Fluchtursachen: Deutschlands neue Afrikapolitik
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Die Investitionsbedingungen sollen in einer neuen Partnerschaft mit Afrika verbessert werden - und man spricht von einem Marshallplan mit Afrika
Die deutsche Politik hat Afrika neu "entdeckt". Sowohl über die G20-Präsidentschaft, als auch durch einen "Marshall-Plan mit Afrika" beziehungsweise durch eine gemeinsame Initiative vom Minister für Entwicklungspolitik Müller und Wirtschaftsminister Gabriel sollen Unternehmen und Investitionen nach Afrika gelockt werden. Ziel dieser Initiativen ist es, Perspektiven in afrikanischen Ländern aufzubauen, um Fluchtursachen zu überwinden.
Doch diese Politik ist nur alter Wein in neuen Schläuchen. Afrikanische Staaten werden schon seit Jahren dazu getrieben, vermeintliche Investitionshemmnisse abzubauen und ausländische Unternehmen anzulocken. Bisher haben diese Ansätze aber nicht zur Schaffung von Perspektiven beigetragen. In vielen afrikanischen Staaten gibt es eine Beschäftigungskrise und eine hohe Jugend-Arbeitslosigkeit.
G20 - Neue Partnerschaft mit Afrika
"Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse." Mit diesen Worten beschreibt Angela Merkel die neue Bedeutung Afrikas für die deutsche Politik.
Die sogenannte Flüchtlingskrise hat Afrika und die dortigen Entwicklungsprobleme wieder auf die Agenda deutscher Politik gesetzt. Deutsche Ministerien haben erkannt, dass es in Afrika an Arbeitsplätzen und Perspektiven mangelt. Mit einigen Initiativen soll nun versucht werden, die "Investitionsbedingungen" auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern und dadurch Arbeitsplätze zu schaffen.
Am deutlichsten wird das deutsche Bemühen durch die Pläne für die deutsche G20-Präsidentschaft im Jahr 2017. Unter Schirmherrschaft des Finanzministeriums plant die deutsche Regierung eine neue Partnerschaft mit Afrika (Compact with Africa), um die Lebensbedingungen auf dem Kontinent zu verbessern. Ziel sei es dabei, Unternehmen nach Afrika zu locken und die dortige Infrastruktur durch Investitionen zu verbessern.
Erreicht werden sollen diese Ziele, indem die Investitionsbedingungen verbessert werden. Hinter dieser Worthülse verbirgt sich ein ökonomischer Ansatz, der schon seit Jahrzehnten in der Entwicklungszusammenarbeit verfolgt wird. Dabei geht es darum, den Unternehmen möglichst gute Rahmenbedingungen zu verschaffen. Konkret: eine gute Infrastruktur, den Abbau von Bürokratie, keine Einmischung staatlicher Stellen in wirtschaftliches Handeln, freie Märkte, gut ausgebildete Arbeitskräfte, Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechte, sowie funktionierende Finanzinstitutionen. Dass der "Compact with Africa" erneut diesen Ansatz wählt, wird durch Aussagen des Ökonomen Paul Collier deutlich, der die Bundesregierung bei der Ausgestaltung des Compacts berät. Er fordert massive Infrastrukturinvestitionen, gute Gesetze, stabile Institutionen [= Abbau von Bürokratie, Rechtsstaatlichkeit und Eigentumsrechte - Anmerkung des Autors] und eine gut ausgebildete Bevölkerung.
Collier spricht sich auch für den Freihandel aus. Er führt China als Beispiel an für ein Land, welches "die Weltwirtschaftsordnung nicht verändert (hat) und dennoch den Sprung aus der Armut geschafft" hat. Dabei verschweigt Collier aber, dass China erst sehr spät in seinem Entwicklungsprozess der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten ist (2001). Lange Zeit durfte China sehr stark in die Wirtschaft eingreifen und tut dies auch heute noch. Beispielsweise haben chinesische Unternehmen mit Unterstützung des Staates massive Kapazitäten im Stahlsektor aufgebaut. Hierzu könnte Collier mal bei der Bundesregierung nachfragen, die schon seit Monaten Chinas angebliche Dumping-Politik im Stahl-Sektor kritisiert.
Deutschlands G20 Vorschlag: "Compact with Africa" greift viel zu kurz
Chinas Eingriffe in die Wirtschaft sind nur ein Beispiel dafür, dass der "Compact with Africa" und der alleinige Fokus auf die Investitionsbedingungen viel zu kurz greift und nicht dazu beitragen wird, Unternehmertum in afrikanischen Ländern entscheidend zu stärken. Um wirklich massiv Arbeitsplätze zu schaffen und lebenswerte Perspektiven in den Herkunftsländern von Geflüchteten aufzubauen, braucht es ein ganz anderes Vorgehen. Hier können die südasiatischen Tigerstaaten - Südkorea, Taiwan, Japan - und andere Erfolgsbeispiele wirtschaftlicher Entwicklung als Vorbilder herangezogen werden.
