Frankreich: Die neue Linksunion
Seite 2: Programmatik: "Regulierung" des Wirtschaftssystems gegen besonders gierige Geier
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Wofür steht Mélenchon oder stehen die von ihm angeleiteten Wahlbewegungen inhaltlich? Die Einführung von Verhältnissen wie in der verblichenen UdSSR verspricht sein Kurs keineswegs, auch wenn die konservative Tageszeitung Le Figaro längst, reichlich dümmlich, von einer "Sowjetisierung der französischen Wirtschaft" im Falle einer Regierungsübernahme von Mélenchon faselt.
Auch keinen sonstigen Bruch mit dem Kapitalismus; dies versprach zwar der später regierende Parti Socialiste unter Mitterrand in seinen Oppositionszeiten in den 1970er-Jahren explizit, doch mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass antikapitalistisch klingende Worthülsen auf seinen Parteitagen nicht ernst zu nehmen waren.
Das umfangreiche Wahlprogramm der diesjährigen Union populaire unter Mélenchon, das unter dem Titel L’Avenir en commun ("Die Zukunft als Gemeingut") in Buchform vertrieben wurde, fiel nicht so verbalradikal aus, forderte jedoch einige strukturelle Verbesserungen gegenüber dem Jetztzustand.
Es wollte etwa den gesetzlichen Mindestlohn anheben, das gesetzliche Mindestalter für den Renteneintritt von derzeit theoretisch 62 – jedoch oft mit Strafabzügen aufgrund fehlender Beitragsjahre, das reale Eintrittsalter liegt derzeit bei 64 – auf sechzig senken und Lehrkräfte in öffentlichen Schulen besser bezahlen.
Auch sollen Aktionäre mehr Stimmrechte in Unternehmen erhalten, wenn sie länger in ihrem Kapital verbleiben, um den Eintritt von Investoren wie Hedgefonds zum Zweck des Ausweidens der Firmen ohne längerfristige Perspektive zu verhindern; und um dem Ausschütten überhöhter Dividenden an solche Kurzzeitanleger einen Riegel vorzuschieben, soll gesetzlich festgeschrieben werden, dass Aktiendividenden nicht die Rendite des betreffenden Unternehmens übersteigen dürfen.
Antikapitalistisch ist das nicht, ein Versuch der "Regulierung" des Wirtschaftssystems gegen besonders gierige Geier jedoch schon. Allgemein sollen ökologische Imperative für die Zukunftsplanung erheblich stärker zur Geltung kommen und die Unternehmen gesetzlich und strukturell dazu gezwungen werden, Elemente wie Wasserverbrauch und -verschmutzung sowie klimaschädliche Emissionen in ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.
Mélenchon brachte dies auf die Formel von der "planification écologique". Als Ankündigung des Übergangs zum Kommunismus wirkt diese Idee "ökologischer Planung" allerdings wohl nicht auf die Kapitalinhaber, jedenfalls was die nicht ideologisch totalverbohrten und den Figaro lesenden unter ihnen betrifft. Denn Emmanuel Macron verkündete in den Tagen vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl und auch noch danach, sein künftiger Premierminister oder seine nächste Premierministerin müsse direkt – ohne Umweg über ein Fachministerium – für ebendies, nämlich "planification écologique" zuständig sein.
Atomausstieg und erneuerbare Energien
Ob dies mehr als ein verbales Zugeständnis und Wahltaktik darstellt, muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Zum Ausstieg aus dem Kapitalismus dürfte Macron sich jedenfalls nicht bekehrt haben; was jenen aus der Atomenergie betrifft, so befürwortet die Union populaire einen mittelfristigen und die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien bis 2050.
Im Unterschied zur Französischen KP übrigens, die bei diesem Thema bis heute den Schuss nicht gehört hat: Ihr (erfolgloser) Kandidat Fabien Roussel wollte den Atomstrom-Anteil bis 2050 erhöhen, im Namen des Klimaschutzes, genau wie Macron übrigens.
Insofern hat Mélenchon sich einen Verdienst erworben, indem er seit seinem ersten Präsidentschaftswahlkampf 2011/12 Themen zu Umwelt und Atomausstieg in den Programmdiskurs aufgenommen hat, die besonders bei der dazu hoffnungslos vernagelten französischen KP keine Chance gehabt hätten.
Ansonsten klingt er bei sozialen Thematiken sehr ähnlich wie die Parteikommunisten oder früher auch der Parti Socialiste.
