Feindbild Islam - Die USA und die Muslime
Seite 2: Das Verhältnis zur islamischen Welt
- Feindbild Islam - Die USA und die Muslime
- Das Verhältnis zur islamischen Welt
- Auf einer Seite lesen
Die Haltungen zum Islam waren in den frühen Jahren der Vereinigten Staaten sehr unterschiedlich. Für einige Angehörige der "Gründerväter" der USA wie John Adams, Benjamin Franklin, Thomas Jefferson und sogar George Washington galt auch für den Islam die Religionsfreiheit. Andere kritisierten hingegen einen solchen Ansatz, da ihrer Ansicht nach ausschließlich dem Protestantismus die freie Religionsausübung gestattet werden könne, um den protestantischen Charakter ihrer Staaten zu sicherzustellen. In einigen Staaten besaßen nur Protestanten volle Bürgerrechte - Einschränkungen, die in den nächsten Jahrzehnten weitgehend abgeschafft wurden.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es folglich auch keine nennenswerte Einwanderung von Muslimen in die Vereinigten Staaten. Es existieren einige Anekdoten von Muslimen in Amerika abseits der Sklaverei, etwa die der Familie Wahhab auf der North Carolina vorgelagerten Insel Ocracoke, die angeblich von einem arabischen Händler abstammte, der im 17. oder 18. Jahrhundert vor der Insel Schiffbruch erlitt. Zudem gibt es fragmentarische Hinweise in historischen Dokumenten, zum Beispiel die zweier "maurisch aussehender" Männer, die im Jahr 1786 in Charleston, South Carolina, auftauchten und durch ihre Erscheinung fast einen Aufruhr verursachten. Nach einer Befragung durch eine Bewohnerin Charlestons - eine nordafrikanische Jüdin, die unter anderem arabisch und französisch sprach - verliert sich ihre weitere Spur jedoch.
Auf außenpolitischer Ebene gerieten die Vereinigten Staaten seit ihrer Unabhängigkeit zunehmend in "schwieriges Fahrwasser". Noch während des Krieges hatten sie Kavalleriepferde aus Algerien importiert, während Marokko die Souveränität der USA als erstes Land anerkannte. Seit 1786 besteht ein Freundschaftsvertrag mit dem islamischen Land. Doch ohne Schutz durch die britische Kolonialmacht war der amerikanische Seehandel der Gefahr durch die Korsaren der nordafrikanischen Barbareskenstaaten Algier, Tunis und Tripolis ausgesetzt.
Seit dem späten 15. Jahrhundert verunsicherten diese mit Kaperbrief ausgestatteten Seeräuber, in deren Reihen sich auch europäische Söldner fanden, das Mittelmeer und den Atlantik. Hinsichtlich der Motivation für dieses Vorgehen vertritt der Historiker Frank Lambert die These, dass es sich dabei nicht vordergründig um einen religiösen Konflikt handelte. Obgleich die historischen Konflikte zwischen Christen und Muslimen durchaus eine Rolle spielten, waren es primär finanzielle Anreize, die diese Form der Piraterie antrieben. Über Jahrhunderte hinweg hatten die Konflikte zwischen den europäischen Mächten dazu geführt, dass immer irgendeine Seite Tribut an die Barbareskenstaaten zahlte - oder deren Vorgehen gegen die eigenen Gegner gar förderte. Daraus hatte sich ein regelrechtes Geschäftsmodell entwickelt. Bis 1815 gerieten so auch mehrere hundert Amerikaner in Gefangenschaft und Sklaverei.
In Form diverser "slave" oder "captivity narratives" gelangten Berichte darüber in die Vereinigten Staaten. Es handelt sich dabei um zumeist stark dramatisierte Darstellungen, in denen die Fremdheit und "Unzivilisiertheit" der Anderen im Vordergrund stand. Entsprechend trugen sie in diesem Fall dazu bei, die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten für ein militärisches Eingreifen zu beeinflussen. Die Forderungen der gegnerischen Konfliktparteien, die Freilassung der Amerikaner und die Passage ihrer Handelsschiffe mit hohen Geldsummen zu erkaufen, taten ihr übriges.
Die zwei von 1801-1805 und 1815 stattfindenden Barbareskenkriege (Barbary Wars) und die damit verbundenen Feindbilder wirkten durchaus prägend für die junge amerikanische Republik. Auf militärischer Ebene rückte vor allem das junge Marine Corps in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. "To the shores of Tripoli", lautet die zweite Zeile seiner Hymne - ein Bezug auf die Schlacht von Derna (1805) im ersten Barbareskenkrieg. Es handelte sich um den ersten Einsatz amerikanischer Truppen im Ausland, wenn auch lediglich von einer Handvoll Marines, unterstützt von einigen hundert arabischen und griechischen Söldnern. Ziel war die Eroberung von Tripolis und die Wiedereinsetzung des entmachteten, den USA wohlgesonnenen, Herrschers Hamet Karamanli. Nach der Eroberung der Hafenstadt Derna schenkte dieser dem Kommandeur der Marines, Lieutenant O’Bannon, als Zeichen des Respekts seinen Mameluckensäbel. Nach dessen Vorbild sind seit 1825 die Offiziersschwerter des Corps gestaltet, die noch heute zur Blue-Dress-Uniform getragen werden.
