Fossiler Luxusstrom: Markteingriffe lösen das Grundproblem nicht
Die sündhaft teuren Erdgaskraftwerke machen Milliarden schwere Entlastungspakete notwendig. Die fossil getriebene Strombörse ist am Ende. Was nun?
Zuerst ein kurzer Überblick über die stark steigenden Strompreise in Europa:
Letzte Woche stiegen die Strompreise an der Börse auf Rekordniveau: 870 Euro je Megawattstunde (MWh). Sie fielen zwar wieder, aber das wird nicht lange so bleiben. Denn der Gasmangel besteht weiter, der den Strompreis nach oben treibt.
Der Mechanismus dahinter ist folgender: Wegen der großen Nachfrage nach Strom wird zunehmend auf Gaskraftwerke zurückgegriffen. So sind in Frankreich im Zuge der Sommerhitzewellen Dutzende Atomkraftwerke still gelegt worden, während in Südeuropa die starke Trockenheit den Strom aus Wasserkraft reduziert hat.
Da die Gaspreise im Zuge des Ukraine-Kriegs aber immer weiter nach oben klettern, ist der Strom aus Gaskraftwerken zu einer Art Luxusstrom mutiert. Das wiederum treibt den Strompreis insgesamt in Europa in die Höhe, da die Gaskraftwerke im Rahmen des Merit-Order-Prinzips (das teuerste Kraftwerk bestimmt den Preis) das Preisniveau an der Börse festlegen.
Wegen der Strompreisrally wird nun in Deutschland und der EU über Preisobergrenzen nachgedacht. Danach sollen Erlöse an den Strombörsen, die über einem festgesetzten Höchstwert liegen, abgeschöpft werden, um damit Haushalte und Unternehmen zu entlasten. Die Gewinnabschöpfung wird vor allem Erneuerbare-Energien-Produzenten treffen, da sie Strom deutlich billiger liefern können als Gaskraftwerke, die, wie gesagt, den Börsenpreis definieren.
Wie das Handelsblatt gestern vermeldete, plant die EU-Kommission den Energieministern bei ihrem Treffen am Freitag vorzuschlagen, einen Höchstpreis von 200 Euro pro MWh festzulegen. Das Handelsblatt fährt fort:
"Aktuell wird an der Leipziger Energiebörse EEX eine Megawattstunde (MWh) Strom zur Lieferung im kommenden Jahr mit gut 500 Euro gehandelt. Zwischenzeitlich waren es sogar 800 Euro. Die 200 Euro deckeln den Preis also deutlich. Im Sommer vergangenen Jahres kostete der Jahreskontrakt rund 80 Euro, Anfang 2021 knapp über 51 Euro."
David Goeßmann, Telepolis
Der Markt soll alles richten. Die Erneuerbaren Energien sollen sich endlich in das Marktgeschehen integrieren. Diese und andere Kernsätze kennzeichnen seit Jahrzehnten das Mantra konservativer Wirtschaftswissenschaftler:innen, ihnen verbundener Medien und vor allem von Interessenvertretenden der fossilen und atomaren Wirtschaft, mitsamt ihren willfährigen Politiker:innen, insbesondere aus dem konservativen und liberalen Lager.
Dem Mantra "Markt" wurden alle anderen Ziele untergeordnet: Klimaschutz, Importunabhängigkeit, Gesundheitsschutz, bürgerliche Selbstversorgung und so weiter.
So wurde Ende der 90er Jahre ein ganz wichtiges Marktinstrument gegründet: die Strombörse. Blind für ökologische Fragen hatte die Strombörse alle Erzeugungsarten von fossil, atomar und erneuerbar gleichbehandelt. Und das in einem hoch verzerrten Erzeugungsmarkt, wo fossile und atomare Stromerzeugung historisch bis heute stark subventioniert sind und ihre Schadenskosten, wie Klimaschäden, Gesundheitsschäden oder Atommüllentsorgung bei Weitem nicht ausreichend selbst zahlen mussten.