Als dritte Komponente nahm er seit 2011/12 allerdings auch eine starke linkspatriotische Tonlage in seinen Diskurs auf, er nennt etwa Frankreich stets la patrie ("das Vaterland") oder auch la Nation mit Großbuchstaben. Dies soll auch gaullistische Strömungen, die ebenfalls einem relativ starken Sozialstaat favorisieren würden, ansprechen.
Nupes: Ökologische und soziale neue Union populaire
Im Hinblick auf die Parlamentswahl schloss Mélenchons Wahlbewegung seit Anfang Mai nun mehrere Wahlbündnisse, um dafür zu sorgen, dass sich nicht mehrere Linksparteien durch Stimmenkonkurrenz gegenseitig behindern und deswegen nicht in den Parlamentswahlkreisen in die Stichwahl kommen.
Die heterogene Allianz hört nun auf den Namen NUPES, für "ökologische und soziale neue Union populaire". In ihrem Rahmen wurden vom 02. bis 04. Mai Abkommen mit den französischen Grünen (Europe Ecologie-Les Verts), der Französischen kommunistischen Partei (dem PCF) und der früheren Regierungssozialdemokratie in Gestalt des mittlerweile völlig abgewrackten Parti Socialiste (PS) geschlossen.
Verhandlungen mit der links von LFI stehenden, kleineren "Neuen Antikapitalistischen Partei" – dem NPA - wurden ebenfalls aufgenommen, scheiterten jedoch in diesem Falle an den angebotenen Bedingungen und den Inhalten.
Zunächst war angekündigt worden, alle an einem breiteren Linksbündnis beteiligten Kräfte sollten gemäß ihrem Abschneiden bei der Präsidentschaftswahl berücksichtigt worden, also nach ihrem jeweiligen Anteil an den insgesamt rund 33 Prozent, die linke Kandidaturen aller Schattierungen erzielten. Dies hätte dem PS rund dreißig von den insgesamt 577 Wahlkreisen gegeben – in denen dann alle anderen Linksparteien auf eine Kandidatur zu seinen Gunsten verzichten -, dem NPA wiederum ihrer dreizehn.
Doch dann schlug es nicht dreizehn, sondern das letzte Angebot seitens der Mélenchon-Anhänger/innen an den NPA lautete auf fünf Wahlkreise, darunter kein gewinnbarer. Umgekehrt erhielt der PS, also die rechtssozialdemokratische Partei des früheren Präsidenten François Hollande und der im April krachend gescheiterten Kandidatin Anne Hidalgo, letztlich siebzig statt ihm mathematisch zustehender dreißig Kreise. Vielleicht steckt ja doch in Nupes… zu viel PS?
Dem entsprechen auch programmatische Zugeständnisse, die wohl die bürgerlich-konservativen Medien und Wirtschaftskreise besänftigen sollten. So forderte die Union populaire in ihrem Präsidentschaftswahlkampf – und dürfte auch weiterhin fordern -, dass alle Lohnabhängigen, die es wünschen, mit 60 in Rente gehen können.
In ihrem Abkommen mit dem Parti Socialiste zur Parlamentswahl ist die Sache jedoch umschrieben, und die dort benutzte Formulierung zu einem "Recht auf Rente ab sechzig" lässt in Wirklichkeit die Möglichkeit offen, dass dies auch als eine Option behandelt werden könnte; eine Option, die man wahrnehmen kann, wobei man aber unter Umständen erhebliche Abzüge bei der Pensionshöhe in Kauf nehmen muss. Konkret wird die Frage ohnehin nur in der Praxis und unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse beantwortet werden.
Der Chef des PCF (also der Französischen KP) wiederum - Fabien Roussel - kündigte seinerseits bereits an, obwohl das Wahlabkommen die beteiligten Formationen im Prinzip auf gemeinsame Programmpunkte festlegt, würden die Abgeordneten seiner Partei künftig bei Themen wie Atomenergie ihre Abstimmungsfreiheit beibehalten. Roussel hatte im Präsidentschaftswahlkampf eine Erhöhung des Atomkraft-Anteils an der Energieversorgung bis 2050 propagiert, wie im Übrigen auch Emmanuel Macron.
Insofern werden die Widersprüche über wichtige gesellschaftliche Weichenstellungen, wenn es denn darauf ankommt, zweifellos auch innerhalb des Bündnisses aufeinanderprallen.