Fleischfresser ohne Sägezähne
Buitreraptor gonzalezorum wirft ein neues Licht auf die Entwicklung der Dromaeosaurier
Die Entdeckung eines gut erhaltenen Saurierskeletts in Patagonien belegt, dass die Dromaeosaurier bereits im Jura auf der Erde unterwegs waren und sich auf den Urkontinenten Laurasia und Gondwana unterschiedlich entwickelten. Im aktuellen Nature stellen die Paläontologen Buitreraptor gonzalezorum, das neue Familienmitglied der Dromaeosaurier, vor.
Das Flussbett „La Buitrera“ (Geier-Canyon, buitre: span. für Geier) in der Provinz Río Negro im Nordwesten Patagoniens hat schon viele Fossilien freigegeben: darunter eine Menge dreidimensionaler Skelette kleiner Wirbeltiere, Schlangen und Sphenodontida, die die Gegend in der späten Kreidezeit bevölkerten. Zu den eher spärlichen Funden von Dinosauriern zählen die Überreste kleiner Abelisaurier und eines riesigen Gigantosaurus. Fülle und Qualität der Versteinerungen reichen an die exzellenten Fossilfunde der Wüste Gobi heran.
Der mit der langen Schnauze
Die argentinischen Paläontologen Sebastián Apesteguía und Federico Agnolín Novas graben schon länger im Sandgestein von „La Buitrera“. Im vergangenen Jahr machten sie zusammen mit Peter Makovicky vom The Field Museum, Chicago, einen weiteren kapitalen Fund: Buitreraptor gonzalezorum aus der Familie der Dromaeosaurier. Der kleine Dino ist fast vollständig erhalten, lediglich an den hinteren und vorderen Gliedmaßen fehlen kleine Stücke, die aus einem zweiten Fossil ergänzt werden konnten. Es ist damit das vollständigste Skelett eines kleinen Theropoden, das jemals in Südamerika gefunden wurde.
Buitreraptor war zwar nur so groß wie ein Hahn, trotzdem benötigten die Forscher zehn Tage, um die Gesteinsplatte, in die er eingeschlossen war, herauszumeißeln. Der kleine Theropode hat einen langen Kopf und einen sehr langen Schwanz. Mit seinen langen, schmalen Schnauze und den relativ kleinen, in weiten Abständen angeordneten Zähnen, denen die sägeförmigen Zacken fehlen, unterscheidet er sich deutlich von anderen Dromaeosauriern. Besonders die Zahnform ist für Fleischfresser ungewöhnlich.
Trotzdem vermuten die Forscher, dass es sich um eine Anpassung an seine bevorzugte Beute wie Schlangen und Eidechsen handelt. Welche Vorteile ihm diese besonderen Zähne jedoch verschafften, können sie nicht beantworten. Darüber hinaus weist Buitreraptor viele Gemeinsamkeiten mit Vögeln auf – an Brustbein, Becken und den flügelartigen Vorderbeinen. Der Schwanz ähnelt dem von Archaeopteryx und Microraptor – weitere, wichtige Indizien für die Verwandtschaft von Dinosauriern und Vögeln.
Dromaeosaurier: bis zu 180 Millionen Jahre alt?
Das Wertvolle an dem Fund ist die Vollständigkeit des Skeletts. Damit steht zweifelsfrei fest, dass Buitreraptor den Dromaeosauriern zuzuordnen ist – und das lässt weitreichende Schlüsse zu. Bislang hat man Dromaeosaurierüberreste nur in Asien und Nordamerika ausgegraben: Velociraptor in China (Wüste Gobi), Microraptor und Sinornithosaurus in China (Liaoning), Utahraptor im Westen der USA. Aus dieser geographischen Verteilung folgerte die Wissenschaft, dass die Dromaeosaurier erst nach der Trennung des Superkontinents Pangäa in die beiden Landmassen Laurasia (Nordhälfte) und Gondwana (Südhälfte) entstanden und dass sie nur auf Laurasia lebten.
In den vergangenen Jahren hat man jedoch auf der südlichen Hemisphäre mehrere Versteinerungen entdeckt, die nach der Familie der Dromaeosaurier aussahen. Die Überreste waren jedoch zu fragmentarisch für eine eindeutige Bestimmung. Buitreraptor ist nun der Beweis, dass die kleinen Jäger auch in Südamerika lebten. Damit öffnet sich für ihre Entstehung ein beachtliches Zeitfenster: Hatte man ihre Entstehung bislang auf den Beginn der Kreidezeit datiert, könnte dieser Zeitpunkt nun auch im mittleren bis späten Jura gelegen haben, also vor bis zu 180 Millionen Jahren. Das jetzt in der Candeleros-Formation freigelegte Exemplar von Buitreraptor gonzalezorum datieren die Paläontologen auf 90 Millionen Jahre.
Verschiedene Seitenzweige
Auf weitere interessante Befunde stießen die Forscher bei der Analyse der Verwandtschaftsbeziehungen des Neulings. Sie stellten fest, dass Buitreraptor und Rahonavis, ein primitiver Vogel, aufgrund ihrer anatomischen Merkmale einen gemeinsamen Seitenzweig der Dromaeosaurier bilden, Velociraptor und die gefiederten chinesischen Dinos Microraptor und Sinornithosaurus einen anderen. Da Rahonavis lange, flügelähnliche Vorderbeine besaß, vermuten Makovicky und seine argentinischen Kollegen nun sogar, dass sich die Flugfähigkeit zweimal entwickelt haben könnte: einmal bei den Vögeln und ein zweites Mal bei den Dromaeosauriern von Gondwana. Bis auf weiteres bleibt das jedoch Spekulation.