Filter-Kritiker werden nicht mitgezählt

Auswertung der Umfrage der EU-Initiative Internet Content Rating for Europe

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Müssen Sex, Gewalt, Nackheit, Kraftausdrücke und "potentiell gefährliche Themen" von Inhalteanbietern geratet werden, damit Eltern am heimischen PC Filtersoftware für ihre Kids einsetzen können? Das wollte die EU-Initiative Internet Content Rating for Europe (INCORE) von den europäischen Bürgern wissen, ein vorläufiger Bericht weist deutsche Nutzer als besonders kritisch aus.

Die Frage war nicht, ob Europas Onlinenutzer überhaupt ein Filtersystem wollen, sondern nur was sie für ein Filtersystem wollen. Damit jedenfalls wird im INCORE-Bericht begründet, warum die zwölf Antworten ausgeschlossen werden mussten, in denen Filtersysteme prinzipiell abgelehnt wurden - und konsequenterweise der Fragebogen gar nicht erst ausgefüllt worden war. Diese Einschränkung reichte aber offenbar noch nicht aus, um wenigstens für einzelne Filterkategorien eine Mehrheit zu erhalten. Auch aus den 681 ausgefüllten Fragebögen, die zwischen August und November auf dem INCORE-Server landeten, wurde noch einmal ausgewählt. "Incore erhielt 86 Antworten (weniger als 13 Prozent), die zehn von zwölf vorgeschlagenen (Filter)Kategorien völlig ablehnten. Wir werteten dies als ein Zeichen dafür, dass diese Gruppe das Konzept Rating und Filtering nicht unterstützt, und ein solches System ablehnt", heißt es in dem Kurzbericht. Diese Stimmen gingen in die Ergebnisstatistiken also ebenfalls nicht ein. Schließlich, so die Begründung, habe man sich bei dieser Umfrage ein Bild davon machen wollen, was diejenigen denken, die prinzipiell fürs Filtern sind.

Mit dieser Einschränkung ließen sich dann deutliche Mehrheiten für die Kategorien Sex (61 Prozent), Gewalt (70 Prozent), und Weitergabe privater und finanzieller Daten (67 Prozent) bei einem gleichzeitigen Einsatz von Kontextkategorien (Nachrichten, Erziehung, Medizin, Forschung, Kunst, Regierungsseiten, Sport) errechnen. Kein Interesse besteht offenbar, selbst nach dem Ausschluss der kritischen Geister, an der schwammigen Kategorie der potentiell gefährlichen Themen, unter die Drogenkonsum oder Bombenbau gefasst werden soll (41 Prozent). Auch die aus amerikanischen Systemen entliehene Kategorie für "Nacktheit" fand wenig Liebhaber (32 Prozent). Deutsche Nutzer, die immerhin 60 Prozent aller Antworten lieferten, erwiesen sich dabei als besonders zaudernde Filteranhänger. Für eine "gefährliche Themen"-Kategorie votierten beispielsweise nur 25 (davon nur vier Prozent mit "sehr wichtig"), für "Nacktheit" nur 13 (davon 2 Prozent mit "sehr wichtig"). Aber es gehe bei der Umfrage letztlich nicht um einen "Schönheitstest", sobald eine substanzielle Zahl von Nutzern sich für eine Kategorie ausspreche, könne man diese auch begründen. Wer die Kategorie nicht wolle, könne seinen Browser ja in diesem Fall auf die höchste Stufe stellen.

Die kritische Haltung der Deutschen führten die INCORE-Organisatoren im übrigen auf kritische Berichterstattung in der Presse zurück. In gewissem Maß werden die deutlichen Unterschiede zwischen Sprachgruppen aber auch als Beweis für kulturell unterschiedliche Filteransprüche gewertet. Dass aber nun gerade die teilnehmenden Niederländer (7 Prozent der Antworten nach Frankreich mit 17) sich mit Nachdruck für den Nacktheits-Filter aussprachen, mag auch purer Zufall sein. Wider Erwarten entscheiden übrigens Eltern kaum anders als andere Nutzer.

Die Diskussion der Ergebnisse stellt wohl eine der letzten Aufgaben von INCORE dar. An der Entwicklung eines europäischen - und internationalen - Filtersystems, der sich nun die Internet Content Rating Association (ICRA) im Auftrag der EU widmen soll, führt offensichtlich kein Weg vorbei. Nicht zuletzt die Art der Auswertung der INCORE-Umfrage deutet darauf recht deutlich hin. Fraglich ist nur noch, wie die von der Industrie befürwortete Selbstregulierung und staatliche Jugendschutzrichtlinien am Ende ineinander greifen werden. In der kürzlich vom BMWi vorgelegten Filterstudie werden beispielsweise Koordinierungsstellen im Stil der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften empfohlen.

Auch beim Awareness-Information-Day morgen in Brüssel geht es vor allem um das Wie. Eine Online-Umfrage von Childnet International und der PR-Firma Fleishman-Hillard, wie die Kampagne aussehen sollte, mit der Online-Nutzer in Europa auf das Thema Jugendschutz im Internet aufmerksam gemacht werden soll, fand allerdings noch weniger Interessenten als die INCOREs Filterumfrage.