Feist und paarungsbereit
Die Damara-Graumulle halten sich "Gelegenheitsarbeiter", die für den Gen-Austausch mit anderen Kolonien sorgen.
Die einen sind fleißig, die anderen rund und faul: Die Damara-Graumulle leben in ihren Kolonien wie soziale Insekten, mit einer klaren Hierarchie aus Königin und einem Haufen Arbeiter. Mehrfach haben Biologen bereits beobachtet, dass die Arbeit unter diesen Tieren nicht gleich verteilt ist. Während die einen den Großteil erledigen, ließen es die anderen gemütlich angehen.
Doch was Forscher bislang für die beiden Enden desselben Verhaltensspektrums hielten, hat sich jetzt als das Verhalten zwei auch physiologisch verschiedener Kasten von Arbeitertieren herausgestellt. In der aktuellen Ausgabe von Nature) (Vol 440 vom 6. April 2006, doi:101038/nature04578) berichtet ein südafrikanisches Biologenteam.
Die Gattung der Graumulle (Cryptomys) liebt es warm. Die kleinen Nager existieren nur im südlichen Afrika südlich der Sahara, bevorzugt in Steppen, Savannen und Trockenwäldern. Mit ihren kräftigen Nagezähnen graben sie Tunnelsysteme, die sie nicht verlassen. Alle Graumullarten leben in Kolonien deren Größe und Sozialstrukturen je nach Art unterschiedlich sind. Die größten Kolonien bildet der Damara-Graumull (C. damarensis). Zusammen mit dem Nacktmull (Heterocephalus glaber) (Nacktmulle: Afrikas wilde Wichte) ist er, die einzige Säugetierart, bei der Eusozialität in der Kolonie festgestellt wurde. Eusozialität bedeutet, dass nur eines oder zumindest sehr wenige Individuen in der Kolonie fortpflanzungsfähig sind, während sich die anderen Tiere die Arbeitsaufgaben teilen – die Sozialstruktur ähnelt also der von staatenbildenden Insekten mit einer Königin.
Dick und arbeitsscheu
Bei den Damara-Graumullen verrichten zwei Kasten die anfallende Arbeit: Die ständigen Arbeitertiere (frequent workers) erledigen 95 Prozent der Aufgaben, die gelegentlichen Arbeiter (infrequent workers) steuern die restlichen 5 Prozent bei. Etwa 25 bis 40 Prozent der Mulle einer Kolonie sind solche „Gelegenheitsarbeiter“ und sie sind – wenig erstaunlich – auffallend mollig. Mehrfach haben Biologen in der Vergangenheit beobachtet, dass sie diese Fettdepots für einen ganz speziellen Zweck bitter nötig haben: Sie sind „Ausschwärmer“ („disperser“) und pflegen wie z. B. Drohnen eine Art Hochzeitsflug: Nach schweren Regenfällen legen sie erstaunliche Aktivitäten an den Tag. Sie graben neue Tunnel, durch die sie sich anschließend verdünnisieren, um sich mit Mitgliedern anderer Kolonien zu paaren oder neue Kolonien zu gründen.
Die Biologen Michael Scantlebury und Nigel Bennett vom Mammal Research Center der Universität in Pretoria/Südafrika sind diesen Berichten nachgegangen. Im Jahr 2003 führten sie in der Nähe der südafrikanischen Stadt Hotazel verschiedene Experimente mit dort heimischen Damara-Graumull-Kolonien durch. Dabei interessierten sie sich vor allem für deren körperliche Eigenschaften: Mit Methoden wie z. B. der DLW-Methode (Doubly Labelled Water) und der Kalorimetrie ermittelten sie den Energieumsatz bzw. die Wärmemengen, die bei bestimmten Körperprozessen auftreten, und maßen das Körperfett – sowohl bei den regelmäßigen wie den gelegentlichen Arbeitern und den Königinnen jeweils vor und nach länger andauernden Regenfällen.
Dabei stellten sie fest, dass die Körpermasse je nach Kastenzugehörigkeit erheblich variierte: Königinnen wogen etwa 23,4 g, gewöhnliche Arbeiter rund 28,5 g und die Gelegenheitsarbeiter brachten im Schnitt sogar 33,2 g auf die Waage. Gerade letztere entpuppten sich als ziemlich stramme Bürschchen – sie waren nicht nur fetter, sondern auch muskulöser.
Ein vermeintlich süßes Leben
Insgesamt zeigten die von Scantlebury und Bennett gemessenen Daten einen deutlichen Zusammenhang zwischen Tagesenergieverbrauch und Körpermasse, zwischen Kaste und Jahreszeit. Während der Tagesenergieverbrauch der regelmäßigen Arbeitertiere unabhängig von der Jahreszeit stabil blieb, kam es bei den Gelegenheitsarbeitern zu erheblichen Schwankungen: In der trockenen Zeit verhielten sich die Gelegenheitsarbeiter träge; nach Regenfällen hingegen entwickelten sie ungeahnte Energieschübe, die sich im Tunnelgraben äußerten. Vor allem die größeren Tiere waren es, die sich auf diese Weise selbstständig machten. Für die beiden südafrikanischen Forscher steht damit fest, dass sich regelmäßige und gelegentliche Arbeiter nicht allein in ihrem Verhalten unterscheiden, sondern dass sie auch physiologisch eine unterschiedliche Kaste darstellen. In Zeiten der Trockenheit beteiligen sie sich nicht an der Arbeit in der Kolonie, sie sammeln Fettreserven an, um sich auf „Hochzeitsflug“ und Fortpflanzung vorzubereiten.
So gesehen stellten die Gelegenheitsarbeiter eine doppelte Last für ein Mull-Volk dar: sie arbeiten wenig und fordern trotzdem mehr Futter für sich. Evolutionsgeschichtlich betrachtet ist es für die Kolonie trotzdem sinnvoll, sie zu päppeln. Denn die meisten Mullarten leben auf sich selbst beschränkt. Nacktmulle beispielsweise gelten als ausgesprochen fremdenfeindlich und sie weisen die höchste Inzestrate von allen Säugetieren auf. Wenn die „faulen“ Dalmar-Graumulle sich aufmachen, um sich in anderen Kolonien zu paaren, dann sorgen sie für Genaustausch und halten diese Rate im Gleichgewicht. Ihr vermeintlich süßes Leben müssen sie auf ihrer Mission schrecklich büßen: Wie Nigel Bennett auf Anfrage von Telepolis per E-Mail mitteilte, gelingt es nur etwa der Hälfte der Tiere eine Partnerin zu finden, die andere landet im Maul hungriger Schlangen.