Diese Länder vertrauten nicht einzig auf Investitionen ausländischer Unternehmen. Vielmehr schränkten sie während ihres wirtschaftlichen Aufstiegs - und teilweise auch noch heute - die "Investitionsfreiheit" ein. Sie setzten ausländischen Unternehmen Schranken, um inländische Unternehmen aufzubauen (siehe China, Taiwan und Südkorea). Es war diese "Aufzucht" einheimischer Unternehmen, die zu einer massiven Schaffung von Arbeitsplätzen führte. Zwar gab es auch Investitionen von außen, aber die Ausweitung von Produktionskapazitäten in den Tigerstaaten sowie China und anderen aufholenden Ländern wurde zum Großteil durch einheimische Quellen finanziert. Und auch die USA und andere "historische Fälle" griffen aktiv in die Wirtschaft ein, um einheimische Unternehmen aufzubauen.
Selbst eine Weltbank-Studie besagt, dass ausländische Investitionen erst dann zu breitenwirksamen positiven Effekten führen, wenn es nationale Unternehmen gibt, die genug Wissen und Erfahrung haben, um die Innovationen und Technologie ausländischer Firmen zu kopieren. In vielen afrikanischen Staaten gibt es diese Unternehmen noch nicht, sodass ausländische Investitionen nur wie unverbundene Inseln wirken würden und afrikanische Unternehmen kaum dazu befähigen würden, Technologien und Innovationen zu übernehmen und dadurch mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Der Fokus auf die Verbesserung der Investitionsbedingungen zur Anlockung ausländischer Unternehmen ist zudem ein Konzept, das sich selbst in den Schwanz beißt. Denn ein Land, welches seine Investitionsbedingungen verbessert, lockt nur so lange Unternehmen an, bis ein anderes Land noch bessere Investitionsbedingungen aufweisen kann. Es besteht also die Gefahr, dass die afrikanischen Staaten miteinander um die kargen Investitionen ausländischer Unternehmen konkurrieren, dass sich also mittelfristig Kosten und Ertrag nicht mehr die Waage halten.
Erneut zeigt sich, wie wichtig es ist, einheimische Unternehmen zu fördern. Diese haben ein genuines Interesse an der Entwicklung ihres Landes und sind dort viel stärker verwurzelt. Im Gegensatz zu internationalen Firmen werden einheimische Unternehmen ihr Land nicht verlassen, wenn es in einem Nachbarland vermeintlich bessere Investitionsbedingungen gibt. Diese entscheidenden Zusammenhänge und die Bedeutung einheimischer Unternehmen werden mit den Plänen der deutschen G20-Präsidentschaft übersehen.
Durchdachte Industriepolitik statt einseitigem Fokus auf Investitionsbedingungen notwendig
Afrikanische Industrien brauchen Zeit und den Zugang zu Technologien und Wissen, um sich zu modernisieren. Nur dadurch können sie auf dem Weltmarkt bestehen und Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Dafür bedarf es nicht nur der richtigen Handelspolitik (übergangsweiser Schutz vor internationaler Konkurrenz), sondern auch einer durchdachten Industriepolitik.
Hier können erneut die Tigerstaaten, namentlich Südkorea und Taiwan, als Vorbilder dienen. Sie verfolgten eine Industriepolitik bei der einheimische Unternehmen gefördert und gleichzeitig gefordert wurden. Sie belohnten die erfolgreichen Unternehmen und bestraften jene Unternehmen, die keine oder zu wenig Fortschritte vorweisen konnten. Die Kombination aus erstens diesem Kontrollmechanismus, zweitens einer beflügelnden Konkurrenz unter den nationalen Unternehmen bei einer gleichzeitigen, übergangsweisen Abschottung vor billigen Importen und drittens der Möglichkeit, eigene Produkte zollfrei auf dem Weltmarkt zu verkaufen, führte zur "Entwicklung" dieser späten Industrieländer.
Eine gute Infrastruktur (Energie und Verkehrswege), gut ausgebildete Arbeitskräfte und funktionierende Finanzinstitutionen (in diesen Fällen bedeutete das allerdings Banken, die einheimische Unternehmen förderten), waren bei der Entwicklung Südkoreas und Taiwans notwendiges, aber nicht hinreichendes Beiwerk (s. hier und hier).