Fracken auf Russisch

Bild: Kristall

Wissenschaftler stellen thermochemisches Verfahren zur Optimierung der Erdölförderung vor

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Die Nachrichtenagentur RIA Novosti berichtete im August 2017 unter Berufung auf die Pressestelle der Universität Tjumen, dass russische Wissenschaftler und örtliche Ölunternehmen eine Technologie für ein thermochemisches Gas-Fracking-Verfahren entwickelt haben, das eine Alternative zur hydraulischen Frakturierung sein und die Ergiebigkeit der Ölproduktion um das Doppelte erhöhen könnte. In günstigen Fällen sei eine Steigerung der Förderung um das Sechsfache und mehr möglich. Die neue Technologie wird im ölreichen Westsibirien getestet.

Bei der hydraulischen Frakturierung oder kurz Fracking werden Gesteinsschichten im Untergrund mit Hochdruck-Injektionen von Flüssigkeiten aufgebrochen. Durch die resultierende Rissbildung im Lagerstättengestein wird dessen Durchlässigkeit für Kohlenwasserstoffe erhöht, die sich nun leichter zur Bohrung bewegen können.

Die neu vorgestellte russische Technologie macht sich hingegen im Speichergestein ausgelöste chemische Reaktionen zunutze. Die voneinander getrennten Komponenten eines Chemikaliengemischs werden in Lösung vorliegend eingeleitet und an den höffigen Stellen des geologischen Horizonts zusammengeführt, wo sie reagieren. Die dabei gebildete Wärme wird an die unmittelbare Umgebung abgegeben, das entstehende Gas lässt den Druck ansteigen. Die Viskosität des so erwärmten Erdöls sinkt, es wird beweglicher. Die durch die Druckerhöhung gebildeten Risse erhöhen die Durchlässigkeit des Untergrundgesteins.

Beide Effekte im Zusammenspiel sollen die Extraktion des Öls erleichtern und die Produktivität steigern, so die beteiligten Wissenschaftler. Vorher wurde bereits mit ähnlichen Technologien experimentiert, die mit Sprengstoffen zur Rissbildung- und Vergrößerung arbeiteten. Doch die wirksame Sprengstoffmenge ließ sich nicht beliebig steigern, da sonst das Risiko bestand, das Riss-System zu beschädigen. Den Wissenschaftlern der Universität Tjumen kam dann die Idee, es mit flüssigen Lösungen binärer Mischungen zu versuchen, die sie an gewünschter Stelle zur Reaktion bringen.

Verfahren verspricht deutliche Produktionssteigerungen

Laut Professor Konstantin Fedorov, Direktor des Instituts für Physik und Technologie an der Universität Tjumen und wissenschaftlicher Berater des Projekts, hält der Effekt einer verbesserten Produktivität zwischen 300 und 1000 Tagen an. Die Produktion steigt in Abhängigkeit von den Merkmalen des jeweiligen Ölfelds und der spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Rohöls um das 1.7- bis Sechsfache, gemessen am ursprünglichen Förderniveau. Bei einigen Tests lagen nach Auskunft der Wissenschaftler die Produktionssteigerungen deutlich darüber.

Nach Angaben der Universität von Tjumen hat das teilweise durch staatliche Finanzierung unterstützte Projekt zum Ziel, eine innovative und vor allem russische Hochtechnologie-Methode der Öl- und Gasproduktion zu etablieren, die mit anderen konkurrierenden Verfahren mithalten kann - wie etwa der hydraulischen Frakturierung. Mit der Technologie sollen vorhandene Ressourcen geschont werden, in dem bereits in der Ausbeutung befindliche konventionelle Lagerstätten hochviskoser Erdöle effizienter genutzt werden.

2013 wurde mit der mathematischen Modellierung des Verfahrens begonnen. Die Umsetzung des Projekts wurde 2015 vom Energieministerium der Russischen Föderation, der Russischen Akademie der Wissenschaften und den Gouverneuren des Tjumen-Gebiets und des Autonomen Kreises der Jamal-Nenzen in die Wege geleitet. Um die benötigte Ausrüstung zu konstruieren und die Feldtests durchzuführen, haben sich die Wissenschaftler der Universität Tjumen mit Kollegen des Instituts für biochemische Physik N. M. Emanuel der Russischen Akademie der Wissenschaften zusammengetan. Ein weiterer Kooperationspartner ist das Staatliche Forschungsinstitut "Kristall"Y aus Dserschinsk, an dem seit seiner Gründung chemisch-technologische Aufgaben der Munitionsproduktion bearbeitet werden und das mehr als 60 Jahre Know-how in der Sprengstoffforschung mitbringt.

