"Finanzstaatsstreich" des ehemaligen Eurogruppenchefs gegen Italien?
Seite 2: Die Drohkulisse der EU: "Märkte" mit steigenden Zinsen
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Tatsächlich spricht Dijsselbloem von einer "Konfrontation". "Angriff" ist ein Synonym dafür. Das lässt der Spiegel-Bericht allerdings auch komplett weg.
Es wird eine Konfrontation geben, und ich denke, die Kommission hat keine andere Wahl, als diese Konfrontation zu akzeptieren.
Jeroen Dijsselbloem
Der Niederländer tut so, als ginge die Konfrontation allein von Italien aus, das "sich selbst retten muss". Man muss die Populisten der M5S und die rechte Regierung nicht mögen, aber derart unlauter dürfen ein Journalist und der Spiegel nicht vorgehen. Man nähert sich damit nur dem Niveau der M5S an, die einen Schritt weiter geht und eine falsche und verdrehte Übersetzung verbreitet.
Hätte die Partei die Worte dem ehemaligen Eurogruppenchef aber nicht in den Mund gelegt, sondern sie als Analyse seiner Worte dargestellt, dann hätte sie sogar ziemlich richtig gelegen. Denn die Aussagen von Dijsselbloem stehen ja wahrlich nicht im luftleeren Raum.
Die Märkte müssen die Regierung zur Vernunft bringen
Es sei vielleicht daran erinnert, dass auch der Spiegel erst kürzlich folgenden Satz übermittelt hat: "Wir müssen darauf setzen, dass die Märkte die Regierung zur Vernunft bringen." Zitiert wird Clemens Fuest, der Chef des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo.
Der erzählt allerdings nicht einen solchen Implosions-Unsinn in Italien, sondern sieht die Gefahr, dass "das ganze Finanzsystem ins Wanken" kommt. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt wird er noch deutlicher. Er spricht von einer möglichen "italienischen Staatspleite". Davor müsse der Rest der Euro-Zone "so gut es geht" abgeschirmt werden.
Da das praktisch fast unmöglich ist, fordert er, dass Brüssel "auf Rom zugehen" müsse. Mehr Solidarität in der Flüchtlingsfrage wäre nur fair. Komme man sich nicht näher, besteht die Gefahr, dass die EU zerfällt: "Das ist die wahre Gefahr, die in der italienischen Krise liegt."
Die Meinung, dass die Märkte mit steigenden Zinsen die Italiener in die Knie zwingen sollten, ist ohnehin weit verbreitet. So schreibt die Neue Zürcher Zeitung (NZZ):
Noch bleibt die Hoffnung, dass "die Märkte" Italien disziplinieren werden, indem sie für italienische Staatsanleihen immer höhere Risikozuschläge verlangen werden.
NZZ
Doch die Schweizer weisen darauf hin, was das auch bedeuten würde.
Steigen die Zinsen allzu stark, wird irgendwann der Ruf nach Hilfskrediten des Euro-Krisenfonds ESM ertönen. Die engen Verflechtungen der Euro-Staaten und das Gewicht Italiens als drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone machen Letztere erpressbar, solange Rom nicht aus dem Euro austreten will.
NZZ
Der Deutschlandfunk berichtet, dass genau die Hoffnung auf steigende Zinsen in der Eurozone verbreitet ist:
Bevorzugter Kandidat für die Domestizierung der italienischen Regierung sind "die Märkte". Also die anonyme Gesamtheit der Geldgeber, auf die Italien angewiesen ist, wenn es seine Schulden refinanzieren muss.
Deutschlandfunk
Angemerkt sei hier, dass Italien dafür jährlich ungefähr Geld im Umfang der gesamten Staatsverschuldung Griechenlands braucht. Wenn höhere Risikoaufschläge bei den Kreditzinsen verlangt würden, "wird der italienischen Regierung auf diesem Weg die finanzielle Beinfreiheit genommen, ja, dann muss Rom doch einlenken", meint der Deutschlandfunk.
