Flugreisen in rechtsfreie Räume

Neue Erkenntnisse über die geheimen Aktivitäten der CIA

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Spätestens seit der Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 ist klar: Der Kampf gegen den Terror wird nur sehr bedingt nach den Bestimmungen des Völkerrechts oder der Genfer Konvention geführt. Dass Menschen von westlichen Geheimdiensten ohne Rechtsgrundlage festgenommen, verschleppt und gefoltert werden könnten, überstieg trotzdem lange Zeit die Vorstellungskraft der Weltöffentlichkeit. Seit Fälle wie die des Deutschen Khaled El-Masri, der von der CIA entführt und als Terrorverdächtiger behandelt wurde, die Schlagzeilen bestimmen, hat sich daran Entscheidendes geändert.

Mittlerweile darf mit einigem Recht vermutet werden, dass das sogenannte Rendition-Programm schon Mitte der 90er Jahre gestartet wurde, und so ist vieles vorstellbar, wobei die Phantasie immer Gefahr läuft, von der Realität überholt zu werden. Ein aktueller Bericht der Menschenrechtsorganisation amnesty international zeigt, welch komplexes System die CIA entwickelt hat, um in einer Vielzahl von Geheimoperationen internationales Recht zu beugen und Terror-Verdächtige nach eigenem Gutdünken zu behandeln. „Below the radar: Secret flights to torture and ‚disappearance’“ schildert geheime Flugrouten, die Erlebnisse der oft monate- oder sogar jahrelang festgehaltenen Opfer, die Bedeutung von Strohfirmen wie der eigens von der CIA gegründeten „Premier Executive Transport“ und die Rolle der Länder, in denen es Geheimgefängnisse gibt oder gegeben hat.

Der amnesty-Bericht vermittelt aber auch einen Eindruck davon, was die Inhaftierung und Verschleppung für die Betroffenen bedeutet. Viele von ihnen stehen so wie der jemenitische Staatsbürger Muhammad Abdullah Salah al-Assad, der 18 Monate ohne erkennbaren Grund im US-Gewahrsam verbrachte, vor dem Nichts: „Für mich muss nun ein neues Leben beginnen, weil ich das alte nicht wiederfinde“, sagt Muhammad al-Assad, dessen Geschäft in der Zwischenzeit ruiniert ist. Heute hat er Schulden und weiß noch immer nicht, ob er jemals wieder nach Tansania zurückkehren kann, wo er seit 1985 gelebt hat.

Mehrere hundert Menschen wurden verschleppt

Telepolis sprach mit Ferdinand Muggenthaler, dem US-Experten der deutschen Sektion von amnesty international über die Geheimoperationen der CIA.

Was ist wirklich neu an diesem amnesty-Bericht, und worauf stützen sich Ihre Informationen?

Ferdinand Muggenthaler: Neu sind im wesentlichen drei Dinge. Wir haben – vor allem durch die Aussagen der drei jemenitischen Gefangenen Muhammad al-Assad, Muhammad Bashmilah and Salah Qaru - endlich detailliertere Informationen darüber, wie es in den „black sites“ der CIA aussieht. Wir wissen in dem genannten Fall, dass sehr systematisch und organisiert vorgegangen wurde und die Anlage, in der die drei festgehalten worden sind, offenbar für eine größere Anzahl von Gefangenen vorgesehen ist. Sie umfasst beispielsweise eine Bibliothek mit 600 Büchern in unterschiedlichen Sprachen. Ein weiterer jemenitischer Gefangener der in der Nähe von Kabul festgehalten wurde, hat durch eine genaue Beschreibung seines Gefängnisses übrigens auch die Angaben von Khaled El-Masri bestätigt.

Darüber hinaus können wir durch die Flugzeiten und die Gebetskalender, die den Gefangenen ausgehändigt wurden, die Region eingrenzen, in der das Gefängnis liegt oder lag. In Frage kommen Rumänien, Bulgarien oder die Türkei. Denkbar wären auch Georgien, Albanien oder Aserbaidschan. Außerdem haben wir das Firmengeflecht untersucht, dessen sich die CIA für die Durchführung des Rendition-Programms bedient hat.

Der Bericht basiert auf sehr unterschiedlichen Quellen, deren Kombination oft einem Puzzlespiel gleicht und viel detektivische Kleinarbeit erfordert. Neben den Aussagen der Betroffenen haben wir Erkenntnisse herangezogen, die im Laufe von Gerichtsverfahren in Italien oder Spanien ermittelt wurden. Dazu kommen nach dem „Freedom of information Act“ freigegebene Daten aus den USA , Beobachtungen von Plane-Spottern, Protokolle der europäischen Flugsicherungsbehörden und einiges mehr.

Gibt es Erkenntnisse darüber, wie viele Menschen seit 2001 auf diese Weise verschleppt wurden?

Ferdinand Muggenthaler: Wir vermuten, dass mehrere hundert Menschen betroffen sind. Der ägyptische Premierminister hat zugegeben, dass die USA allein an sein Land 60-70 überstellt haben – dort werden die Gefangenen oft schwer gefoltert. Nur einen Teil der Gefangenen lässt die CIA in ihren eigenen Geheimgefängnissen verschwinden.

Wie hat man sich die Zustände dort vorzustellen? Werden die Gefangenen misshandelt und gefoltert?

Ferdinand Muggenthaler: Nein, die körperlichen Grausamkeiten bleiben meistens den befreundeten Diensten überlassen. Die von uns interviewten Jemeniten Muhammad Bashmilah und Salah Quaru berichten beispielsweise von schwerer körperlicher Folter in Jordanien, bevor sie an die Amerikaner übergeben wurden.

