Foltern? Ja bitte!
Der ARD-Fernsehfilm "Feinde" versucht sich an einer rechtsphilosophischen Grundsatzfrage
"Persönliches Gerechtigkeitsgefühl oder geltendes Recht? Das ist das Kernthema des Projekts 'Feinde'". So wirbt die ARD für ihr TV-Event am heutigen Sonntagabend: "Feinde" nach Ferdinand von Schirach.
Diese Gegenüberstellung ist hanebüchener Quatsch ebenso wie der Verlauf des Prozesses, der die komplette zweite Hälfte dieses Films einnimmt. Es ist nämlich ein einziger Film. Auch wenn hier angeblich zwei Versionen oder Perspektiven zeitgleich ausgestrahlt werden, macht er aus der vermeintlichen Unentschiedenheit dieser Frage eine ästhetische Form und positioniert sich dabei trotzdem ganz klar auf der emotionalen wie visuellen Ebene, hält sich zugleich auf der Wort-Ebene heraus und bleibt im Unentschiedenen.
Denn der Film erzählt "erstmals in der Geschichte des deutschen Fernsehens", so heißt es stolz, "ein Projekt zeitsynchron im Ersten sowie in allen Dritten Programmen der ARD".
Was kommt da auf uns zu?
Rettungsfolter?
Die Handlung ist mehr oder weniger eine einzige; sie wird zu 75 Prozent gleich erzählt mit teilweise variierten Kameraperspektiven. Im ersten, in der ARD zum "Tatort"-Termin um 20.15 ausgestrahlten und so klar privilegierten Film geht es folgendermaßen: Die zwölfjährige Lisa aus reichem Hause wird auf dem Schulweg entführt. Der Entführungsexperte der Polizei, Peter Nadler, ist sich sicher, dass der Täter die Familie und die Sicherheitsmaßnahmen gut gekannt haben muss und kommt schnell auf den Sicherheitsmann Georg Kelz.
Wir Zuschauer wissen, dass dies der Täter ist. Wir wissen um die Lebensgefahr für das Opfer, in dessen Versteck der Sauerstoff knapp wird. Aber der Täter schweigt. Nadler, der seiner Intuition vertraut, ist irgendwann auch bereit, den Tatverdächtigen zu foltern. Und tatsächlich erfährt er nach ein paar Runden Waterboarding den Aufenthaltsort der Zwölfjährigen. Aber er kommt zu spät. Das Opfer ist erstickt.
Zunächst bleibt die Folter unbekannt, im Prozess arbeitet sie der Anwalt des Angeklagten, Konrad Biegler, ein Verteidiger der alten Schule, gespielt von Klaus Maria Brandauer, heraus und führt mit Nadler eine rechtsphilosophische Debatte über das "Prinzip Rettungsfolter".
Der Parallelfilm "Das Geständnis" (zeitgleich in den dritten Programmen) erzählt die Geschichte zunächst aus Bieglers Perspektive: Sich beide Teile nacheinander anzuschauen ist aber ganz schön öde, da es weitgehend dieselben Bilder sind, dieselbe Handlung und alles sehr redundant ist. Außerdem ist die zusätzliche Rahmenhandlung in der zweiten Version weitaus uninteressanter. Wen interessiert es schon, ob der Anwalt, der eindeutig über 65 Jahre alt ist, irgendwelche gesundheitlichen Probleme hat? Und dann von seinem Arzt gesagt bekommt, er solle Fahrrad fahren und müsste was tun?
Vage zugrunde liegt allem der Fall Jakob von Metzler. Zugleich ist im Fall Metzler offensichtlich vieles anders gelaufen. Beginnend mit der Tatsache, dass der Entführer Markus Gäfgen sein Opfer bereits vor der ersten Lösegeldforderung ermordet hatte, dass er bereits vor seiner Verhaftung als Täter feststand, und dass es in seinem Fall nur zur Androhung von Folter kam, nicht zur Ausführung
Jeder muss die Frage selbst beantworten
Was "Feinde" tatsächlich interessant macht, ist das philosophische Problem, das ihm zugrunde liegt. Man kann es so zusammenfassen: Darf man aus Menschenliebe foltern? Kann eine demokratische Gesellschaft Folter zulassen? Ja klar! - das findet zumindest der ARD-Fernsehfilm.
Diesmal liegt allem kein Stück oder Drehbuch Schirachs zugrunde, sondern ein "Konzept und Drehbuch" des Autors. Das merkt man, denn die moralischen, rechtlichen und politischen Alternativen sind weitaus weniger feingetuned als in "Terror" oder "Gott".
Denn steht bei der Frage, ob Folter unter Umständen erlaubt sein darf, wirklich individuelle Moral gegen Staatsräson? Oder Gerechtigkeitsempfinden gegen Verantwortung?
Tatsächlich würde auch der folternde Ermittler ein übergeordnetes Rechtsprinzip für sich in Anspruch nehmen: Das Recht des Opfers auf Leben und auf körperliche Unversehrtheit.
Er würde gegen alle, die mit Immanuel Kants "Kathegorischem Imperativ" - "Handle stets so, dass die Grundlage deines Handelns Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung sein kann" - gegenfragen: Darf man zugunsten eines allgemeinen Prinzips ein Menschenleben opfern?
Es ist der alte Einwand gegen Kant, den schon Friedrich von Gentz erhob: "Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis."
Das Allgemeine steht hier gegen das Einzelne. Man könnte sagen: Das Problem des Falls von "Feinde" ist gar nicht, dass der Polizist hier gefoltert hat, sondern dass er zu spät gefoltert hat. Dass ihn bürokratische Hemmnisse und juristische Grundsatzerwägungen daran gehindert haben, früher zu handeln. Dann hätte das Mädchen gerettet werden können.
Das Hauptgegenargument ist hier der Verweis auf die Intuition des Experten. Der Polizist könnte sich irren und jemanden foltern, die oder der kein Wissen preiszugeben hat.
Man könnte aber die moralische Kardinal-Frage sogar noch verschärfen: Darf man einen Folterknecht durch Folter vom Foltern abhalten?
Die Antwort kann nur jeder Einzelne für sich geben. Und jeder Einzelne muss die Konsequenzen seiner Antwort, nicht nur die juristischen, selbst tragen.
Die produktive Provokation von Schirachs Gedanken-Experiment liegt darin, dass er die Möglichkeit aufwirft, hierfür juristischen Raum zu schaffen.