Feindbild Islam - Die USA und die Muslime
- Feindbild Islam - Die USA und die Muslime
- Das Verhältnis zur islamischen Welt
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Seit den Bomben von Boston ist die kulturell-religiöse Dissonanz zwischen weißen, angelsächsischen Protestanten und Muslimen wieder lauter geworden
Die faszinierende, wechselhafte Geschichte des Verhältnisses der Vereinigten Staaten zu islamischer Kultur und Religion sowie zur islamischen Welt droht dabei in Vergessenheit zu geraten. Entgegen der biologistischen Darstellung des Islam als "Fremdkörper", der Staat und Gesellschaft mittels muslimischer Einwanderer gleichsam "infiziert", ist er seit langem ein Bestandteil der amerikanischen Kultur.
Seit dem Anschlag auf den Boston Marathon im April sind, vor allem in konservativen US-Medien und Blogs, vermehrt Äußerungen und Beiträge zu verzeichnen, die das nativistische, islamfeindlich eingestellte Segment der US-Gesellschaft bedienen. Das Spektrum dieser Äußerungen reicht von Forderungen nach "Racial Profiling" von Muslimen, über einen Immigrationsstop für muslimische Einwanderer bis hin zu Demagogie im Stile eines Joe McCarthy.
Da ist von einer Infiltration amerikanischer Polizei- und Schulbehörden durch Al-Kaida die Rede oder von einer Kooperation "amerikahassender" Muslime und Liberaler. Der muslimische demokratische Kongressabgeordnete Keith Ellison wurde als "gefährlicher Islam-Apologet" diffamiert, weil er vor mehr als zwanzig Jahren Sympathien für die Nation of Islam geäußert hatte, von denen er sich inzwischen distanziert hat, und nach dem Anschlag darum bat, nicht sämtliche Muslime für die Taten Einzelner verantwortlich zu machen. Dass er seinen Amtseid auf den Koran ablegte, machte ihn in den Augen Einiger vollends verdächtig, auch wenn es sich dabei um den Koran aus dem Privatbesitz Thomas Jeffersons handelte.
Diese Beispiele der Stigmatisierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe folgen einem altbekannten Muster. Ausgehend von der Prämisse einer eigenen zivilisatorischen Überlegenheit, wird eine "Verunreinigung" von Kultur und Gesellschaft durch die Zielgruppe postuliert. Im Fall muslimischer Amerikaner geht dies auch von Vorstellungen vom Islam aus, die der Literaturwissenschaftler Edward Said als Orientalismus definiert hat. Dieses Vorurteil vom rückständigen Barbaren wird dadurch verstärkt, dass Muslime irrtümlicherweise häufig mit Arabern gleichgesetzt werden, die - in Saids Worten - zumeist mit Erdöl oder Terrorismus in Verbindung gebracht werden. So ließ sich seit 9/11 ein deutlicher Anstieg entsprechender Vorurteile beobachten, der jedoch allmählich stagniert. Laut einer aktuellen Umfrage des Pew Research Center halten 42 Prozent der Befragten den Islam für potentiell gewalttätiger als andere Religionen, 46 Prozent sehen dies nicht so.
Neben einer vermeintlichen Prädisposition zur Gewalt betonen die antiislamischen Ressentiments, die durch Boston erneute Nahrung erfuhren, häufig auch das vermeintlich Andersartige, Fremde bezüglich islamischer Religion und Kultur. Dabei existiert seit Jahrhunderten eine islamische Minorität in Nordamerika, die - trotz ihrer lange Zeit unterdrückten Position - mit der euroamerikanischen, protestantisch geprägten Mehrheitskultur interagierte.
Islam-Import durch Sklaverei
Im Rahmen des transatlantischen Sklavenhandels wurde seit dem 17. Jahrhundert auch der Islam in die nordamerikanischen Kolonien importiert. Unter etwa einer Million afrikanischer Sklaven, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts in das Territorium der Vereinigten Staaten verschleppt wurden, befanden sich schätzungsweise zumindest einige zehntausend Muslime.1 Von einigen existieren Zeugnisse in Form von diversen Manuskripten, Autobiographien oder so genannten "slave narratives".
