Chase & Co., Goldman Sachs, Bank of America, Citigroup, Morgan Stanley, Merrill Lynch, aus Europa Deutsche Bank, UBS, Barclays und Credit Suisse – jeweils sieben Milliarden Dollar einzahlen wollen. Die teilnehmenden Institute könnten daraus bis zu jeweils einem Drittel des Fondsvermögens an Liquidität beziehen, zweifelhafte Assets also zeitweise in diesem Fonds abladen.