Frack off, Amerika!
Mit Chesapeake Energy geht der erste Big-Player pleite. Ein Drittel der Fracking-Firmen sind "technisch insolvent"
Die USA sind der größte Öl-Produzent der Welt, nicht zuletzt dank Fracking. Doch ein kurzer Preiskampf zwischen Russland und Saudi-Arabien und eine von der Pandemie gebremste Weltwirtschaft beschleunigen eine seit Jahren schleichende Entwicklung. Nun scheint das Ende der schmutzigen Fracking-Industrie eingeläutet, nachdem Chesapeake Energy, einst zweitgrößter US-Erdgasproduzent nach ExxonMobil, Insolvenz anmeldete. "U.S.-amerikanische Öldominanz neigt sich dem Ende zu", schreibt Branchenexperte Arthur Berman. "Was Schieferöl und die US-Dominanz im Energiesektor angeht: Die Party ist vorbei."
Einst löste Chesapeake Energy das Jahrzehnt des großen amerikanischen Fracking-Booms aus. Die Firma explorierte zügig, pachtete viel Land, fand viel Öl und Gas, steigerte die Produktion in kürzester Zeit und zog viele Milliarden an Investitionen an. Der Aktienkurs des Fracking-Pioniers erreicht im Juli 2008 ein Allzeithoch von 13.880 US-Dollar, als sich die Ölpreise auf 140 Dollar pro Barrel zubewegten. Chesapeake galt in den späten Nullerjahren als das Google der Energie.
Nach der Finanzkrise stieg der Barrelpreis bald wieder auf über 100 Dollar und sorgte dafür, dass in die Frackingindustrie mit ähnlichem hohem Druck Geld gepumpt wurde, wie man in tiefe Gesteinsschichten Wasser, Sand und Chemikalien presste. Das Ergebnis war zwar ein großer Erfolg für Amerikas Energiebilanz, der es ermöglichte, der größte Öl-Produzent der Welt zu werden und gleichzeitig den amerikanischen Verbrauchern Hunderte von Milliarden Dollar an der Zapfsäule zu ersparen. "Wir haben etwas gefunden, das mehreren Millionen Amerikanern Arbeit geben kann, das uns von 4-Dollar-Benzin befreien wird", sagte Chesapeakes Gründer Aubrey McClendon im Jahr 2011. "Wir haben etwas gefunden, das uns vom Einfluss der OPEC befreien kann." McClendons Vision war die Energieunabhängigkeit der USA.
Saudi-Arabien vs. US-Schieferölproduzenten
Doch seit Jahren stagniert der Preis, lag 2019 zwischen 50 und 60 US-Dollar pro Barrel und macht die Schieferölförderung für die meisten Unternehmen unrentabel. Die gesamte Produktion ist so kostenintensiv, wie viele Frackingfirmen hoch verschuldet sind.
Und selbst die größten Profiteure der Fracking stecken tief in der Krise. Obwohl Fracking weniger als 10 Prozent der weltweiten Öl- und Gasproduktion ausmacht, macht es 40 Prozent der weltweiten Bohraktivitäten aus. Schlumberger, das weltweit größte Unternehmen für Erdölexplorations- und Ölfelddienstleistungen, machte letztes Jahr zehn Milliarden Dollar Verlust und entließ 1400 Mitarbeiter. Seinem Hauptkonkurrenten Halliburton erging es nicht besser. Jeff Miller, Geschäftsführer von Halliburton, sagte Anfang dieses Jahres, die US-Schieferindustrie stehe vor ihrer "größten Prüfung seit dem Preiseinbruch von 2015".
Damals fiel der Preis auf unter 30 Dollar pro Barrel, als Saudi-Arabien den US-Schieferölproduzenten den Kampf ansagte. Nicht ohne Erfolg: Die Anwaltskanzlei Haynes & Boone, die Insolvenzanmeldungen in der amerikanischen Ölbranche verfolgt, listet über 100 Öl-Produzenten auf, die zwischen 2015 und 2016 Konkurs angemeldet haben.
Als die Covid-19-Pandemie in den USA gerade mal fünf der mittlerweile über 130.000 Opfer zählte, folgte das nächste Beben. Die Uneinigkeit zwischen Russland und Saudi-Arabien über die Reduzierung der Ölfördermenge führte Anfang März zu einem Sturz der Ölpreise auf unter 30 US-Dollar pro Barrel. Trotz der im April erfolgten Vereinbarung zwischen der OPEC und ihren Verbündeten, die Produktion zu drosseln, haben sich die Ölpreise noch immer nicht auf ein Niveau erholt, das es den amerikanischen Fracking-Unternehmen erlauben würde, annähernd kostendeckend zu fördern. Das würden Preise zwischen 50 und 60 US-Dollar pro Barrel erst ermöglichen.
