Flexible Politiker
Positionswechsel sind nicht schwer, wenn ausreichend Schmiermittel zur Verfügung stehen
Google könnte die derzeit in den USA debattierten Internet-Zensur-Gesetze SOPA und PIPA möglicherweise auf sehr einfache Weise stoppen. Der Konzern müsste dafür lediglich zu jedem Kongressabgeordneten und Senatoren der im November zur Wahl steht, einen willigen Gegenkandidaten finanzieren. Sie glauben das nicht, weil das politische System nicht so korrupt sein kann? Dagegen spricht zum Beispiel der Fall Paul Ryan.
Der republikanische Abgeordnete aus Wisconsin, der dem Haushaltsausschuss vorsitzt, gab am 9. Januar überraschend bekannt, dass er nun doch nicht wie vorher angekündigt für, sondern gegen SOPA stimmen wolle. Die sichtbarste Ursache für diesen plötzlichen Sinneswandel findet sich in Ryans Wahlkreisherausforderer Rob Zerban. Der sammelte durch eine Reddit-Kampagne, die Ryans Position zu SOPA zum Inhalt hat, so überraschend schnell und viel Geld, dass der Abgeordnete um seine Wiederwahl im November bangen muss.
Allerdings funktioniert dieses Modell vielleicht nur dann, wenn die Rechteverwerterindustrie keine besseren Angebote zur Verfügung stellt. So wie sie das beim ehemaligen Senator Chris Dodd machte. Während der Bush-Jahre hatte sich der Demokrat als eifriger Verfechter der Verfassung gegeben. Und als er nach ersten Korruptionsgerüchen keine Chance mehr auf eine Wiederwahl sah und nicht mehr antrat, schwor er der Presse und der Öffentlichkeit hoch und heilig, dass er nach seinem Ausscheiden aus der Politik nie und nimmer als Lobbyist arbeiten werde, wie dies so viele andere vor ihm machten. Kurze Zeit später war er Vorsitzender und CEO des Filmbranchenverbandes MPAA.
Auf dieser Stelle nutzte er fleißig seine alten Verbindungen, um SOPA und dessen Senatsäquivalent PIPA voranzubringen. Zwei Gesetzentwürfe, zu denen das Stanford Law Review unlängst feststellte, dass sie "nicht nur die grundlegenden Prinzipien eines fairen Verfahrens verletzen, indem sie Personen ohne rechtliches Gehör oder Gelegenheit zur Anhörung Eigentum entziehen, sondern auch eine verfassungswidrige Einschränkung der Redefreiheit" sind.
Nimmt man Dodds 1,2 Millionen Dollar Jahresgehalt als Maßstab, dann müsste Google für die 435 Abgeordneten und 33 Senatoren, deren Sitze im November zur Wahl stehen, insgesamt 561,6 Millionen Dollar aufbringen – für den über 100 Milliarden Dollar schweren Konzern sollte das eigentlich machbar sein. Aber vielleicht fehlt den Managern des noch recht jungen Unternehmens einfach noch Erfahrung mit der Politik. Und für den Fall, dass es bei Google tatsächlich Hemmungen gegen solch ein Vorgehen geben sollte, unterbreitete der Electronic-Frontier-Foundation-Mitgründer John Perry Barlow dem Unternehmen diese Woche einen interessanten Vorschlag via Twitter: Beim derzeitigen Börsenkurs könnte das aus einer Suchmaschine entstandene Unternehmen nämlich alternativ einfach die wichtigsten Content-Firmen einkaufen und anschließend deren Lobbyisten feuern.
Dann müsste sich Google allerdings mit Buchhaltern auseinandersetzen, die vorrechnen, dass (alleine die Steuern betreffend) jeder für Lobbyarbeit ausgegebene Dollar für 220 Dollar Ersparnis sorgt – und solange die Rechtslage solche Geschäfte erlaubt, muss sie ein wirtschaftlicher Akteur annehmen. Bei Strafe seines Untergangs.
In Deutschland wäre so etwas nicht möglich, denken Sie? Ganz im Gegenteil: Die Bundesrepublik gehört zusammen mit Saudi-Arabien, Syrien und dem Sudan zu den ganz wenigen Ländern, die die UN-Konvention gegen Korruption noch nicht umgesetzt haben: Abgeordnetenbestechung ist in Deutschland deshalb weiterhin legal. Und Abgeordnete wie Siegfried Kauder setzen sich offen dafür ein, dass das so bleibt. Manchmal hat das geradezu absurde Konsequenzen – etwa dann, wenn sich das Entwicklungshilfeministerium öffentlich rühmt, Entwicklungsländer bei der Umsetzung des Anti-Korruptions-Abkommens zu helfen, während die FDP, die Partei des Entwicklungshilfeministers Dirk Niebel, dies in Deutschland relativ geschlossen blockiert.
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