Finanzielle Kriegsführung: Schuldensystem und Dollarhegemonie

Seite 2: Die "Reformdiktatur aus Washington"

Die hier umrissenen Möglichkeiten einer finanziellen Kriegsführung sind das Spezialgebiet des US-Ökonomen Michael Hudson, dessen Beiträge Telepolis jüngst mehrfach aufgegriffen hat, ob in der Diskussion um die Sabotage von NordStream II oder die Frage nach einer neuen Weltordnung.

Hudson hat umfassend zum Einfluss der USA auf Weltbank und IWF publiziert, größere Bekanntheit erlangte sein Werk "Super Imperialism" von 1972. Dort heißt es:

Gegenüber den Schuldnerländern setzen die amerikanischen Diplomaten über die Weltbank und den IWF den Washingtoner Konsens durch und verlangen, dass die Schuldner ihre Zinssätze erhöhen, um das Geld für die Bezahlung ausländischer Investoren aufzubringen.

Diese unglücklichen Länder führen pflichtbewusst Sparprogramme durch, um die Löhne niedrig zu halten, verkaufen ihr öffentliches Eigentum, um ihre Auslandsschulden zu bezahlen, deregulieren ihre Wirtschaft, um ausländischen Investoren zu ermöglichen Elektrizität, Telefondienste und andere nationale Infrastrukturen zu privatisieren, die zuvor zu subventionierten Preisen angeboten wurden, um das Wachstum dieser Volkswirtschaften zu fördern.

Michael Hudson: Super Imperialism – The Economic Strategy of American Empire

Eine weniger wissenschaftlich fundierte, dafür aber autobiografisch grundierte Einschätzung findet sich im Buch "Confessions of an Economic Hitman" (2004) vom ehemaligen Strategieberater des Energie-Unternehmens Chas. T. Main, John Perkins. Im Vorwort heißt es:

Als EHM [=Economic Hit Man] war es Johns Aufgabe, die Länder der Dritten Welt davon zu überzeugen, enorme Kredite für die Entwicklung der Infrastruktur aufzunehmen – Kredite, die viel größer waren als nötig – und zu garantieren, dass die Entwicklungsprojekte an US-Unternehmen wie Halliburton und Bechtel vergeben wurden.

Sobald diese Länder mit riesigen Schulden belastet waren, konnten die US-Regierung und die mit ihr verbündeten internationalen Hilfsorganisationen diese Volkswirtschaften kontrollieren und sicherstellen, dass Öl und andere Ressourcen in den Dienst des Aufbaus eines globalen Imperiums gestellt wurden.

John Perkins: Confessions of an Economic Hit Man

Der neoliberale Impetus des Washingtoner Konsens, die "Reformdiktatur aus Washington", wird mittlerweile, und spätestens seit der Weltfinanzkrise 2007/2008, von vielen Experten als überholt angesehen. Dennoch sehen nicht wenige den Schlüssel zum Abbau der Strukturschwächen der sogenannten Entwicklungsländer weiterhin in einer "Öffnung gegenüber dem Weltmarkt".

In puncto Imperialismus führen diese Forderungen allerdings am Kern des Problems vorbei. Denn die Rolle der USA beschränkt sich nicht nur auf die Instrumentalisierung der multilateralen Finanzinstitutionen.

Der Dollar-Imperialismus und sein drohendes Ende

Alex Gladstein, Chief Strategic Officer der Nichtregierungsorganisation Human Rights Foundation (HFR) und glühender Bitcoin-Befürworter, hat sich in den vergangenen beiden Jahren eingängig mit der ambivalenten Rolle von Weltbank und IWF sowie mit dem US-amerikanischen Super-Imperialismus nach Michael Hudson beschäftigt (Beispiele hier und hier).

In einem aufschlussreichen Beitrag für das Bitcoin Magazine kommt Gladstein auch auf Hudsons Analyse US-Dollars als Vehikel eines "finanziellen Kolonialismus" zu sprechen. Kernelement ist der Übergang vom Goldstandard (aufgehoben 1971 von US-Präsident Nixon unter dem Eindruck einer galoppierenden Inflation) zu dem, was Hudson als "Schuldverschreibungsstandard" ("Treasury Bill Standard") bezeichnet:

[Die] USA konnten andere Nationen davon überzeugen, in Dollar statt in Gold zu sparen, indem sie garantierten, dass die Dollar gegen Gold eingetauscht werden könnten. Doch letztendlich zogen die US-Funktionäre die Welt über den Tisch und weigerten sich, Milliarden von Dollar, die in die Hände ausländischer Regierungen geflossen waren, unter dem Versprechen, sie seien durch den festen Rückkaufkurs so gut wie Gold, zurückzutauschen.

