Frankreich: Der Schläger aus dem Palast Macrons
Die "Affäre Benalla" über einen engen Sicherheitsmitarbeiter des Präsidenten, der einen Demonstranten verprügelt, und die auffallend schwache Opposition. Update
In die Geschichtsbücher wird die "Affäre Benalla" wahrscheinlich nicht kommen. Aber sie wird seit nicht ganz einer Woche in den französischen Medien sehr ausführlich und mit großer Rhetorik ausgewalzt. Und sie hat schon die Parlamentsdebatte über eine Verfassungsänderung vertagt, was allerdings kurz vor den Ferien nicht die ganz große politische Überraschung ist.
Im Zentrum steht eine instabile Persönlichkeit, ein Schläger, der als Sicherheitsmann und Leibwächter in nächster Nähe von Macron arbeitete und in seiner Freizeit am 1. Mai Demonstranten verprügelte, wobei er den Anschein gab, dass er zur Polizei gehört. Das andere Zentrum der Geschichte ist der Präsidentenpalast.
Von dort kam am Anfang die falsche Reaktion, nämlich eine viel zu softe Strafe für den Schläger Benalla, der nur ein paar Tage lang suspendiert wurde, als sein Vorgesetzter, der Directeur de cabinet, Patrick Strzoda, von seinen Aggressionen gegen die Demonstranten erfuhr. Jetzt, ein paar Wochen später, im Sommerloch, entwickelt sich aus dem Schläger im Elysee-Palast eine Fortsetzungsgeschichte.
Ein Kopf muss rollen
Wann sie beendet wird, ist noch nicht abzusehen, vieles fehlt noch, zum Beispiel die Aussagen der Opfer von Alexandre Benalla. Welches politische Gewicht die Affäre haben wird, ist auch noch offen. Ein Kopf muss rollen bei solchen Geschichten. Ob es der Innenminister Gérard Collomb sein wird, wohin es Medienberichte lenken, auf der Suche nach Abonnenten?
Immerhin: Der Minister wusste Bescheid, schon am 2.Mai, also am Tag nach Benallas Gewalttaten, und er meldete es nicht der Justiz, wie Mediapart gestern (hinter einer Zahlschranke) enthüllte. Ob die Affäre allerdings die politische Kraft entwickeln kann, die es braucht, um den Innenminister auszuhebeln, ist derzeit, allen Medienaktivitäten zum Trotz, nicht wirklich wahrscheinlich. Obwohl die Affäre im Kern nicht harmlos ist.
Das Hobby des Leibwächters: Demonstranten niederschlagen?
Ein Video, hier auf YouTube, zeigt die Vorfälle, die Alexandre Benalla, dem mittlerweile gefeuerten Sicherheitsmitarbeiter im Elysee-Palast, seiner toller Hofttitel lautete: "adjoint au chef de cabinet", zur Last gelegt werden. Schauplatz ist die "place de la Contrescarpe", ein von Cafés umsäumter Platz in Paris, beliebtes Ziel von Touristen, und an diesem 1. Mai 2018 Treffpunkt von Demonstranten, die was losmachen wollten, etwas mehr Zunder geben als bei anderen Veranstaltungen am Maifeiertag … die berüchtigten "linken Krawallmacher" …
Offenbar wusste auch die Polizei Bescheid. Am Anfang des Clips sieht man die in dergleichen Szenarien zu den "berüchtigten linken Krawallmachern" gehörenden Antagonisten, die "berüchtigten Brutalo-Polizisten von der CRS" (Compagnies Républicaines de Sécurité, deutsch: Sicherheitskompanien der Republik), aufmarschieren. Im Auge behalten sollten die Betrachter einen Mann, der einen Helm trägt wie die Polizisten, aber ansonsten Zivilkleidung, auffällig ist seine weiße Kapuze auf der dunklen Jacke.
