Frankreich: Brutale Polizeigewalt bringt Regierung in Bedrängnis

Seite 3: Zineb Redouane: 80-jährige Dame getötet

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Auch der Fall der getöteten 80jährigen Zineb Redouane birgt potenziell einigen politischen Sprengstoff. Auch hier kommen immer mehr kompromittierende Informationen ans Tageslicht.

Madame Redouane war am Samstag, den 1. Dezember 2018, am Fenster ihrer Wohnung im vierten Stock, in der rue des Feuillants, durch mindestens eine Tränengasgranate getroffen worden. Zu dem Zeitpunkt spielten sich dort sowohl Proteste der "Gelbwesten" als auch eine Demonstration gegen die städtische Wohnungspolitik in Marseille ab - infolge des Einsturzes eines in bedenklichem Zustand befindlichen Wohnhauses in der Marseiller rue d’Aubagne am 05. November 18 wurden dort rund 2.500 Menschen aus ebenso schlecht erhaltenen Wohngebäuden evakuiert, zum Teil ohne jegliches vernünftige Angebot einer Ersatzwohnung. Dieser Skandal hält im Übrigen bis heute an.

Am 03. Dezember 2018 verstarb Zineb Redouane an den Folgen ihrer Verletzung in einem Krankenhaus. Die Staatsmacht verbreitete schnell die Version, erstens sei sie an den Folgen der Operation und nicht etwa an ihren Verletzungen gestorben, und zum Zweiten handele es sich um einen Unfall - die Tränengasgranate sei schräg nach oben geschossen worden, um ihren Gasinhalt über die Menge zu verstreuen, und sei dabei durch ein Fenster gegangen.

Ihre Tochter, die sich zum fraglichen Zeitpunkt hinter ihr in der Wohnung befand, sagte hingegen aus, Beamte hätten gezielt auf ihre Mutter geschossen, weil sie ihr Telefon in der Hand gehabt habe - man habe sie verdächtigt, zu filmen. Rassistische Reflexe, die in den Reihen der französischen Polizei nicht wirklich inexistent sind, mögen dabei womöglich auch eine Rolle gespielt haben.

Inzwischen hat ein Sohn von Zineb Redouane Fotos der Dame auf ihrem Krankenhaus- bzw. Totenbett publiziert (was eine Polemik in den Reihen der Familien betreffend Pietätsfragen auslöste). Diese sind zumindest insofern von öffentlichem Interesse, das sicherlich gegen den Respekt der Totenruhe abgewogen werden muss, als die Aufnahmen erkennen lassen, dass Zineb Redouane allem Anschein nach nicht durch eine, sondern durch zwei Granaten getroffen wurde und zwei unterschiedliche Verletzungsstellen aufweist. Dies belegt in den Augen auch von Journalisten die These vom gezielten Beschluss.

Bis heute sind einige brisante Details zu diesem Todesfall bekannt geworden: Der stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft befand sich selbst während des polizeilichen Einsatzes unmittelbar vor Ort und begleitete die Polizeikräfte; worüber sein Vorgesetzter auch informiert war.

Ihm selbst wurde nach dem Ereignis die Leitung der Ermittlungen übertragen. Überraschung: Der Mann vermochte kein Problem zu erkennen, sondern schloss sofort nach dem Ableben von Madame Redouane auf Herzversagen infolge eines "Operationsschocks".

Der Leiter der Bereitschaftspolizei (CRS) während des Einsatzes weigerte sich seinerseits standhaft, fünf vor Ort benutzte Abschussgeräte für Gasgranaten durch Experten inspizieren zu lassen. Nun ja, eigentlich nennt sich das illegale Behinderung von Ermittlungen respektive Strafvereitlung im Amt, und bildet einen Straftatbestand …

Und die am Einsatz beteiligten Beamten konnten sich leider, leider an überhaupt nichts erinnern. Komisch aber auch. Die am nächsten am, nennen wir es: Tatort gelegene Überwachungskameras hatte, neue Überraschung, angeblich aufgrund einer Panne keine Bilder aufgezeichnet. Undsoweiterundsofort: Pleiten, Pech und Pannen vereitelten seriöse Ermittlungen, welch ein Unglück aber auch. Im Übrigen ist auch sieben Monate danach jener Polizist, der die (in der Wirkung tödliche) Gasgranate verschoss, noch nicht einvernommen worden.

Hinzu kommt eine kuriose Anordnung der ermittelnden Richter vom April dieses Jahres: Diese wollten wissen, wie lange die Dauer der Krankschreibung (gemessen in Arbeitsausfall-Tagen, französisch ITT abgekürzt) der Toten sei, um die Schwere der Körperverletzung juristisch beurteilen zu können.

Nun stellte sich aber heraus, dass die soeben erwähnte Überwachungskamera mutmaßlich doch nicht kaputt war. Yassine Bouzrou, in dieser Sache Rechtsanwalt von vier der fünf Kinder der Verstorbenen, erstattete am Freitag, den 05. Juli dieses Jahres, deswegen Strafanzeige wegen Falschaussage und Strafvereitlung seitens von Amtsträgern.

Die Familie selbst hatte Ende Juni dieses Jahres eine neuerliche Strafanzeige wegen Verschleppung der Ermittlungen getätigt, die zu einer ersten Anzeige vom 19. April hinzukommt.

Aufgrund der persönlichen Verwicklung des stellvertretenden Leiters der örtlichen Staatsanwaltschaft dürfte die Verantwortlichkeit der Ermittlungen voraussichtlich an einen anderen Gerichtsstandort ausgelagert werden, um eine unmittelbare Einflussnahme zu erschweren.

Man darf aber getrost davon ausgehen, dass es auch in diesem Falle ohne Druck aus der Gesellschaft zu keinen ernsthaften Ermittlungsfortschritten kommen dürfte...

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