Diese Täuschung ermöglichte es der US-Regierung, einen immer größer werdenden militärisch-industriellen Komplex und einen ineffizienten Wohlfahrtsstaat zu finanzieren, ohne die traditionellen Kompromisse eingehen zu müssen, die ein Land oder ein Imperium eingehen muss, wenn sein Defizit zu groß wird.

Da die US-Politiker einen Weg gefunden haben, die amerikanischen Schulden in die globale Währungsbasis einzubinden [!], mussten die USA ihre Schulden nie zurückzahlen. Hudson zufolge verwandelte Amerika seinen Schuldnerstatus aus dem Kalten Krieg kontraintuitiv in ein "noch nie dagewesenes Element der Stärke statt der Schwäche".

Alex Gladstein: The End Of Super Imperialism

Ein Echo der Hudsonschen Perspektive findet sich auch 2015 beim Politologen Ian Bremmer, den Telepolis in einem früheren Beitrag mit seiner These von einer "geopolitischen Rezession" der Weltmacht USA zitiert hat:

Wie drückt Amerika also seine Macht aus? Es tut dies mit Drohnen und Überwachung, und vor allem mit dem Dollar. Die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, den Dollar und den finanziellen Zugang sowohl als Zuckerbrot als auch als Peitsche zu nutzen, um die nationalen Sicherheitsinteressen Amerikas zu fördern, und zwar an vielen verschiedenen Orten und auf verschiedene Weise sowohl bei Gegnern als auch bei Verbündeten, ist tatsächlich sehr stark.

Ian Bremmer

Mit der US-amerikanischen Vorherrschaft werde sich auch die "Diplomatie des Zwangs" ["coercive diplomacy"] samt "finanzieller Kriegsführung" dem Ende zu neigen, so Bremmer 2015.

Ende der neoliberalen Phase?

Telepolis hat mit Peter Wahl, Mitbegründer der NGO Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) sowie Gründungsmitglied und Mitglied des Koordinierungskreises von Attac Deutschland über das Thema Schuldenimperialismus gesprochen. Auch er ist der Meinung, dass sich ein Ende der "neoliberalen Phase" abzeichnet.

"Das Schuldensystem ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Dollar-Hegemonie." Und dies wird laut Wahl gerade massiv in Frage gestellt. "Es fing schon mit dem Euro an, und seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass China, Russland und die Schwellenländer ihren Handel zumindest teilweise in den eigenen Landeswährungen abwickeln". Dann folgte der Swift-Ausschluss Russlands.

Mit dem Ausschluss aus dem "von den USA dominierten" internationalen Zahlungssystem sei ein "großer Präzedenzfall" eingetreten: "Das kann zu einer Spaltung im internationalen Finanzsystem führen", glaubt Wahl, "und tendenziell dafür sorgen, dass die einheitliche Globalisierung im Finanzsektor in die Brüche gehen wird".

Wie sich die Weltwirtschaft entwickeln wird, vermag Wahl noch nicht zu beurteilen: "Man ist offenbar bereit, neue Wege zu gehen", sagt er mit Blick auf die 369 Milliarden US-Dollar für den Inflation Reduction Act (IRA) oder das Next Generation-Programm der Europäischen Union (NGEU), "am Ende sind das aber alles nur Pflästerchen".

Die Energiewende, der Umbau der ganzen industrialisierten Welt, wird noch weitaus mehr Opfer verlangen, glaubt Wahl.

Der 74-Jährige ist einer der Wenigen, die hinter den globalen Klimaschutzbestrebungen der USA auch nationale Interessen erkennen (siehe Klimapolitik als geopolitische Waffe).

Was bedeutet das für die "grüne Reform" der Bretton-Woods-Institutionen Weltbank und Währungsfonds? Wird auch hier Klimaschutz als "geopolitische Waffe" eingesetzt? Und warum sind Investmentbanker so scharf auf die Energiewende? Darum soll es im dritten Teil dieser kleinen Serie gehen.