Fragwürdige Beweise eines Sarin-Einsatzes in Chan Schaichun
Der Bericht der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen bestätigt offenbar die westliche Position. Handelt es sich möglicherweise um ein Gefälligkeitsgutachten? - Ein Kommentar
Nachdem eine Freisetzung von Sarin in Chan Schaichun in vielen kritischen Analysen überzeugend bezweifelt wurde (vgl.Giftgas-Angriff in Chan Scheichun: Die Fakten des Weißen Hauses sind keine), soll der gestern von der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) fertig gestellte Rapport das Gegenteil nachgewiesen haben. Veröffentlicht wurde bislang ein Statement, der eigentliche Bericht ist an UN-Organe weitergeleitet worden. Es wird ausdrücklich festgestellt, dass Boden- und Gewebeproben untersucht und Zeugen befragt wurden, um die verantwortliche Substanz zu identifizieren, nicht um den möglichen Verursacher des vermeintlichen Giftgas-Angriffs ausfindig zu machen.
Dennoch scheint erst einmal die Position bestätigt, dass gezielt chemische Kampfstoffe eingesetzt wurden. Eine zufällige Freisetzung von giftigen Substanzen wie auch eine gefakte Inszenierung durch islamistische Rebellen werden damit quasi ausgeschlossen. Für den Sprecher des Auswärtigen Amts Martin Schäfer steht nun fest, dass die Schuld der Assad-Regierung erwiesen sei. Russland und China sollten endlich daran mitwirken, die Verantwortlichen in der syrischen Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.
Wer die von der OPCW veröffentlichte Stellungnahme aufmerksam liest, findet ein Eingeständnis, auf das westliche Medien nicht oder nur am Rande verweisen: Vertreter der OPCW Fact-Finding Mission (FFM) waren gar nicht am Ort des Geschehens. Als Grund werden Sicherheitsbedenken angeführt. Sollte dies nicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Akteuren hervorrufen, die bei der Beschaffung belastenden Materials offenbar keinerlei Bedrohungen ausgesetzt waren?
Ein kritischer Leser der "Zeit" äußert sich hierzu wie folgt: "Die OPCW-Mitarbeiter können bestätigen, das die Gewebeproben von Opfern und Proben des Bodens, die ihnen zur Verfügung gestellt wurden, mit Giftgas in Berührung gekommen sind - wer, wann und wo dieses verwendet wurde, kann der Untersuchungsbericht nicht klar benennen, da dieses mit diesen Mitteln nicht möglich ist. Es gibt gute Gründe dafür, dass bei Straftaten die Spurensicherung der Polizei den Tatort untersucht und nicht eine Reinigungskraft alle Beweismittel in einen Sack stopft, um die dann ins Labor zu senden. Denn gerade bei Einsatz von Giftgas in Syrien ist die Wahrscheinlichkeit hoch, das es sich von einem Assad Gegner inszenierten Vorfall handelt."
Im "Faktenfinder" der Tagesschau heißt es, "das Investigativ-Team begann laut OPCW unmittelbar nach dem Vorfall, Hinweise, Belege, Indizien und Proben zusammenzutragen, um den Angriff und seine Folgen zu untersuchen." Wie sie beschafft und durch wen sie überreicht wurden, wird nicht mitgeteilt. Auch die Versicherung der FFM, die Echtheit des Materials geprüft zu haben, kann nicht überzeugen.
Dass die Vorverurteilung der syrischen Regierung durch das Gros der westlichen Medien einen Einfluss auf die Mitglieder der FFM hat, kann ebenso wenig ausgeschlossen werden wie Motive von Staatsräson. Schwerwiegende Einwände wie etwa der durch Videos dokumentierte Tatbestand, dass sich Personen schutzlos an der vermeintlichen Abwurfstelle aufgehalten haben und somit hätten kontaminiert werden müssen, werden übergangen. Vielmehr wird dieser Ort in der Stellungnahme der OPCW explizit als vermutliche Ausgangsstelle der Sarin-Ausbreitung erwähnt.
Es dürfte kein Zufall sein, dass die OPCW gerade eine Woche nach den in der "Welt am Sonntag" auf deutsch erschienenen Enthüllungen durch Seymour Hersh an die Öffentlichkeit trat (Trump's Red Line und The Fog of War).
Faktisch dient ihr Gutachten - ob beabsichtigt oder nicht - der psychologischen Kriegsvorbereitung, nachdem Donald Trump mit einem "hohen Preis" für die Assad-Regierung drohte, sollte diese "wiederholt" Giftgas einsetzen. Da Russland vor einseitigen US-amerikanischen Aktionen gewarnt und Reaktionen in Aussicht gestellt hat, haben sich beide Großmächte in eine gefährliche Lage manövriert. Sollte sich eine weitere vermeintliche Sarin-Attacke ereignen, dann würde dies für jene Seite einen erheblichen Gesichtsverlust bedeuten, die ihre Drohungen nicht umsetzt.