Fragwürdige UN-Mission: Droht in der Karibik ein neues Besatzungsregime?

Minustah-Soldaten sichern Straßen rund um den Präsidentenpalast Haitis (2008). Bild: UN Photo, Logan Abassi / CC BY-NC-ND 2.0 Deed

Haiti befindet sich in der Dauerkrise. Die staatliche Ordnung existiert nur noch auf dem Papier. Nun kommt eine neue UN-Mission. Die Vergangenheit lässt am Erfolg zweifeln.

Die Geschichte wiederholt sich: Der karibische Problemstaat Haiti bekommt erneut internationale Sicherheitskräfte ins Land. 13 Stimmen im UN-Sicherheitsrat votierten für den Polizeieinsatz. Nur China und Russland enthielten sich.

Kenia will zunächst 1.000 Polizisten im Rahmen einer multinationalen Sicherheitsmission nach Haiti entsenden. Die Dauer ist zunächst auf ein Jahr festgelegt – nach neun Monaten soll der Einsatz überprüft werden. Auch Jamaika und andere karibische Staaten haben angeboten, Einheiten zu entsenden. Die USA versprechen, die Mission mit logistischer Hilfe und 100 bis 200 Millionen Dollar zu unterstützen. Ziel ist es, die äußerst prekäre Lage im Land unter Kontrolle zu bringen.

Im Sicherheitsrat ist von einer "historischen" Unterstützungsmission die Rede. Bei der Entsendung der afrikanischen Sicherheitskräfte handelt es sich um eine Kapitel 7-Mission, das heißt, es werden bewaffnete Einheiten unter UN-Führung nach Haiti entsandt. Dies weckt Erinnerungen an die Vergangenheit. Sollte der Plan Wirklichkeit werden, wäre dies die erste Auslandsmission eines afrikanischen Staates – die Logik funktioniert bekanntlich umgekehrt. Ziel ist es, das Machtvakuum in Haiti nicht länger offen zu lassen.

Kolumbianische Söldner, die sich als Mitarbeiter der US-Antidrogenbehörde DEA ausgaben, töteten Ex-Regierungschef Jovenel Moïse im Juli 2021 in seinem eigenen Haus. Ihm wurden Verbindungen zu kriminellen Banden nachgesagt, der gleiche Vorwurf wird aber auch gegen die Opposition erhoben. Der amtierende Premierminister Ariel Henry gilt als möglicher Drahtzieher der Tat.

Seit der Ermordung von Moïse hat sich die ohnehin ernste Lage im Land weiter verschärft. Unzählige Haitianerinnen und Haitianer fliehen vor der Gewalt der Banden. Hier in der mexikanischen Hauptstadt gehören haitianische Flüchtlinge zum Stadtbild. Die fast 200 verschiedenen bewaffneten Banden morden, vergewaltigen und erpressen in völliger Straflosigkeit. Das erklärt paradoxerweise auch, warum sich viele junge Männer den Gangs anschließen: Sie bieten eine Form von Sicherheit in einem gescheiterten Staat. Rund 60 Prozent der Bandenmitglieder sind unter 16 Jahre alt.

Skepsis historisch bedingt

Die Mission hat ein doppeltes Mandat: Zum einen soll die haitianische Nationalpolizei im Kampf gegen kriminelle Gruppen unterstützt werden. Zum anderen sollen die Unterstützungskräfte kritische Infrastruktur wie Flughäfen, Krankenhäuser, wichtige Straßenkreuzungen und Schulen schützen. Dies stellt der aktuelle Bericht des Sicherheitsrates fest, der zudem von einer "multidimensionalen Krise" spricht.

Bereits im Oktober 2022 hatte der regierende, aber nie demokratisch legitimierte Premierminister Ariel Henry einen Hilferuf abgesetzt. Er forderte damals die sofortige Entsendung einer internationalen Spezialtruppe.

Washington selbst wollte nicht eingreifen und konnte auch Kanada nicht dazu bewegen. Zehn Monate später, am 29. Juli dieses Jahres, kündigte Kenias Außenminister Alfred Mutua an, sein Land sei bereit, ein Kontingent von 1.000 Polizisten zu entsenden – mit dem Ziel, "die haitianische Polizei auszubilden und ihr zu helfen, die Normalität im Land wiederherzustellen und strategische Einrichtungen zu schützen".

Nachdem der UN-Sicherheitsrat am Montag grünes Licht gegeben hat, dürfte der "Sicherheitsmission" nicht mehr viel im Wege stehen. Die haitianische Regierung rechnet mit der Ankunft der Polizeikräfte bis Ende des Jahres. Allerdings wurde ein zentraler Akteur nicht nach seiner Meinung gefragt: die Haitianerinnen und Haitianer selbst.

Denn schon als Premierminister Henry vor genau einem Jahr seine Forderung verkündete, gingen Tausende auf die Straße. Aus historischen Gründen steht die Bevölkerung des Karibikstaates ausländischen Militärinterventionen sehr skeptisch gegenüber. Mehr als 13 Jahre lang (2004-2017) waren Blauhelmsoldaten in Haiti im Einsatz.

Doch die UN-Stabilisierungsmission "Minustah" hat kaum etwas stabilisiert. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt, die Truppen waren für den Ausbruch einer Cholera-Epidemie verantwortlich, fast 10.000 Menschen starben. Nach ihrem Abzug waren weder die massive Korruption noch die Sicherheitslage besser als vorher.

Der Einfluss der Banden hat in den letzten Jahren sogar zugenommen. Schätzungen zufolge kontrollieren kriminelle Gruppen die Hauptstadt Port-au-Prince zu 60 bis 80 Prozent. Vor Ort sind jedoch viele Menschen davon überzeugt, dass die Gangs die absolute Kontrolle haben. Denn sie haben die Macht über wichtige Zufahrtsstraßen – können also kontrollieren, wer und was in die Stadt hinein- und herauskommt.

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