Fest gegen Rechtsextreme
60. Jahrestag der deutschen Kapitulation in Berlin: Ein großes "Fest der Demokratie" rund um das Brandenburger Tor soll eine NPD-Demo verhindern
Nicht nur der Regierende Bürgermeister der Hauptstadt, Klaus Wowereit (SPD), Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Bundespräsident Horst Köhler (CDU), sondern auch lokalpolitische Hinterbänkler wollen dabei sein, wenn am 8. Mai in der Hauptstadt die Demokratie verteidigt wird. Das Thema Rechtsextremismus ist seit der Landtagswahl in Sachsen wieder Chefsache – und das könnte bei anhaltenden Erfolgen der NPD so bleiben.
Lange ist es her, als der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker (CDU) 1985 die Westdeutschen davon zu überzeugen versuchte, dass sie am 8.Mai 1945 tatsächlich befreit worden sind. Er sprach auch von einem kommunistischen Widerstand im Kampf gegen den Faschismus. Letzteren anzuerkennen galt als kleine Sensation, die freilich niemanden davon abhielt, fünf Jahre später auch Auschwitzhäftlingen die Rente als Opfer des Faschismus zu kürzen, wenn sie in der DDR in leitenden Funktionen tätig waren.
Dennoch ist die Weizsäcker-Rede auch Jutta Kausch vom "Bündnis 8.Mai" einen positiven Bezug wert. Der Initiative, die gestern zu einer Pressekonferenz ins Berliner ver.di-Haus lud, gehören antifaschistische Gruppen, die Menschenrechtsliga, die DKP, Gewerkschaften und der VVN-BdA an. Allen graut vor der Vorstellung, ausgerechnet am 60. Jahrestag des Sieges über den Faschismus einer NPD-Demonstration im Berliner Zentrum zusehen zu müssen.
Um der NPD was entgegen zusetzen, habe man vom Treptower Ehrenmal im Südosten der Stadt bis in den Tiergarten Kundgebungen angemeldet. Eine Demonstration soll sich den Neonazis dann direkt in den Weg stellen. Letztere sind derzeit noch auf den Alexanderplatz festgelegt, auch in bester Berliner Lage. Von hier aus wollen sie aber weiter Richtung Brandenburger Tor. Das Bündnis erklärte jedoch, dass keine der Veranstaltungen bisher einen positiven "behördlichen Bescheid" erhalten hätten. Die Behörden wollen sich zeitnah entscheiden hieß es.
Kausch betonte, dass man nicht nur den rechten Aufmarsch verhindern, dem Kriegsende und undifferenziert allen Opfern gedenken, sondern ausdrücklich die Befreiung von den Nazis feiern wolle. So seien "hippe" Künstler wie PR Kantate oder "kultige" Interpreten wie die "Bolschewistische Kurkapelle" dabei. Ansonsten ist die Debatte zum 60. Jahrestag der deutschen Kapitulation eine Bühne für profillose Lokalpolitiker und Totalitarismustheoretiker geworden. Derzeit vergeht kaum ein Tag in Berlin, ohne das sich Kommentatoren, Landes- und Stadtteilfürsten zur Lage von Demokratie und Rechtsstaat äußeren.
Plötzlicher bundespolitischer Aktionismus
Seit dem "Aufstand der Anständigen" im Sommer 2000 und dem angestrengten NPD-Verbotsverfahren war die alltägliche faschistische Gewalt kein Thema mehr, bis die NPD im Herbst 2004 mit fast zehn Prozent der Wählerstimmen in den sächsischen Landtag einzog und klar wurde, dass sie am 8. Mai 2005 in Berlin durchs Brandenburger Tor marschieren wird, wenn sich ihr niemand in den Weg stellt. Plötzlich spürte man bundespolitischen Aktionismus.
Den Startschuss gaben Bundesinnenminister Otto Schily und Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (beide SPD) mit ihrem Vorschlag an bestimmten Orten das Demonstrieren zu erschweren. Rechts- und Verfassungsexperten hatten Bedenken, bürgerrechtsbewegte Kritiker sowieso. Der SPD-Minister ließ nicht locker und legte, angestachelt von der CDU/CSU, neue Entwürfe vor.
Die staatsoffiziellen Aktivitäten zum 8. Mai nahmen nun Formen an, ein großes "Fest der Demokratie" rund um das Brandenburger Tor soll eine NPD-Demo verhindern. Der von den Rechten geplante Vorbeimarsch am Holocaust-Mahnmal dürfte auf Grund des neuen Gesetzes verboten werden. Die Federführung für das Fest hat die Berliner Senatskanzlei übernommen, der Aufruf wird derzeit mit Initiativen, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmerverbänden abgestimmt. Die NPD gibt sich unbeeindruckt, deren Sprecher Klaus Beier sagte in der Berliner Zeitung, bei den Fest-Aktivitäten des Senats handele es sich "um eine Panikreaktion." Die Juristen der Partei würden im Notfall das Bundesverfassungsgericht anrufen.
Noch ist unklar, welche Orte in der Hauptstadt nach der Gesetzesnovelle besonders geschützt werden. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) spricht sich dafür aus, unter anderem das Holocaust-Mahnmal und die Gedenkstätte Neue Wache unter das schärfere Versammlungsrecht zu stellen. Die von fast allen Parteipolitikern unterstützte Initiative "Europa ohne Rassismus" ruft dazu auf, sich aktiv an dem Gedenktag zu beteiligen und sich in der Berliner Mitte vor dem Brandenburger Tor zu versammeln. Insgesamt haben bislang rund 20 Anmelder Veranstaltungen angekündigt.
Der Deutsche Bundestag will am 8. Mai mit einem Staatsakt an die Kapitulation des Nazi-Reiches erinnern. Bundespräsident Horst Köhler wird eine Rede halten, die auf Großleinwand vor dem Brandenburger Tor übertragen werden soll. Ob er, wie sein Amtsvorgänger Weizsäcker, alle Gemüter zu befriedigen weiß, ist unwahrscheinlich.
Über die Entschädigung der Zwangsarbeiter spricht niemand mehr und die Militarisierung der deutschen Politik schreitet voran.
Michael Kronewetter, Antifaschistische Linke Berlin
Auch das 8.Mai-Bündnis sieht "andere inhaltliche Schwerpunkte" beim offiziellen Gedenken. Dass sich in Berlin bis zur "zeitnahen Entscheidung" fast nur noch Spitzenpolitiker und Fraktionsvorsitzende zu Wort melden, hat seine Gründe. Vor einigen Wochen begannen im eher biederen Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf die Hinterbänkler von CDU und FDP ihre Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung für einen Beschluss zu nutzen, am 8. Mai 2005 "neben der Befreiung vom totalitaristischen Naziregime" auch an das Leid zu erinnern, das die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten habe.
Dies sorgte für scharfen Protest aus Gewerkschaften und Vereinen, die Jüdische Gemeinde erklärte in lokalen Medien sinngemäß, es entstehe der Eindruck, die Kommunalpolitiker bedauerten am Zweiten Weltkrieg vor allem die deutsche Niederlage. PDS, SPD und Grüne ermahnten die CDU, und verlangten eine Zurücknahme des Beschluss. Immerhin, der Berliner CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer nannte den BVV-Beschluss seiner zweiten, dritten und vierten Garde ein "schwieriges Thema". Neuerdings steht auch Herr Zimmer steht unter dem Aufruf von "Europa ohne Rassismus".