In den Geheimgefängnissen der CIA würde ich nach dem jetzigen Stand der Dinge eher von weißer Folter sprechen, die keine körperlichen Spuren hinterlässt. Die Betroffenen wurden verschleppt und bis zu 18 Monaten ohne jeden Kontakt zur Außenwelt inhaftiert. Ihre Zellen waren kahl, sie wurden permanent beschallt und mussten ausschließlich unter Kunstlicht leben, da ihnen kein Hofgang erlaubt war. Die Wachen waren immer maskiert, persönlich gesehen haben sie nur den vermeintlichen Direktor, der ihnen schließlich ihre Entlassung ankündigte.

Eine so lange Isolationshaft und ein solcher Entzug von Sinneseindrücken kann zu einer ähnlichen Traumatisierung führen wie körperliche Folter. Man muss sich auch klar machen, was es für die Familien bedeutet, wenn der Vater für über ein Jahr spurlos verschwindet.

Die Frage, ob die Betroffenen zu Recht oder zu Unrecht verdächtigt werden, spielt für amnesty vermutlich keine Rolle.

Ferdinand Muggenthaler: Nein, Menschenrechte gelten für alle. Bei einem solchen Verfahren wird man außerdem die Schuld nie feststellen können. Im Fall der drei jemenitischen Staatsbürger hat offenbar die CIA selbst keinen Grund mehr für eine Inhaftierung gesehen, und im Jemen wurden sie nie wegen terroristischer Vergehen angeklagt. Wir müssen aber befürchten, dass Menschen, von denen man sich mehr Informationen erwartet, noch schlimmer behandelt werden – soweit man davon überhaupt sprechen kann.

Ist es nicht wahrscheinlich, dass die Bush-Administration im Detail über diese Vorgänge informiert ist?

Ferdinand Muggenthaler: Ja. Die Regierung gibt zu, dass es Renditions gibt, bestreitet aber, dass die Opfer gefoltert oder an Folterstaaten übergeben werden. Wir wissen allerdings von ehemaligen CIA-Mitarbeitern, dass ein Rendition-Programm schon 1995 eingeführt wurde. Presseberichten zufolge hat nach dem 11. September 2001 dann Präsident Bush der CIA die Vollmacht erteilt, Terrorverdächtige nicht nur zu entführen, sondern auch in Geheimgefängnissen festzuhalten.

Die CIA hat offenbar eine Reihe von Scheinfirmen gegründet, um ihre Operationen reibungsloser durchführen zu können. Wie geht sie dabei vor?

Ferdinand Muggenthaler: Nehmen wir mal „Premier Executive Transport“. Das Unternehmen wurde 1994 in Dellaware gegründet, später taucht es dann als ausländische Firma in Massachusetts wieder auf. „Premier Executive Transport“ besaß nie mehr als ein Postfach in Washington und zwei Manager mit offensichtlich neu erstellten Sozialversicherungsnummern. Der einzige Zweck des Unternehmens besteht darin, zwei Flugzeuge zu besitzen, die für die CIA im Einsatz sind und ständig unter neuen Nummern registriert werden. Auch die Boeing 737 gehört dazu, mit der aller Wahrscheinlichkeit nach Khaled El-Masri nach Afghanistan geflogen wurde. Inzwischen ist die Firma zu verdächtig geworden. Ende letzten Jahres ist sie von der Bildfläche verschwunden. Eines ihrer Flugzeuge steht im Internet zum Verkauf. „Unter Marktwert“, wie es in der Anzeige heißt, wegen der vielen Flugmeilen, die es schon zurückgelegt hat.

Sie vermuten, wie auch Dick Marty, der Sonderermittler des Europarats, dass es in der Türkei und möglicherweise in verschiedenen Ländern Osteuropas Geheimgefängnisse gibt oder gegeben hat. Was versprechen sich diese Länder von einer Unterstützung der CIA?

Ferdinand Muggenthaler: Man kann sich kaum vorstellen, dass die Behörden der betreffenden Länder keine Notiz von den Aktivitäten der CIA genommen haben. Über die Motive der Zusammenarbeit kann man natürlich nur spekulieren. Entgegenkommen auf anderem Gebiet? Finanzielle Vorteile? Vielleicht teilen sie auch ganz einfach die fatale Überzeugung, dass die Menschenrechte beim Kampf gegen den Terror keine Rolle spielen müssen. Das Beispiel Guantánamo hat allerdings gezeigt, dass eine solche Einstellung dem amerikanischen Anliegen langfristig eher schadet als nützt. Die Bilder, die von dort kommen, diskreditieren die Macht, die vorgibt, für Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit einzutreten.

Welche Rolle spielen Deutschland und die anderen europäischen Länder in dieser Sache?

Ferdinand Muggenthaler: Keine gute, denn sie berufen sich in aller Regel auf die Chicago-Convention, nach der keine Daten über Privatflüge erhoben werden müssen. Das gilt allerdings nur, wenn diese nicht illegalen Zwecken dienen. Den europäischen Behörden wäre es durchaus möglich, in Verdachtsfällen die Vorlage von Passagierlisten oder eine Inspektion zu verlangen. Dann würde man ja sehen, ob gefesselte Menschen mit einer Kapuze über dem Kopf oder Geschäftsleute in den Maschinen sitzen.

Auch die Äußerungen der deutschen Bundesregierung sind da sehr lapidar. Alle Anfragen wurde bislang mit dem Hinweis auf fehlende Informationen abgewehrt, aber das kann auf Dauer keine Entschuldigung sein. Wenn Europa und die USA die Menschenrechte selbst nicht beachten, werden sie diese auch nicht durchsetzen können.