Fragile Waffenruhe in Idlib
Gibt es eine politische Lösung? Bei der Astana-Konferenz kritisiert der syrische Vertreter die Türkei
Seit Freitag Null Uhr ist ein Waffenstillstand in Idlib in Kraft getreten. Die syrische Regierung, die ihn ausgerufen hat, knüpft ihn an Bedingungen, die seit vielen Monaten nicht erfüllt werden. Ihr stärkster Gegner auf dem Terrain in Idlib, die dschihadistische Miliz Hay'at Tahrir al-Sham (HTS), wertet ihn als Erklärung des Scheiterns, willigt aber angeblich "implizit" ein.
Das Vertrauen, dass die Waffenruhe länger hält und von größerer Bedeutung ist, ist nicht gerade überwältigend. Die Ankündigung der Syrer macht keine großen Schlagzeilen. Es schweigen ohnehin nicht alle Waffen, weiterhin werden Artilleriebeschüsse gemeldet, aber die Flugzeuge der syrischen Armee und ihres russischen Verbündeten fliegen keine Angriffe.
In der kasachischen Hauptstadt, die früher Astana hieß und jetzt Nursultan, findet bis einschließlich dem heutigen Freitag eine zweitägige Konferenz der Garantiemächte (Russland, Iran,Türkei) im syrischen Konflikt statt und eine Waffenruhe-Erklärung ist da eine gute Demonstration des Einflusses.
Zuletzt gab es aus Idlib vor allem schlechte Nachrichten von schweren Bombardements und wie seit Monaten schon Warnungen vor einer drohenden humanitären Katastrophe und größeren Fluchtbewegungen in Richtung Türkei.
"Schöne Ideen, die umgesetzt werden müssen"
Die anwesenden Vertreter der islamistischen Milizen aus Idlib, die beim Astana-Prozess zugelassen sind - die herrschende Miliz HTS ist nicht dabei - haben der Waffenruhe-Vereinbarung zugestimmt. Bezeichnend ist allerdings, dass der Vertreter der syrischen Regierung, Al-Jaafari, die Gelegenheit zu einer Kritik der türkischen Regierung nutzte.
Die schönen Ideen müssten nun umgesetzt werden, so der der UN-Botschafter des Landes, besonders von der Türkei. Dem Nachbarland warf er vor, dass es frühere Abmachungen nicht einhält und überdies kein Recht habe, sich auf syrischem Territorium aufzuhalten.
Al-Jafaari wies darauf hin, dass die Waffenruhe an die Einhaltung des Sotschi-Abkommens zwischen Russland und der Türkei geknüpft ist und dass in den früheren Abmachungen die Integrität des syrischen Territoriums als wesentliche Grundlage vereinbart worden sei. Letzteres spielt auf die Präsenz der Türkei in Nordsyrien, Afrin und Jarabulus, an.
Damaskus erinnert die Türkei an ihre Versprechen
Die Bedingung der Waffenruhe, die Damaskus stellt, gemahnt noch einmal an die Vereinbarung zwischen der Türkei und Russland vom September letztes Jahres in Sotschi: "Die Vereinbarung fordert, dass die Terroristen sich etwa 20 Kilometer von der Grenze der Deeskalationszone in Idlib fernhalten und ihre schweren und mittelschweren Waffen abziehen."
Fakt ist, dass die Terroristen, namentlich der al-Qaida-Ableger Hay'at Tahrir al-Sham, sich nicht an das Abkommen gebunden fühlen, und ihre Herrschaft in Idlib ausgedehnt haben. Die Türkei hat daran nichts geändert. Dafür gibt es mehrere Erklärungen, etwa dass die Türkei gar nicht den politischen Willen dazu hat, weil sie die Konsequenzen einer harten Front gegen HTS scheut, die auch in der Türkei zu spüren wären, oder dass sie es gar nicht vermag.
"Maximum pressure" gegen Assad
Beides spricht nicht dafür, dass die Waffenruhe auf einer soliden Basis steht. Sie ist erstmal nur ein Zeichen, dass die Astana/Nursultan-Konferenz etwas bewirken kann. Für die syrische Regierung wäre es wichtig, die beiden eminent wichtigen Straßenverbindungen M4 und M5 unter ihre Kontrolle zu bekommen. Auch das findet sich in der Sotschi-Vereinbarung und wurde von der Türkei bislang nicht "geliefert".
Der Schwerpunkt der Kämpfe in Hama und Idlib lag auf syrischer Seite in den letzten Wochen darauf, Dörfer und Stellungen in der Nähe der beiden Highways, die Gebiete der Regierung, Damaskus und Latakia, mit dem Norden, Aleppo, und Osten verbinden, unter Kontrolle zu bekommen, um die Verkehrswege freizumachen, die man militärisch-logistisch, aber eben auch für den Handel und den Wiederaufbau benötigt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der US-Sondergesandte für Syrien Jeffrey James kürzlich bei einem Vortrag vor dem Aspen Institute als amerikanische Strategie verdeutlichte, dass der syrische Präsident Assad kein Bein auf die Erde bekommen soll. Weder militärisch noch beim Wiederaufbau soll Assad weiterkommen, sondern er soll die Abhängigkeit, in der er sich befindet, zu spüren bekommen, damit er keine andere Wahl habe, als sich dem politischen Übergangsprozess ("Das ist kein Regime Change", Jeffrey James) anzuschließen.
Was die US-Strategie betrifft, ist der Status quo in Idlib damit keiner, der mit ihren Interessen kollidiert. Dass die Versuche der syrischen Einheiten, die ihre Eroberungen häufig mit empfindlichen Verlusten bezahlten, ohne tatsächlich entscheidende Fortschritte verliefen, ist ganz und gar keine schlechte Nachricht im Weißen Haus. Dort ist alles willkommen, was der "Maximal-Druck"-Kampagne gegen Iran und Syrien nutzt.
Dazu gehören auch die Nachrichten von Bombardierungen, die Krankenhäuser, zivile Einrichtungen und Zivilisten treffen, wie sie immer wieder periodisch in die internationalen Top-Meldungen kommen. Von der syrischen Regierung wird beteuert, dass diese Einrichtungen militärisch genutzt würden. Für die meisten Nachrichtenmedien sind die Hilferufe des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen glaubwürdiger.
Wie mit al-Nusra/HTS verfahren?
Da sich Russland derzeit an vielen Stellen bemüht, das Bild einer Großmacht zu vermitteln, die den USA im Nahen Osten die Rolle als gestaltende Einflussmacht abläuft, dürfte auch Moskau darauf bedacht sein, dass die Luftangriffe nicht die Schlagzeilen dominieren. Insofern kann man gespannt sein, wie weit nun nach Jahren des Vorrangs militärischer Lösungen in Syrien, politische Lösungen an Durchsetzungskraft gewinnen.
Die Waffenruhe ist ein sachter nächster Schritt. Wie aber soll grundsätzlich eine Verhandlungslösung mit Ha'yat Tahrir al-Scham gefunden werden? Freiwillig werden sie ihr Scharia-Territorium nicht aufgeben.
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