Ab 0:18 sieht man ihn, wie er eine junge Frau sehr unsanft anfasst, sie zerrt und mit einem Nackengriff einen anderen Ort weg von den Demonstranten nötigt. Danach schwenkt die Kamera zurück auf die Szene am Platz und zeigt wie Polizisten sowie ein Mann in Zivilkleidung sich über einen jungen Mann hermacht, der auf den Boden gezogen worden ist und auf den dann einschlagen und eingetreten wird.
Die Ordnungskräfte versuchen ihn wegzuschleppen - in die Richtung, wohin der Mann mit der weißen Kapuze zuvor die junge Frau gebracht hat. Der kommt dann schließlich bei 1:10 wieder ins Bild, weil er auf den jungen Mann am Boden zueilt, um dann an ihm herumzuzerren und ihm ein paar Schläge zu verpassen und schließlich, als der junge Mann wieder am Boden liegt, einen Tritt in den Bauch (1:23). Der aggressive Umgang mit dem Mann, der sich am Boden krümmt, geht weiter, der Mann mit der weißen Kapuze ist irgendwann der Hauptdarsteller, der voll im Bild ist; er verschwindet dann raschen Schrittes.
Die Leser werden es ahnen, der Mann mit der weißen Kapuze ist besagter Alexandre Benalla, der Beigeordnete des Kabinettschefs im Präsidentenpalast, der Security-Verantwortliche, der Mann, der schon im Wahlkampf in nächster Nähe von Emmanuel Macron auf den Kandidaten aufpasste und nach dessen Sieg omnipräsent im Palast war und bei Reisen der Aufpasser des Präsidenten, ein überaus wichtiger Mann von der Sorte und Amt, wovon die Öffentlichkeit immer erst erfährt, wenn etwas schief gegangen ist.
[Nachtrag/Update: Ein Video, das seit Montag Vormittag von Libération online gestellt wurde (aber dem Autor entgangen war, pardon), zeigt die Vorgeschichte zu den oben geschilderten Ereignissen. Demnach verhielten sich die am Platz Versammelten zunächst unauffällig - bis von dem besagten Paar etwas in Richtung Polizei geworfen wurde. Die junge Frau machte dazu eine obszöne, auf jeden Fall nicht unbedingt höfliche Geste Richtung Polizei. Danach wurde innerhalb der Polizistengruppe beraten, Benalla gehörte dazu. Daran schließen sich dann die oben geschilderte Szenen an.
Laut Le Monde ist die Identität des Paares mittlerweile bekannt. Deren Anwalt will jedoch Genaueres erst bekannt geben, wenn eine Aussage vor einem Richter gemacht wurde. Wie die Zeitung berichtet, war das Paar nur als schaulustige Passanten am Platz zugegen. Überdies habe die Versammlung, die dort von bestimmten (Studenten-)Gruppen verabredet war, ein rein friedliches, entspanntes Zusammentreffen zur Absicht gehabt - und nicht wie der Autor hier aufgrund anderer Quellen behauptet hatte, "Krawall". Wie der unbestreitbare Wurf eines Gegenstands aus der Gruppe heraus Richtung Polizei begleitet von der "Fuck-you-Geste" der Frau interpretiert werden kann, ist noch offen.
Update, 26. Juli. In der Darstellung der Vorfälle samt langer Vorgeschichte, die Alexandre Benalla in einem Gespräch mit Le Monde macht, handelte es sich bei vielen, die sich am 1. Mai an der Place de la Contrescarpe versammelt hatten, um Mitglieder eines "schwarzen Blocks" oder "Autonome", die eindeutig angezogen waren und es auf Krawall abgesehen hatten, was sich daran zeigte, dass sie die CRS-Polizeikräfte mit Flaschen und anderen Gegenständen bewarfen und zudem provozierende Gesten gemacht haben sollen. Er selbst habe dadurch, dass er, nachdem Polizisten beworfen wurden, eingegriffen habe, einen großen Fehler begangen, weil dies nicht mit seiner Arbeit im Elysée-Palast vereinbar gewesen sei. Laut Le Monde wurde Benalla aus Polizeikreisen das Video einer Überwachungskamera zugespielt - "zu seiner Verteidigung", weil darauf das besagte Paar zu sehen ist, dass Gegenstände wirft ]
Selbst die frühere PS(Sozialdemokraten)-Chefin Martine Aubry hatte ihren früheren Leibwächter schon fast vergessen, sagte sie am Wochenende.
