Flucht und Migration: Lob der Schlepper und Schmuggler
Sind Fluchthelfer Kriminelle oder Helden? – Mal liegen Jahrzehnte zwischen zwei Lesarten, mal sind es nur 100 Kilometer. Was auf einer ungewöhnlichen Gala in Berlin dazu gesagt wurde.
Diesen Jahrestag dürfte kaum jemand in Erinnerung behalten haben. Am 25. Juni 1986 zeichnete der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker Lisa Fittko mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse aus. Verliehen wurde es ihr für vorbildliche Leistungen auf wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Gebiet. Die Leistung von Lisa und Hans Fittko war wirklich beispielhaft. Sie hatten hunderten Verfolgten des Naziregimes in den Jahren 1940/41 bei der Flucht von Südfrankreich über die spanische Grenze geholfen.
"Getragen von tief verwurzelten humanistischen Überzeugungen retteten die Fittkos vor den Nazis Geflohene, ohne nach deren sozialer Herkunft, Parteizugehörigkeit oder weltanschaulicher Position zu fragen", heißt es in einem Gedenkartikel. 37 Jahre nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Lisa Fittko erinnertedie Organisation Borderline Europe mit einer Gala für Schmuggler in Berlin aus sehr aktuellen Anlass an die mutige Frau.
Allein in Griechenland sind Tausende Menschen inhaftiert, weil sie des Menschenschmuggels verdächtigt werden. Sie werden beschuldigt, Migranten einen Weg in die EU gebahnt zu haben. Zu diesen Gefangenen gehört Homayoun Sabetara. Er wurde zu einer Haftstrafe von 18 Jahren wegen Fluchthilfe verurteilt. Seine Tochter Mahtab Sabetara nahm für ihn die "Goldene Lisa", wie Borderline Europe den ausgelobten Preis nennt, entgegen. Hamza Haddi konnte den Preis in Berlin persönlich entgegennehmen.
In bewegenden Worten schilderte der marokkanische Menschenrechtsaktivist, wie er misshandelt worden sei und mehrere Monate in griechischen Gefängnissen verbringen musste. Ihm war von den griechischen Behörden Fluchthilfe vorgeworfen worden, weil er geholfen hatte, das gestrandete Boot, auf dem er mit vielen anderen Geflüchteten saß, an Land zu bringen. Haddi berichtete über den Schock, als sie, gerade der Todesgefahr entronnen, auf dem griechischen Festland Menschen trafen. "Es waren Polizisten. Doch sie kamen uns nicht zur Hilfe. Sie hatten Waffen, die sie auf uns richteten", berichtete Haddi.
Nach mehrmonatiger Haft wurde er nach einer europaweiten Solidaritätskampagne freigesprochen. Doch seine Gedanken sind bei den vielen gefangenen Fluchthelfern, die weiter in griechischer Haft sitzen. Und es kommen immer neue Gefangene dazu. Nach dem Untergang eines Flüchtlingsboots mit mindestens 85 Toten Mitte Juni sind neun Überlebende als Fluchthelfer inhaftiert. Die Vorwürfe Überlebender, dass das Schiff durch einen Pushback von der Polizei zum Kentern gebracht worden sei, hat zu keinen Festnahmen geführt.
Fluchthilfe – mal beklatscht, mal kriminalisiert
Die polnische Antirassistin Kalina Czwarnog berichtete, wie sie und ihre Mitstreiter in den letzten Jahren von der polnischen Polizei verfolgt und kriminalisiert wurden, weil sie Geflüchteten, die über die belorussische Grenze nach Polen gelangt waren, Essen und Medikamente gebracht hatten. Dabei wurden sie der Fluchthilfe bezichtigt, obwohl die Menschen, denen sie halfen, längst auf polnischen Territorium waren, aber unter menschenunwürdigen Verhältnissen und der Witterung ausgesetzt.
"Nur 100 Kilometer weiter wurden Helfer:innen willkommen geheißen, die nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Menschen bei der Flucht nach Polen unterstützten" beschrieb Czwarnog eine Solidarität mit Geflüchteten, wie sie sich antirassistische Organisation für alle Menschen wünschen.
In ihrer Abschlussrede riefen Valerie Hänsel und Kerem Schamberger von Medico International zur verstärkten Solidarität mit den Tausenden Menschen auf, die allein in Griechenland unter dem Vorwurf der Fluchthilfe im Gefängnis sitzen. Es geht darum, ein solidarisches Umfeld zu schaffen, wie es Lisa Fittko in ihrer Biographie "Mein Weg über die Pyrenäen" sehr anschaulich beschrieben hat. Dazu gehörte der sozialistische Bürgermeister des Ortes ebenso wie zwei Gendarmen, die sogar Tipps gaben, wie die Menschen auf der Flucht sich möglich unauffällig verhalten könnten, um der Polizei nicht aufzufallen.
Ein solch solidarisches Umfeld will auch Borderline Europe in Deutschland aufbauen. Die gutbesuchte Veranstaltung zeigt, dass dieses Ziel zumindest ansatzweise erreicht wurde.
Wie Taxifahrer als Fluchthelfer verfolgt wurden
Dass heute so viele Menschen als vermeintliche Fluchthelfer in Griechenland inhaftiert sind, liegt auch an einer Abschottungspolitik, die dafür gesorgt hat, dass Geflüchtete EU-Staaten wie Deutschland erst gar nicht mehr erreichen können.
Das war vor 25 Jahren noch anders, als viele Migranten über die Oder-Neiße-Grenze oder über Tschechien nach Deutschland gelangten. Damals wurden zahlreiche Taxifahrer der Fluchthilfe angeklagt, nur weil sie ihren Job machten, Fahrgäste für Geld von A nach B zu befördern. Ihnen wurde vorgeworfen, sie hätten wissen müssen, dass die Menschen keine Papiere hatten, obwohl Taxifahrer gar nicht danach fragen dürfen. Der kürzlich verstorbene Kreuzberger Aktivist Ulf Mann erinnerte in seinem vor fast 20 Jahren veröffentlichen Buch "Transit" an die Repression gegen die Taxifahrer in den Jahren 1997/98. Es gab auch Verurteilungen zu Bewährungs- und Haftstrafen.
Es gab allerdings auch eine bundesweite Solidarität mit den kriminalisierten Taxifahrern, die unter anderem mit Autokorsos ausgedrückt wurde. Auch heute werden noch Menschen in Deutschland und Österreich wegen Fluchthilfe verfolgt. Ein Betroffener berichtete, dass er mehrere Monate im Gefängnis war, weil er drei Geflüchtete in seinem Auto von Slowenien nach Österreich mitnehmen wollte. Aber durch die Abschottung ist die große Mehrheit der Betroffenen in Griechenland inhaftiert.
Eine EU-weite Solidaritätskampagne steht noch aus. Flucht und Migration haben meist gute Gründe. Menschen fliehen vor allem vor schlechten Zuständen einer Weltordnung, deren Politik der Ausbeutung von Mensch und Umwelt durch Großkonzerne den roten Teppich ausrollt. Neben der Fluchthilfe sollte allerdings die Solidarität mit Menschen, die in ihren Ländern für andere gesellschaftliche Verhältnisse kämpfen, einen großen Stellenwert einnehmen.
Denn klar ist, es muss um die Rechte von Geflüchteten gekämpft werden, aber auch für das Recht, der Menschen, in ihren Geburtsleben leben zu können. Flucht und Migration sollten daher nicht verherrlicht und romantisiert werden. Es sollte vielmehr weltweit für Verhältnisse gekämpft werden, in denen es keine Flucht und keine Fluchthelfer mehr geben muss.