Im Gegensatz dazu erwies sich übrigens eine andere Anleihe aus dem islamischen Kulturraum als eher kurzlebig - die Zuaven-Regimenter beider Seiten im amerikanischen Bürgerkrieg. Nach dem Vorbild der legendären algerischen leichten Infanterie, die vor allem durch den Krimkrieg international bekannt wurde und dort auch amerikanischen Militärbeobachtern auffiel, formierten sich bei Kriegsausbruch 1861 mehrere Milizregimenter, die Kleidung und Taktik ihrer muslimischen Vorbilder übernahmen. Im Verlauf des Krieges existierten mehr als 70 solche Regimenter in der Unionsarmee und 25 auf konföderierter Seite. Erst mit der Etablierung der National Guard in den 1880er Jahren verschwanden die US-Zuaven aus dem Militär.
Doch abseits solcher Anekdoten prägten die Darstellungen der weißen "slave narratives" im Kontext der Barbareskenkriege die zeitgenössische Wahrnehmung vom Islam. Ähnlich den Europäern nutzten Amerikaner ihre stereotype Vorstellung von der islamischen Welt, um die eigenen Errungenschaften hervorzuheben. Auch Thomas Jefferson, seit 1801 Präsident, kritisierte die "korrupten Praktiken" der alten Welt. Ähnlich den Monarchien Europas galt ihm die islamische Zivilisation, etwa am Beispiel des Osmanischen Reiches, als despotisch und freiheitsfeindlich, was nicht im Widerspruch zu seiner Toleranz gegenüber der Ausübung des Islam stand.5 Aus dem Mund eines Sklavenbesitzers entbehrt diese Kritik jedoch nicht einer gewissen Ironie. Dies gilt ebenso für die Tatsache, dass eine Nation, die bis Anfang des 19. Jahrhunderts nahezu eine Million Menschen versklavt hatte, Unterdrückung und Sklaverei in anderen Erdteilen geißelte und als Kriegsgrund betrachtete.
Der nächste Krieg der Vereinigten Staaten gegen muslimische Gegner wird in reißerischen Darstellungen der Barbareskenkriege als Beginn einer fortwährenden dschihadistischen Terrorkampagne gegen die USA geflissentlich übersehen. Der Moro-Aufstand der muslimischen Bevölkerung der südlichen Philippinen, die sich gegen die Kolonialisierung durch die Amerikaner zur Wehr setzten - auch mit Selbstmordangriffen - fand gute einhundert Jahre nach den Barbareskenkriegen statt. Er wurde von den Vereinigten Staaten in einer zehn Jahre währenden "counter insurgency" erstickt, die durchaus Parallelen zum Vorgehen im Irak und in Afghanistan aufweist. Die Genese dieses Konfliktes lässt sich jedoch schwer im Sinne einer religiös motivierten Aggression umdeuten, was seine Abwesenheit in selektiven Geschichtsbildern erklären mag.
Die Geschichte der USA und des Islam ist zu reichhaltig und facettenreich, um sie auf religiös-kulturelle Antagonismen zu reduzieren. Die vielschichtige islamische Gemeinde in den Vereinigten Staaten bereichert deren Kultur und Gesellschaft; muslimische Einwanderer gelten als sehr gut integriert und gehören weitgehend der Mittelschicht an.6 Prominente Künstler, Sportler, Geschäftsleute und Journalisten wie Dave Chapelle, Everlast, Ice Cube, Lupe Fiasco, Jawed Karim, Shirin Neshat, Kareem Abdul-Jabbar, Shaquille O’Neal oder Fareed Zakaria sind nur einige Beispiele dafür, dass der Islam in den Vereinigten Staaten fest etabliert ist. Alleine in Kalifornien existieren fast 200 Moscheen. Selbst das Militär verfügt inzwischen über muslimische Kaplane. Auch im politischen Bereich organisieren sich amerikanische Muslime, die mit dem American Muslim Political Action Committee nun sogar über eine nationale Lobbyorganisation verfügen.
Natürlich finden diese Entwicklungen nicht ohne Konflikte statt. Doch trotz aller Anfeindungen und massiver Bürgerrechtsverletzungen durch die Sicherheitsbehörden, trotz aller Opposition gegen amerikanische Militäreinsätze in islamischen Ländern, ist es bis jetzt eine verschwindend geringe Minderheit amerikanischer Muslime, die mit anderen als friedlichen Mitteln dagegen vorzugehen versucht. Stattdessen soll mit einem Million American March Against Fear an die Tradition der US-Bürgerrechtsbewegung angeknüpft werden - am geschichtsträchtigen 11. September 2013.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.