Dass der Mann, der von der Wahlkampfentourage Macrons, "Rambo" genannt wurde, nun in der französischen Öffentlichkeit bekannt ist, ist Le Monde zu verdanken. Die Zeitung hatte mit ihrem Bericht über das Video am vergangenen Mittwoch den Auftakt zur Affäre Benalla gemacht.
Ungeklärtes im Inneren des Palastes
Sie wusste den Namen des unbekannten, aggressiven "Zivilpolizisten", sie kannte seine Position im Palast und sie nannte beides öffentlich, untermauert mit der Bestätigung seines Vorgesetzten Patrick Strzoda, und setzte ein paar Fragezeichen, die aufhorchen ließen.
Wie kommt das, dass so ein "instable" bei einem Polizeieinsatz mitmischen darf? Wie kommt es, dass der zu aggressiven Ordnungsmachtauftritten neigende Mann eine derartige Vertrauensstellung im Zentrum der französischen Macht bekommen kann, so dass er privilegierten Zugang zu allen möglichen Bereichen, wie z.B. dem Polizeieinsatz bei einer Demonstration, aber auch in interne Bereiche des Parlaments, erhält?
Wie kann es sein, dass "der Palast", der doch Rücksprache mit dem Präsidenten gehalten haben muss, als das Videointern, am 2. Mai, bekannt wurde, den Gewalttäter nur für ein paar Tage von seinem Job suspendierte und ihm einen anderen Arbeitsplatz zuwies, aber den Mann mit dem Aggressionsproblem ansonsten verschonte?
In den Tagen danach wurde die Geschichte dann um einiges weitergedreht. Zuerst wurde Präsident Macron mit der spärlichen, aber sehr staatstragenden, vom langen Atem der Geschichte beseelten Aussage zur Affäre zitiert, wonach die Republik unveränderbar bleibt. Später hieß es dann, dass Macron sich doch für eine Entlassung Benallas entschieden hat.
Währenddessen veröffentlichten Medien noch weitere Videos, die etwa zeigten, dass Benalla später noch die Polizei zu dem eingeschüchterten Paar, das sich bei einem Café zurückgezogen hatte, heranwinkte, was dort gesprochen wurde, ist nicht klar. Allerdings gab Mediapart Bescheid, dass man dort den Namen des Videofilmers kennen würde.
Das führt nun zur Frage, warum man herausgefunden hat, wer die Vorgänge am 1. Mai gefilmt hat, aber nicht, wer die Opfer der Aggressionen waren. Bislang gibt es von ihnen keine Aussage weder von der Frau, die am Anfang des Videos von Benalla mit dem Nackengriff abgeführt wurde noch von dem Mann, der auch im erwähnten zweiten Video noch einmal, anscheinend von Polizeikräften, malträtiert wird.
Eine Opposition, die der Regierung zusetzt? Nicht in Frankreich
Politisch ist auffallend, dass dieser Geschichten ein sehr großer Raum gegeben wird. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Opposition auf die Gelegenheit stürzt, um dem Günstling vieler ihm favorabler Umstände, dem Jupiterpräsidenten Macron, endlich an den Kragen gehen zu können, wobei die Aussichten, dass Macron mit dieser Affäre ins Straucheln gerät, nicht besonders groß sind.
Die Opposition in Frankreich hat, wie es sich an dieser Affäre zeigt, kein großes Thema, um Macron in wirkliche Bedrängnis zu bringen. Das ist angesichts der schlechten Umfragewerte ein Zeichen der Schwäche.