Darunter finden sich Biographien wie die des Bilali Muhammed, versklavt in den 1780er Jahren und 1802 nach Georgia verkauft. Da er gebildet war und Kenntnisse im Reisanbau besaß, durfte er seinen Glauben praktizieren, was gemeinhin jedoch nicht üblich war. Er fastete zum Ramadan, trug Kaftan und Fez und wirkte als Imam für seine Glaubensgenossen. Diese Privilegien vergalt er seinem Besitzer, indem er dessen Grundstück auf der Insel Sapelo 1812 mit einer Gruppe ebenfalls muslimischer Sklaven gegen einen britischer Angriff verteidigte.2
Seit den 1990er Jahren ist in den Vereinigten Staaten eine zunehmende Zahl an Publikationen zum Islam erschienen. Es gilt inzwischen als sicher, dass muslimische Afrikaner, zumeist aus West- und Nordafrika stammend, unter den Sklaven in Nordamerika die Gruppe mit dem höchsten Bildungsgrad darstellten und somit an der Spitze der Sklavenhierarchie standen. Sie konnten oft lesen und schreiben und besaßen zudem Spezialkenntnisse wie etwa im Reisanbau. Das machte sie bei Sklavenbesitzern begehrt. Sie waren aber auch diejenigen, die den meisten Widerstand gegen das Sklavereisystem leisteten, indem sie lange an ihrer kulturellen und religiösen Identität festhielten. Auch bei Sklavenaufständen spielten sie oft eine führende Rolle.3
Einige Sklavenbesitzer tolerierten die Praktizierung des Islam, manche ermöglichten sie sogar, etwa indem sie geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellten. Mehrheitlich jedoch mussten muslimische Sklaven ihre Religion im Geheimen ausüben. Zwar war die Praxis der Zwangsbekehrung zum Christentum im vorwiegend protestantischen Nordamerika nicht gängige Praxis wie im katholischen Südamerika, aber mit Beginn der Evangelikalisierung im amerikanischen Protestantismus wurden die Missionierungsversuche verstärkt. Berichte über massenhafte Konvertierungen dienten dabei auch als Bestätigung der Überlegenheit der angelsächsisch-christlichen Zivilisation.
Unter diesen repressiven Bedingungen war es äußerst schwierig, die islamische Glaubenspraxis aufrechtzuerhalten. Um ihr hartes Los zu verbessern, traten viele muslimische Sklaven zum Christentum über. Nicht selten fand jedoch eher eine Adaption und Fusion von Elementen beider Religionen statt, die Gemeinsamkeiten betonte und damit "Sklaven-" und "Herrenreligion" auf eine Stufe stellte. Letztlich diente der Islam damit als verbindendes Element unter muslimischen Sklaven. Mit dem Verbot der Sklaveneinfuhr und der Abschaffung der Sklaverei stagnierte der Islam in Amerika jedoch vorerst.
Grabsteine und Aufzeichnungen von Plantagen legen noch heute Zeugnis vom Islam in Amerika ab, mit Namen wie Boccarey (Bakr), Fatima, Hammett (Hamid oder Achmed), Mamado (Mahmud), Mahomed (Mohammed) oder Wally (Wali).4 Da es sich dabei auch immer um eine Geschichte der Unterdrückung handelte, ist es kein Wunder, dass im Zuge der afroamerikanischen Identitätsfindung im 20. Jahrhundert eine Renaissance des Islam stattfand.