Aus der Ölbranche begleiten Sibneftemash und das Moskauer Erdöltechnologiezentrum die unmittelbaren Arbeiten. Ein erstes Pilotprojekt an operativen Fördereinrichtungen einer der Rosneft-Tochtergesellschaften habe bereits begonnen, so der Pressedienst der Universität von Tjumen, weitere Tests bei Lukoil sind im Gespräch. Läuft alles nach Plan, könnte die neue Technologie auch auf Ölfeldern anderer bedeutender russischer Unternehmen getestet werden, darunter Tatneft, Bashneft und Gazprom Neft, so Sputnik.

Binäre Mischung soll Reaktionswärme bereitstellen

Am Forschungsinstitut "Kristall" und am Erdöltechnologiezentrum wurden die verwendeten binären Mischungen entwickelt und die Zerfallsreaktion optimiert. Zum Einsatz kommt die Reaktion von Ammoniumnitrat mit Natriumnitrit. Dabei entstehen Stickstoff, Wasser und Natriumnitrat - außerdem wird eine beträchtliche Reaktionswärme frei.

Diese exotherme Reaktion ist bereits aus der Erdgasbranche bekannt. Dort wurde sie zur Entfernung immer wieder vorkommender Verstopfungen von Methanhydraten in Leitungssystemen vorgeschlagen: Methanmoleküle, die bei Temperaturen von unter zehn Grad Celsius und hohen Drücken von Wassermolekülen umschlossen werden und eisähnliche Clathrate bilden.

In den Augen der Wissenschaftler ist beim neuen Verfahren von Vorteil, dass die benötigten Chemikalien leicht verfügbar sind. Als besonders günstig bewerten sie, dass eine Hauptkomponente der chemischen Reaktion Ammoniumnitrat ist, das (neben der Herstellung von Sprengstoffen) hauptsächlich als Dünger verwendet wird und deshalb als Grundstoff einer eher umweltfreundlichen Methode begrüßt wird - im Gegensatz zu den Flüssigkeitsgemischen, die bei der hydraulischen Frakturierung in das Untergrundgestein verpresst werden.

Die Herstellung von Ammoniumnitrat aus Ammoniak und Salpetersäure geht nachteilig in die Gesamtökobilanz ein, da die großtechnische Verwandlung von Luftstickstoff in Ammoniak wiederum energieintensiv ist. Die andere Hauptkomponente, der Pökelsalzbestandteil Natriumnitrit, ist für Mensch und Tier schwach giftig - sie bildet nach Aufnahme Methämoglobin und blockiert den Sauerstofftransport im Blut. Und die bei der Reaktion entstehenden Nitrate könnten zu einer Belastung des Grundwassers führen.

Doch angesichts der vorhandenen Umweltprobleme in Westsibirien sind das bestenfalls akademische Erwägungen: Die jahrzehntelange Erdölförderung unter den schwierigen Bedingungen vor Ort hat ihre Spuren hinterlassen. Die Rekultivierung der betroffenen Landstriche wird vermutlich ebenfalls Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Russland: Anti-Fracking-Kampagne in den USA?

Die Arbeiten zum neuen Verfahren wurden in einem Moment publik gemacht, in dem sich Putin Anschuldigungen ausgesetzt sieht, die ihn der verdeckten Führung einer Anti-Fracking-Kampagne in den Vereinigten Staaten bezichtigen, für die es kaum beziehungsweise überhaupt keine belastbaren Beweise geben soll. Demnach soll die russische Regierung mit US-amerikanischen Umweltgruppen zusammenarbeiten, die mit Falschinformationen und Propaganda Stimmung gegen das Verfahren der hydraulischen Frakturierung machen wollen.

Das Kalkül dahinter: die Konservierung der Abhängigkeit von russischen Gasimporten. Denn wenn die US-amerikanische Förderung gedrosselt würde, nützte das vor allem Russland und Gazprom. Und das ließen sich die Russen etwas kosten: Dutzende Millionen von US-Dollar kämen als anonyme Spenden über die Bermudainseln ins Land, um US-Umweltorganisationen bei ihren Kampagnen gegen die hydraulische Frakturierung zu unterstützen.