Ein Grundprinzip der Strombörse ist das Merit-Order-Prinzip: Das teuerste Kraftwerk bestimmt die Strompreise im Stromhandel.
Am Anfang des EEG 2000 haben wir rot-grünen Abgeordneten im Bundestag den geförderten Ökostrom ausdrücklich von der Vermarktung an der Börse ausgenommen. Umweltminister Gabriel hat dann 2009 mit der Änderung des EEG-Wälzungsmechanismus (Umverteilung von Strom sowie Kosten zwischen Produzenten, Netzbetreibern und Endverbrauchern, Telepolis) die Vermarktung des EEG-Ökostromes an die Börse geschickt.
Es braucht einen Strommarkt nur für Ökostrom
Mit verheerenden Folgen: Zunächst wurde ein Jahrzehnt lang die EEG-Umlage unnötig nach oben getrieben, was den Kritikern der Ökostromerzeugung aus dem fossilen und atomaren Interessenlager das alles entscheidende Argument gegen die Erneuerbare Energien lieferte. Diese hohe EEG-Umlage wurde dann von den Umwelt- oder Wirtschaftsministern Gabriel (SPD), Rösler (FDP), Altmaier (CDU) als Begründung für alle verheerenden Ökostromausbauhemmnisse genutzt.
Seit der Gaspreissteigerung ab etwa Mitte 2021 ist plötzlich die Situation umgekehrt: Das EEG-Umlagekonto ist prall gefüllt, einer Steuerfinanzierung der EEG-Umlage hätte es nicht bedurft, die EEG-Umlage sinkt sowieso.
Aber gleichzeitig zeigt das Marktinstrument Strombörse seine brutalen negativen Seiten: Mit den immer weiter steigenden Gaspreisen und einer Stromangebotsverknappung auf dem europäischen Strommarkt durch den Stillstand von fast der Hälfte der französischen Atomkraftwerke steigen die Börsenstrompreise ins Uferlose.
Was haben die Marktverfechter immer für Horrorszenarien an die Wand gemalt: Der teure Ökostrom würde eine Deindustrialisierung der Wirtschaft bringen und die Strompreise explodieren lassen. Nun ist das glatte Gegenteil der Fall: Weil an der Strombörse mit ungefähr 50 Prozent Ökostrom immer noch zu wenig Ökostrom gehandelt wird, definiert sich der Strombörsenpreis weiter über die inzwischen sündteuren Erdgaskraftwerke, mit dem verheerenden Effekt, dass die Bundesregierung aus Steuergeldern ein 65 Milliarden Euro Entlastungspaket beschließen musste.
Nun dämmert es allmählich auch konservativen Politiker:innen, dass das Strommarktdesign vollkommen verfehlt ist. Selbst sie schlagen in ihrer Hilflosigkeit jetzt vollkommen marktfremde Instrumente wie eine Strompreisdeckelung vor. Selbst EU-Kommissarin von der Leyen will das Strommarktdesign ändern. Aber ein 100 Prozent Erneuerbare-Energien-Ziel möglichst bis 2030, welches diese Missstände an der Wurzel beseitigen würde, kommt ihr und anderen nicht in den Sinn.
Dabei wäre es so einfach: Schaffen wir einen Strommarkt nur für Ökostrom und einen für die fossilen und atomaren Energien, dann zeigt sich, wie billig die Erneuerbaren Energien sind und alle Stromkunden würden sich darauf stürzen. Der Anreiz für den schnellen, exponentiellen Ausbau der Erneuerbaren Energien wäre gegeben. Gleichzeitig würden die Stromkunden dem atomaren und fossilen Strom schnell den Rücken kehren, Klimaschutz wäre die unweigerliche Konsequenz.
Hans-Josef Fell ist Präsident der Energy Watch Group und Mitautor des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG). Von 1998 bis 2013 war er für die Grünen im Bundestag. Er hat zahlreiche Preise und Auszeichnungen für sein Engagement erhalten. Fell ist Botschafter für 100 Prozent Erneuerbare Energien.