Vor Beginn des ersten Weltkrieges setzte die Great Migration ein, eine mehrere Generationen währende Abwanderung von Afroamerikanern aus dem südstaatlichen Black Belt in den Nordosten, den Mittleren Westen und an die Westküste der USA. Mit der rasch expandierenden Organisation Moorish Science Temple of America brachten sie auch eine genuin amerikanische Form des Islam mit sich. Dabei handelte es sich um eine synkretistische Religion, die neben dem Islam auch Aspekte des Christentums, des Buddhismus, der Freimaurerei und andere Einflüsse vereinte. Sie stellte den Vorläufer der 1930 gegründeten Nation of Islam dar. Deren prominentestes Mitglied - "The Greatest of All Time", Muhammed Ali - setzte mit dem demonstrativen Ablegen seines "Sklavennamens" Cassius Clay ein weithin wahrgenommenes Zeichen des Protestes.
Die Nation of Islam war jedoch auch immer äußerst umstritten, aufgrund ihrer durchaus rassistischen Ideologie, ihres Sektencharakters und ihrer synkretistischen, amerikanisierten Variante des Islam. Die Ermordung des "abtrünnigen" Malcolm X, der mit seiner Botschaft der Versöhnung eine Gefahr für die von ihm mit aufgebaute Nation of Islam darstellte, sollte ihren Niedergang einleiten. Obgleich sie inzwischen ihre "black supremacy"-Rhetorik relativiert hat, wird sie vom Southern Poverty Law Center noch immer als "hate group" geführt.
Sie ist jedoch nicht die islamische Alleinvertretung muslimischer Afroamerikaner. Stattdessen hat sich der afroamerikanische Islam in den letzten Jahrzehnten diversifiziert; ähnlich wie für die gesamte religiöse Landschaft der USA ist auch hier eine enorme Vielfalt verschiedener Organisationen, Gemeinden und Moscheen zu verzeichnen. Dabei stellen Afroamerikaner etwa 25% aller Muslime in den Vereinigten Staaten, deren Gesamtzahl, nach sehr unterschiedlichen Untersuchungen, auf zwischen 2,6 und 8 Millionen geschätzt wird. Ein weiteres Viertel ist nahöstlicher und nordafrikanischer Abstammung, etwa ein Drittel südostasiatisch und unter dem Rest befindet sich ein wachsender Anteil von Hispanics.
Muslimische Immigration
Die erste nachweisbare Immigration von Muslimen, vorwiegend Türken und Jemeniten, begann ab den 1840er Jahren. In den nächsten Jahrzehnten, insbesondere von den 1880er Jahren bis Mitte der 1920er, wanderten vor allem Jordanier, Libanesen und Syrer ein, mehrheitlich Christen, aber eben auch Muslime. Wie bei allen Immigrantengruppen in den Vereinigten Staaten, bildeten sich auch in diesem Fall Siedlungsschwerpunkte. Im "Rust Belt", vor allem in und um Detroit und Pittsburgh, wo die Stahl- und später die Autoindustrie viele Arbeitsplätze schufen, ließen sich zahlreiche Einwanderer aus den entsprechenden Regionen nieder. Die Stadt Dearborn bei Detroit gilt noch heute als eine der islamischsten Städte der USA. Daneben bildete sich beispielsweise in Ross, North Dakota, ein weiterer Schwerpunkt. Hier wurde 1929 von syrisch-libanesischen Einwanderern die erste belegte Moschee in den Vereinigten Staaten erbaut.
Gemeinden muslimischer Einwanderer entstanden unter anderem auch in New York und Chicago. Zahlreiche Ortsnamen wie beispielsweise Mecca und Medina, die mehrfach in den USA vorkommen, verweisen auf diese Einwanderungswelle. Mit dem Immigration Act von 1924 endete die nicht-europäische Immigration für die nächsten Jahrzehnte. Erst 1952 wurden diese Restriktionen gelockert, 1965 schließlich abgeschafft. Damit setzte eine zweite Einwanderungswelle ein, die insbesondere Ägypter, Iraker und Palästinenser sowie südostasiatische Muslime in die USA führte. So entwickelte sich auch Los Angeles zu einem weiteren Siedlungsschwerpunkt von Muslimen in den Vereinigten Staaten.
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