Zwar haben Russland und Saudi-Arabien vorübergehend ihre Produktion um je 2,5 Millionen Fass pro Tag gesenkt, um den Ölpreis zu stützen, doch wenn die Ölpreise aufgrund der Drosselung zu sehr steigen, befürchten sie, dass die Schieferölproduktion in den Vereinigten Staaten wieder anläuft. Das wollen Russland und Saudi-Arabien nicht in Kauf nehmen. "Der Plan ist, an den Preisen von 40 bis 50 Dollar pro Barrel festzuhalten", soll ein russischer Insider, vertraut mit den Gesprächen in der Opec+, gesagt haben, wie mehrere Medien zitieren. Russlands Staatshaushalt verkraftet einen Barrelpreis von etwa 42 Dollar.
Deloitte-Bericht: Tiefrote Zahlen und düstere Zukunft
Seit Saudi-Arabien seine Macht signalisierte und den Ölpreis in den Keller stürzte, stieg der Barrelpreis (WTI) nur ein einziges Mal auf mehr als 75 Dollar, am 3. Oktober 2018. Zwei Monate später fiel er auf 45 Dollar, 2019 schaffte er es nicht mal mehr über 66 Dollar. Die Frackingunternehmen konnten so viel produzieren, wie sie wollten, doch sie wurden ihre Schulden nicht los. Laut Haynes & Boone beantragten mehr als 200 US-amerikanische Ölproduzenten in diesen fünf Jahren Insolvenzschutz.
"Die Schieferindustrie der USA erreichte ihren Höhepunkt, ohne jemals Geld zu verdienen", heißt es in einem im Juni veröffentlichten Bericht von Deloitte. Darin geht Deloitte davon aus, dass der Branche eine weitere Flut von Insolvenzen bevorsteht. Die US-Schieferölindustrie trete nun in eine Phase der "großen Konsolidierung" ein, heißt es positiv ausgedrückt. Bei einem Ölpreis von 35 Dollar pro Barrel - derzeit liegt das Preisniveau nur knapp darüber - seien rund 30 Prozent der Schieferölfirmen eigentlich insolvent, weitere 20 Prozent seien finanziell "gestresst". Bei einem Ölpreis von 20 Dollar pro Barrel läge der Anteil der Unternehmen, die zahlungsunfähig wären, bei 51 Prozent.
In den letzten zehn Jahren belief sich der negative Netto-Cashflow der Schieferindustrie auf insgesamt 300 Milliarden US-Dollar, weitere 450 Milliarden US-Dollar an investiertem Kapital wurden abgeschrieben. Auf die "große Konsolidierung" können dann auch nicht viele Firmen hoffen. Nur etwa 27 Prozent der Schieferunternehmen böten Deloitte zufolge einen zusätzlichen Wert für potenzielle Käufer. Mindestens die Hälfte aller Produzenten seien "überflüssig", da "nicht jedes Schieferölunternehmen in einer Welt mit anhaltend niedrigen Ölpreisen und schwacher Nachfrage benötigt werde."
Laut S&P Global Ratings sind in diesem Jahr bereits 18 Öl- und Gasunternehmen mit ihren Schulden in Verzug geraten, verglichen mit 20 im gesamten letzten Jahr. Von den Schulden in Höhe von 100 Milliarden Dollar, die die Öl- und Gasunternehmen bis 2024 zurückzahlen müssen, sind mit über 30 Milliarden Dollar der größte Teil 2022 fällig. Die Internationale Energieagentur (IEA) wie auch Goldman Sachs gehen davon aus, dass die Öl-Nachfrage erst mindestens 2022 wieder das Niveau vor der Pandemie erreichen wird.
Viele können den niedrigen Ölpreis nicht länger ausharren. Mit Chesapeake Energy begann der Fracking-Hype. Nun sitzt die Firma auf einem Schuldenberg von neun Milliarden Dollar und manche Klimaaktivisten und Umweltschützer dürften auf weitere Firmenpleiten hoffen. Denn wenn ein Liter Mineralöl weniger kostet als ein Liter Mineralwasser, dann muss das zwangsläufig Konsequenzen haben.
Doch für die Öl-abhängige Weltwirtschaft wird es nur eine Frage der Zeit bleiben, bis versiegende Quellen die Preise in die Höhe treiben und die US-Fracker wieder Unmengen an Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden pressen können, für eine gefühlte Unabhängigkeit.
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