Was M5S als "Einladung an die Märkte" bezeichnet, haben die auch schon verstanden. Die Ratingagentur Moody's hat die Kreditwürdigkeit Italiens gerade eine weitere Stufe herabgesetzt, womit das Land nur noch eine Stufe über dem Ramsch-Niveau ist.
Draghi "besinnt sich"
Unterstützt wird der Vorstoß letztlich auch von EZB-Chef Mario Draghi. War er lange Jahre zu "allem" bereit, hat er sich nun an die Regierung seines Heimatlandes gewandt. Er zeigt sich zwar besorgt über die steigenden Zinsen für italienische Anleihen, will aber nun nicht eingreifen, obwohl Italien fast schon so einen hohen Spread wie Griechenland bezahlt. Der Risikoaufschlag ist mit gut 300 Basispunkten doppelt so hoch wie der Portugals.
Der Effekt, Italien über steigende Zinsen zu "domestizieren", ist also längst sichtbar und dient wohl als Drohkulisse im Haushaltsstreit. Das Problem ist, dass die Taktik schnell aus dem Ruder laufen und schnell sehr gefährlich werden könnte.
Anders als in all den Jahren bisher, versucht Draghi "die Märkte" nun nicht zu beruhigen, indem er Maßnahmen ankündigt oder in Aussicht stellt. Er erteilt den Forderungen aus Rom, die Aufschläge über verstärkte Anleihekäufe zu senken, eine klare Absage. Er meint, die EZB "kann keine Neuverschuldung finanzieren". Und plötzlich fällt ihm auch wieder ein, dass die Notenbank eigentlich nur zur Aufgabe hat, für Preisstabilität zu sorgen.
Draghis Worte darf man getrost als Realsatire bezeichnen. Denn die EZB tut seit Jahren nichts anderes, als Neuverschuldung zu finanzieren, auch aus Italien. Aus seiner Heimat hat die EZB schon Papiere im Wert von etwa 360 Milliarden Euro in den Büchern.
Und es werden weiter Anleihen angekauft, allerdings wurden die Ankäufe auf monatlich 15 Milliarden gesenkt. Man darf gespannt sein, soll das Programm am Jahresende auslaufen, womit sich die Lage für Italien weiter zuspitzt.
Seit Jahren kann man auch feststellen, dass die Preisstabilität nur noch als nachrangige Aufgabe in der EZB unter Draghi gesehen wird. Immer offener hatte die EZB unter seiner Führung Konjunkturpolitik gemacht. Eigentlich müsste er, wenn es der EZB wirklich um Preisstabilität ginge, die Nullzinspolitik nun aufgeben.
Denn die Zielmarke einer offiziellen Inflation von unter 2% ist längst überschritten. Sie stieg schon im Juni auf 2% und ist nun schon auf 2,2% geklettert.
Obwohl die Banken längst Zinserhöhungen fordern, vor allem die Minuszinsen auf Einlagen bei der EZB abzuschaffen, verteidigt Draghi auch sie weiter. Aus seinen Worten lässt sich ablesen, dass er noch etwa ein Jahr an der Nullzinspolitik festhalten will.
Letztlich muss man im Haushaltsstreit mit Italien kein großer Wahrsager sein, dass zwar Dijsselbloem eine "besonders schwerwiegende Nichteinhaltung der in den europäischen Vereinbarungen festgelegten haushaltspolitischen Verpflichtungen" ausmacht, aber sich letztlich die Möglichkeiten für Europa in sehr engen Grenzen halten, Italien angesichts des enormen Bedrohungspotentials auf Kurs zu bringen.
Das Schwert mit den drohenden Zinsaufschlägen zur Domestizierung ist stumpf. Es würde sich vor allem schnell gegen den Euro und das europäische Bankensystem richten.