Finanzkrise bedroht das weltweite Finanzsystem
Die viertgrößte US-Investmentbank Lehman Brothers wird heute Insolvenzschutz beantragen, die Aktienkurse brechen weltweit ein
Nach dem Scheitern aller Rettungsversuche teilte Lehman Brothers in der Nacht auf Montag mit, dass Gläubigerschutz nach Kapitel 11 des US-Konkursrechts beantragt werde. Diese Regelung erlaubt Unternehmen die Sanierung bei laufendem Betrieb, ohne Gläubiger bedienen zu müssen. Damit will Lehman vor allem Zeit gewinnen.
US-Finanzminister Henry Paulson und Notenbankchef Ben Bernanke hatten zuvor noch in einem Krisengipfel mit den Chefs der wichtigsten Wall-Street-Banken versucht, die Pleite zu verhindern, schreibt das Wall Street Journal. Erst am Mittwoch musste die Investmentbank einen Verlust von 3,9 Milliarden Dollar für das dritte Quartal bekannt geben, das war eine deutliche Steigerung nach den 2,8 Milliarden Dollar, die Lehman schon im zweiten Quartal im Zuge der Finanz- und Immobilienkrise verloren hatte.
Die Entscheidung, den Insolvenzschutz zu beantragen, fiel, als die Barclays Bank von der geplanten Übernahme nichts mehr wissen wollte. Die drittgrößte britische Bank war der letzte Interessent und erklärte, es sei nicht im "besten Interesse der Barclays-Aktionäre" gewesen. Barclays habe sich mit der US-Seite nicht über eine Begrenzung der bei Lehman noch drohenden Risiken einigen können, meldete die BBC. Zuvor hatten diverse Experten, wie der Professor University of Maryland, Peter Morici, vor der Übernahme gewarnt, weil die realen Defizite von Lehman nicht einschätzbar seien.
Auch die US-Regierung und die Zentralbank (FED) wollen diesmal nicht im vollen Umfang für milliardenschwere Verluste haften, wie im Fall von Bear Stearns (Zwei Dollar pro Aktie der fünftgrößten Investmentbank der USA) oder im Fall der größten US-Immobilienfinanzierer (Die größten Immobilienfinanzierer der USA unter staatlicher Kontrolle). Offenbar macht sich angesichts immer neuer Notfälle auch bei der FED und dem Finanzministerium die Erkenntnis breit, dass man nicht alle Bankverluste den Steuerzahlern aufbraten kann. Der US-Finanzminister kündigte aber Maßnahmen an, um die Liquidität an den Finanzmärkten zu erhöhen. Bernanke sagte, die FED werde die Sicherheiten noch weiter ausweiten, die für Notfall-Darlehen hinterlegt werden können (Ex-Fed-Chef Paul Volcker kritisiert US-Notenbank).
Einer der Interessenten an Lehman war die Bank of America (BoA), doch die hat sich am Sonntag zur Übernahme der ebenfalls angeschlagenen Merrill Lynch entschieden. Es sei, so die New York Times, "einer der dramatischsten Tage in der Geschichte der Wall Street" gewesen. Die BoA zahlt für die drittgrößte Investmentbank 50 Milliarden Dollar und mit den beiden neuen Fällen zeigt sich, was die Finanzkrise noch zu bieten hat, bei der das Schlimmste noch bevorstehen könnte. Da kaum ein Käufer für Lehman zu finden sein dürfte, wird der Konkurs immer wahrscheinlicher.
Ein Bankenzusammenschluss kündigte derweil an, 70 Milliarden Dollar zur Verfügung zu stellen, um Liquiditätsengpässe von Banken abzufedern. Neben der BoA und der Deutschen Bank gehören dazu auch die von Kreditkrise gebeutelten Schweizer Banken Credit Suisse, UBS oder die große Citibank dazu. Die zehn Banken wollen sich gemeinsam auch für eine "geordnete Lösung" für Lehman einsetzen.
Doch diese Ankündigung wird neue Panikreaktionen an den Börsen nicht verhindern. Am deutschen Aktienmarkt wurden zum Start des Handels deutliche Verluste verzeichnet. Dazu trugen auch die Probleme des großen Versicherers American International Group (AIG) bei, der ums Überleben kämpft. Er soll bei der FED einen Überbrückungskredit von 40 Milliarden Euro beantragt haben. Es wird sich zeigen, ob die FED nun auch Versichern Geld leiht, nachdem sie die Kreditvergabe schon auf die Investmentbanken ausgeweitet hatte.