Frankreich: 2020 - Ein demografisch "schwarzes Jahr"

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Mehr Tote, weniger Geburten und Hochzeiten im Corona-Jahr. Rückgang bei Lebenserwartung stärker als im Jahr 2015, das von einer starken Wintergrippe geprägt war

Das französische Amt für Statistik, l'Insée, hat eine erste Bilanz zum Corona-Jahr 2020 veröffentlicht. Mehr Tote als im Jahr zuvor, schrumpfende Lebenserwartung bei Frauen wie Männern, ein weiterer Rückgang der Geburten und weniger Hochzeiten sind die Hauptergebnisse.

Auch auf der anderen Seite des Rheins gibt es längst Diskussionen darüber, wie verlässlich und solide die Coronavirus-Pandemie in Zahlen abgebildet wird, woran sich Debatten darüber anschließen, wie gefährlich sie einzuschätzen ist, schließlich schränken die Lockdown-Maßnahmen die bürgerlichen Freiheiten drastisch ein und der Unmut darüber gärt stark. Die nächtliche Ausgangssperre ist zu einer abendlichen geworden. Sie gilt ab 18 Uhr. Das ist die klassische Zeit für einen Apéritiv wie auch für Einkäufe.

Die Zahl der Toten

Besondere Bedeutung haben die Todeszahlen im Jahr 2020. Im Bericht der Zeitung Le Figaro (leider mit Zahlschranke) zeigt eine Grafik zwei deutliche Anstiege der Todeszahlen im vergangenen Jahr: einen Berg im Zeitraum von Mitte März bis Ende April 2020 mit dem Gipfel am 2. April und einen Berg, der Mitte Oktober ansteigt, seinen Gipfel am 7. November hat, und dann, allerdings ziemlich langsam, bis Ende Dezember abfällt. Der Verlauf der 2020er Linie hebt sich in diesen Zeiträumen unübersehbar ab von den beiden anderen Linien: der Toten von 2019 und derjenigen, die den Durchschnitt der Todeszahlen der Jahre 2015 bis 2019 darstellt.

In Zahlen: 667.400 Tote insgesamt wurden im Jahr 2020 in Frankreich registriert. Das sind 9 Prozent mehr als in den Vorjahren 2018 und 2019, so das statistische Amt anhand der Daten, die am 15. Januar vorlagen. In absoluten Zahlen seien das 53.900 Tote mehr als im Jahr 2019. Das Gesundheitsamt habe in der letzten Woche die Zahl von 69. 313 Personen gemeldet, die in Krankenhäusern oder Alters- und Pflegeheimen (Ehpad) an Covid-19 verstorben sind, so der Figaro-Bericht.

Der Zeitungsbericht stellt diese Mitte Januar upgedateten Zahlen demgegenüber, was das statistische Amt l'Insée zuvor als "demografische Bilanz ausgegeben hat" und die noch auf dessen Webseite zu lesen sind. Mitte November war noch von einem kleineren Anstieg der Todeszahlen gegenüber 2019 die Rede (plus 7,3 Prozent).

Als erstes Fazit der Statistiker wird ausgegeben, was oben bereits mit der Grafik angesprochen wurde: "Die Covid-19-Pandemie betraf vor allem Todesfälle im Frühjahr und zum Jahresende."

Die Übersterblichkeit ist besonders signifikant für Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter mit 43.000 Todesfällen mehr als im Jahr 2019. Im Vergleich dazu hat die Hitzewelle im August 2003 schätzungsweise 15.000 Todesfälle verursacht, während die Grippe im Winter 2017-2018 schätzungsweise 10.000 Todesfälle verursacht hat. Wir müssen aber auch den Eintritt der zahlenmäßig starken Babyboom-Generationen ins Alter berücksichtigen. Ein Phänomen, das in den letzten Jahren die Zahl der Todesfälle in Frankreich erhöht hat.

Le Figaro

Die Zeitung aus dem konservativen bürgerlichen Lager kommentiert das Gesamtbild, das die Statistiker für das vergangene Jahr angefertigt haben (und das wohl noch an einigen Stellen nachkorrigiert werden wird), als "demografisch schwarzes Jahr".

Geburtenrückgang, Lebenserwartung und Heiraten

Denn es zeige sich, dass sich auch der Trend des Geburtenrückgangs, der mit dem Jahr 2015 begonnen hat, fortgesetzt habe. 740.000 Kinder wurden 2020 geboren. Zuzeiten der Geburten der Babyboomer in den 1960er Jahren war man bei Zahlen um die 900.000 - bei weniger Einwohnern. Am ersten Januar 2021 zählen die Statistiker 67,4 Millionen Bewohner Frankreichs. 1965 waren es knapp 50 Millionen.

Die Statistiker errechneten auch eine Veränderung bei der Lebenserwartung. 2019 sei sie noch leicht angestiegen, 2020 ist sie leicht zurückgegangen. Frauen würden nun im Durchschnitt auf 85,2 Jahre kommen, Männer auf 79,2. Das sei ein Rückgang von 0,4 respektive 0,5 Jahren, wobei sich der Rückgang rechnerisch noch vergrößern könnte, wenn die Todeszahlen weiter nach oben korrigiert werden müssten.

"Der Rückgang ist deutlich größer als im Jahr 2015, das von einer starken Wintergrippe geprägt war (minus 0,3 Jahr und minus 0,2 Jahr)", heißt es dazu von der Insée.

Einen deutlichen Effekt hatte die Corona-Krise auf die Zahl der Heiraten. Sie gingen im Vergleich zu 2019 um 34,1 Prozent zurück, das sei "historisch". Zurückgeführt wird dies auf das Verbot von Hochzeitsfeiern während des Lockdowns und auf Reglementierungen wie die strikte Begrenzung der Gästezahl auch in den Folgemonaten, die wenig Lust auf Hochzeiten aufkommen ließ. Es gab "fast keine Hochzeiten im April und im Mai und weit weniger als in den Vorjahren im Juni und Juli", so Insée.

Die Krisen, die wiederkommen

Anzumerken wäre noch, dass die Demografie in Frankreich einen speziellen Status in der Debatte hat, was nicht zuletzt auch an Emmanuel Todd liegt, einem Intellektuellen, der vor vielen Jahren den Zusammenbruch der Sowjetunion aufgrund demografisch begründeter Schlüsse "vorhersagte", zumindest begründete das Buch "La chute finale" einen Ruf, der bis heute anhält. In Deutschland wurde er Anfang der 2000er Jahre mit dem Buch "Weltmacht USA: Ein Nachruf" bekannt.

Todd hatte vor genau einem Jahr ein weiteres demografisches Buch vorgelegt, das einen Klassenkampf in Frankreich im 21. Jahrhundert prognostiziert. Angesprochen werden da soziale Konflikte, die mit der Corona-Krise in den Hintergrund getreten sind und mit den Protesten der Gelbwesten ans Tageslicht kamen. Sie sind nicht verschwunden. Sobald die Zahlen der Infektionen weiter zurückgehen, stehen die nächsten Krisen für die Regierung an.