Framing im Fall Assange: Wann ist ein Krieg ein Krieg?
Mediensplitter (25): Wann ist ein Krieg ein Krieg – und wann ein Militäreinsatz oder eine Spezialoperation? Das sogenannte Framing wirkt an diesen Stellen entscheidend.
Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, der australische Journalist Julian Assange, musste im Rechtsstreit um seine von US-Seite geforderte Auslieferung aus dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh bei London in die USA am Freitag erneut einen Rückschlag hinnehmen.
Ein Richter am Londoner High Court hat laut Nachrichtenagentur dpa zwei von Assanges Anwälten eingereichte Anträge auf Berufung abgelehnt. So weit, so schlecht, was die Nachrichtenlage angeht. Bemerkenswert ist in diesem "Fall Assange" einmal mehr, was und wie wichtige Medien in Deutschland in dieser Sache berichten. Zwei aktuelle Aspekte des "Framing" und "Wording" seien hier exemplarisch näher betrachtet.
Erstens: Wann ist ein Krieg ein Krieg? Offenbar mit Bezug auf einen dpa-Text findet sich in vielen wichtigen Medien hierzulande die Formulierung von "US-Militäreinsätzen" – wie zum Beispiel im rbb-Inforadio, bei tagesschau.de und auf faz.net.
Assange wird vorgeworfen, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.
tagesschau.de
Zweitens: Welcher Verlauf der Dinge wird als der "normale" angesehen? In denselben Nachrichtenquellen heißt es einleitend, Folgendes sei "der Plan":
Der Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, hat im Rechtsstreit um seine geplante Auslieferung in die USA einen weiteren Rückschlag hinnehmen müssen.
Bevor beide aktuellen Beispiele diskutiert werden, kurz etwas zum Hintergrund: "Framing" heißt medienwissenschaftlich, dass eine bestimmte Perspektive in der Betrachtung und Vermittlung eines bestimmten Gegenstandes eingenommen wird.
Es ist eine interessengeleitete Rahmensetzung, um bestimmte Wahrnehmungsmuster zu aktivieren – und andere eben nicht. Medien organisieren Aufmerksamkeit, durch Auswahl, Hervorhebung, Wiederholung und Auslassung.
Warum wir alle framen
So wird ein Interpretations-Horizont für die Rezipierenden aufgespannt. Durch Framing werden bestimmte Aspekte betont, während andere in den Hintergrund treten. Daher werden auch bestimmte Bewertungen eines Themas nahegelegt. Wichtig zu wissen: Medien und Menschen können praktisch "nicht nicht-framen". Auch in diesem Beitrag hier wird zwangsläufig geframed.
Wir Menschen müssen auswählen und vereinfachen, sowohl als Medienschaffende und als Mediennutzende. Die Frage ist freilich, nach welchen Kriterien Framing stattfindet. Die genaue Wortwahl, das "Wording", kann dann als konkreter Teil der Rahmensetzung, des "Framing", begriffen werden: Nicht zuletzt als eine Form von Sprachregelung in der Öffentlichkeitsarbeit als einem Bereich von Auftragskommunikation. Also was mächtige Akteure in Wirtschaft, Politik, Behörden, Kulturindustrie etc. vorgeben.
Ein typischer Fall: Werden Aufständische "Freiheitskämpfer" genannt oder aber "Terroristen"? Oder eben: Inwiefern wird von "Krieg" gesprochen?
Im Fall der von Julian Assange aufgedeckten mutmaßlichen US-Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan schreiben in der neuesten Entwicklung wichtige Medien hierzulande, in jenen Ländern hätten damals "US-Militäreinsätze" stattgefunden. Man mag zur Verteidigung dieser Wortwahl sagen, das sei eine Zusammenfassung der US-Regierungssicht. Das wird im Text aber keinesfalls kenntlich gemacht und so auch nicht deutlich. "US-Militäreinsätze" wirkt wie eine Tatsachenbehauptung, nicht wie die angemessen distanzierte Wiedergabe einer machtvollen Version.
Das Ganze erscheint bestenfalls wie eine Art von "False Balance", also falscher Äquidistanz in beide Richtungen: Die Einen (die US-Regierung) sagen halt "US-Militäreinsatz", die anderen (Assanges Unterstützer) reden eben von "US-geführtem Krieg". Die Wahrheit, mag das Publikum denken, wird irgendwo in der Mitte liegen, und nichts Genaues weiß man nicht.
"Fun Fact" am Rande: Wenn wir auch vom einstigen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg kaum noch etwas wissen – außer seiner Plagiatsgeschichte – eines sollten wir aus der kurzen Amtszeit des CSU-Politikers präsent haben: Er war einer der ersten Offiziellen auf westlicher Seite (allerdings erst im Jahre 2010), der mit Blick auf den US-geführten Krieg in Afghanistan zumindest "umgangssprachlich" von "Krieg" redete und damit damals laut Spiegel "ein Tabu" brach. Gewiss machte er das nicht, um diesen Krieg zu kritisieren oder gar zu beenden. Aber wichtige Medienmenschen hierzulande könnten/sollten diese Kriegs-Geschichte kennen.
Besonders brisant wird das fragwürdige aktuelle Framing und Wording vom "US-Militäreinsatz", weil buchstäblich dieselben Medien zu recht darauf hinweisen, dass die von der russischen Führung und der russischen Armee am 24. Februar 2022 begonnene Invasion der Ukraine ein Krieg ist, ein Angriffskrieg. Und nicht, wie die offizielle russische Sprachregelung propagandistisch zumindest lange Zeit behauptete, eine "militärische Spezialoperation". Spätestens seit seiner Rede zur Parade am "Tag des Sieges" am 9. Mai 2023 spricht nun selbst der russische Präsident Wladimir Putin ganz offiziell von "Krieg". Wenn auch offenbar nicht, um diesen Krieg zu kritisieren oder ihn zu beenden.
Der zweite aktuelle Aspekt ist mit Blick auf die Rahmensetzung, das Framing, ebenfalls bemerkenswert: Es geht um die "geplante Auslieferung" von Assange an US-Behörden. Was soll uns diese Wortwahl sagen? Mit Blick auf den Journalismus: Es geht anscheinend ja (leider) nicht darum, einen etwaigen Plan der britischen und US-Behörden in Justiz oder Staatsapparat recherchiert zu haben, diesen nun bekannt zu machen und gegebenenfalls kritisch zu beleuchten.
Stattdessen wird mit dieser Wortwahl Normalisierung erreicht: Das sollte der "natürliche", wahrscheinliche, erwartbare Gang der Dinge sein/werden. Die (da oben) werden schon einen Plan haben. Entweder, wir finden den in etwa vernünftig, oder aber wir sagen: Kannste eh nix gegen machen.
Um hier zum Abschluss als Kollege konstruktiv kritisch zu sein: Warum wird in diesen Nachrichtentexten nicht geschrieben: "etwaige Auslieferung" oder "mögliche Auslieferung" oder "umstrittene Auslieferung"? Alles besser als "geplante Auslieferung". Und noch besser bleibt natürlich, wenn der Kollege Julian Assange, der für den Journalismus und die demokratische Weltöffentlichkeit höchst Verdienstvolles geleistet hat, gar nicht an US-Behörden ausgeliefert, sondern sofort freigelassen wird. Soviel zum Framing dieses Beitrages.