Flucht und Migration: Grenzüberschreitungen im Schatten von Afghanistan
Zwischen Belarus und Polen kampieren Flüchtlinge, die zum geopolitischen Spielball geworden sind. Es gibt Berichte über Misshandlungen durch Grenzbeamte
Es gibt keinen Ausweg, im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Gruppe von 50 Migranten aus Afghanistan und dem Irak kampiert seit knapp zwei Wochen auf einem Grenzstreifen zwischen Polen und Belarus unter dem freien Himmel. Die Grenzbeamten der beiden Länder sorgen dafür, dass sie weder vor noch zurückdürfen. Am Mittwoch sollen die belorussischen Behörden Frauen und Kindern aus dem Irak erlaubt haben, sich auf das Territorium der ehemaligen Sowjetrepublik zurückzuziehen.
Nach Angaben der polnischen Hilfsorganisation "Stiftung Rettung" waren die verbliebenen 32 Menschen ab Mittwoch zunächst von Trinkwasser und Nahrung abgeschottet. Die polnischen Grenzbeamten würden die Lebensmittellieferung aus dem nahen polnischen Dorf Usnarz Gorny unterbinden, hieß es. Auch würde kein medizinisches Personal durchgelassen. Polnische Reporter weisen darauf hin, dass die Flüchtlinge verbal Antrag auf Asyl stellen, die Grenzbeamten täten so, als würden sie dies nicht hören. Das verstoße gegen die Genfer Konventionen.
"Mittel in den Händen von Herrn Lukaschenko"
"Das sind Menschen, die mein aufrichtiges Mitgefühl haben, aber sie sind ein Instrument, ein Mittel in den Händen von Herrn Lukaschenko", begründet Polens Premierminister Mateusz Morawiecki die harte Linie unter Verweis auf den belorussischen Präsidenten und dessen mutmaßliche Taktik. "Polen gibt nicht nach." Mittlerweile hat die nationalkonservative Regierung in Warschau auch 1.000 Soldaten zur Grenze im Nordosten des Landes beordert, um Stärke zu demonstrieren.
Unklar ist bislang, auf welcher Seite der Grenze die Flüchtlinge aktuell kampieren. Die polnischen Grenzbeamten behaupten, sie wären noch auf der belorussischen Seite. Vermutlich kalkuliert die polnische Regierung, dass die weißrussischen Gegenspieler irgendwann aufgeben und alle Menschen zurück lassen.
PiS will grundsätzlich keine Muslime in Polen aufnehmen
Die Polen seit 2015 regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) will grundsätzlich keine Asylsuchenden muslimischen Glaubens ins Land lassen. So lehnt sie auch die Quotenregelung der EU ab, bei der sie Migranten aus den Lagern in Italien und Griechenland hätte beherbergen sollen.
Seit Ende Mai lässt der belorussische Staatspräsident Alexander Lukaschenko Migranten aus Nahost an die Grenzen von Litauen, später auch von Lettland und nun auch von Polen transportieren. Dies gilt als Reaktion auf das Engagement für die belorussische Opposition vor allem Litauens und Polens. Tausende von Gegnern des Staatspräsidenten mussten im vergangenen Herbst ins Ausland fliehen. Lukaschenko hatte die Proteste gegen die Präsidentschaftswahl niederschlagen lassen, die im Westen nicht anerkannt wird.
Inzwischen bereitet auch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan den baltischen Staaten und Polen die Sorge, es könnten weitere Flüchtlinge kommen. Litauens Premierministerin Ingrida Simonyte appellierte am Dienstag an die EU-Länder, sich auf "Charterflüge von Kabul nach Minsk" vorzubereiten.
Möglich sei auch, dass Opiate aus Afghanistan ihren Weg über Minsk nach Polen und in die baltischen Länder, sprich in die EU fänden. Der in Belarus seit 1994 regierende Alexander Lukaschenko erklärte Ende Juni dieses Jahres, dass der Westen nicht damit rechnen solle, sein Land würde den Drogenschmuggel unterbinden.
Die baltischen Innenministerien appellieren darum an die EU, den Bau von Grenzzäunen mit Fonds zu unterstützen. Ein entsprechender Antrag der betroffenen Mitgliedsländer an die EU-Kommission wurde auf der Innenministerkonferenz am Mittwoch beschlossen. Engagiert ist dabei auch Estland, das nicht an Weißrussland grenzt. Dort will die Regierung ebenfalls keine Asylsuchenden aus dem islamischen Kulturkreis aufnehmen. Jedenfalls so gut wie keine. Premierministerin Kaja Kallas machte Anfang dieser Woche klar, dass ihr Land zehn Afghanen hineinlassen könne, erhöhte jedoch später auf 30.
Litauen plant zum Schutz vor unerwünschter Migration einen vier Meter hohen Grenzzaun, die Grenze zu Belarus soll im September 2022 vollkommen abgezäunt sein. Auch in Lettland wird seit Jahren der Bau eines Zaunes vorbereitet. Polen plant die vierhundert Kilometer lange Grenze mit dem Moskau-nahen Nachbarn via Stacheldraht zu sichern, rund 100 Kilometer sind schon damit bestückt.
Von illegalen Grenzübertritten ist hauptsächlich Litauen betroffen. Bislang seien mehr als 4.100 Flüchtlinge die Grenze zu dem Land mit drei Millionen Einwohnern überschritten. Allerdings habe sich die Zahl verringert, seit die litauischen Behörden die meisten Asylsuchen gleich nach der Festnahme zurück schickten, berichtet das Nachrichtenportal delfi. Diese Praxis wendet auch Lettland an. Seit einer Woche wird auch die Armee eingesetzt, schon im Juni wurden Freiwilligen-Bataillone aufgestellt, um die Grenze zu schützen.
Nach Angaben des litauischen Außenministers Arvydas Anušauska hielten sich bis zu 5.000 Menschen aus dem Nahen Osten im Westen Weißrusslands auf, denen das Geld ausgehe und die von den belorussischen Behörden über die Grenze gebracht würden, was der litauische Staat nicht erlaube. Lukaschenko sei daher selbst in der Falle, die er Litauen gestellt habe.
Für Aufsehen sorgten litauische Aufnahmen, die belegen sollen, dass belorussische Beamte die Grenze überschritten hätten. Angesichts der kommenden russisch-belorussischen Manövers Zapad befürchtet das litauische Innenministerium weitere Grenzüberschreitungen.
Die belorussische Seite beklagt, dass die Flüchtlinge von litauischen Grenzern geschlagen würden, ein Iraker sei nach den Misshandlungen in einem Krankenhaus in Weißrussland gestorben. Der litauische Grenzschutz konterte mit einem Video, das beweisen soll, dass die Gewalt ihrer Behörden von der belorussischen Seite "gefaket" worden sei.
Mit Vertretern ausländischer Medien, darunter der US-Sender CNN und der britische Sender Sky News, sprach der belorussische Grenzschutz ausführlich und zeigte ihnen Aufnahmen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen durch litauische Beamte.
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