Frankreich: Ein neuer Fall von Polizeigewalt
… und das Wiedererstarken der Gelbwesten durch die Rentenpläne Macrons
Es hat sich etwas verändert in Frankreich. Auf einmal stehen nicht mehr die Gewaltausschreitungen der Gelbwesten bei ihren Demonstrationen im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die der Polizei.
Auch haben die Gelbwesten-Proteste neuerdings wieder mehr Zulauf. Sie profitieren davon, dass ihre Proteste im Zusammenhang mit den Protesten der Gewerkschaft gegen die Rentenreform wieder mehr als soziale Bewegung gesehen werden. Die Widerwehr der Gewerkschaftsbewegung, angeführt von der CGT, gegen die Rentenreformen findet trotz der Behinderungen im öffentlichen Verkehr, mehrheitlichen Rückhalt in der Bevölkerung.
Einige Tausend Gilets Jaunes haben am vergangenen Samstag in Paris demonstriert, berichtete Le Monde am Samstagnachmittag und informierte in der Überschrift zum Artikel darüber, dass es laut Videos auf sozialen Netzwerken ein beträchtliches Polizeiaufgebot gab und "neue Gewaltakte, die gegen die Demonstranten begangen wurden".
Das ist eine deutliche Abweichung gegenüber der Berichterstattung der früheren "Actes", wie die samstäglichen Gelbwesten-Demonstrationen bezeichnet werden. Lange Zeit waren Schlagzeilen üblich, die die Gewalt der Teilnehmer der Gelbwesten herausstellten.
Polizeigewalt nicht mehr zu übersehen
Doch war die Polizeigewalt gegen Demonstranten nicht mehr zu übersehen. Zumal französische Polizisten auch durch exzessive Gewalt gegenüber Nicht-Protestierern in die Schlagzeilen gerieten. Ein besonders eklatanter Fall war der Tod eines 42-Jährigen infolge einer brutal durchgeführten Polizeikontrolle Anfang dieses Monats:
Videoaufnahmen von Zeugen zeigen, wie sich drei Polizisten auf den Rücken des Mannes setzen. Der Mann wurde danach ins Krankenhaus eingeliefert, wo er zwei Tage später verstarb. Die Autopsie ergab unter anderem einen Kehlkopfbruch.
Süddeutsche Zeitung
Sogar Innenminister Castaner, der die harten Polizeieinsätze beharrlich als gerechtfertigt gegen die "Randalierer" verteidigte, musste in diesem Fall zugeben, dass es "legitime Fragen" zum Einsatz von Gewalt durch die Polizei gebe. Macron hatte zuvor schon von seinem Innenminister konkrete Vorschläge gefordert, um "das Berufsethos der Polizisten zu verbessern".
Die veränderte Aufmerksamkeit der Berichterstattung großer Medien wird bei Macron eine Rolle spielen. So dokumentierte etwa Le Monde in einem Video-Beitrag, wie die Polizei bei einer Gelbwesten-Demonstration in Bordeaux einem Mann mit einem Kopfschuss aus einer "nicht-tödlichen" LBD-Waffe, die schon zu vielen Erblindungen geführt hat, schwerste Verletzungen beibrachte. Es ist beinahe müßig zu erwähnen, dass dem Mann keinerlei Gewaltakte seinerseits oder Provokationen vorzuwerfen sind. Das ist nämlich, wie nicht nur dieser Fall demonstriert, keine Ausnahme.
Prügel für einen am Boden Liegenden
Am vergangenen Wochenende gab es einen neuen Fall von Polizeigewalt. Videobilder, die sich schnell auch in den großen Medien und in Nachrichtenagenturen verbreitetet, zeigten einen Polizisten, der auf einen Mann mit blutigem Gesicht einschlug. Zu hören sind empörte Rufe einer Frau, die den Vorgang filmte. Die Nachrichtenagentur AFP veröffentlichte anschließend noch zusätzliche Videoaufnahmen, die die Handlungen der Polizei nicht unbedingt in einem besseren Licht erscheinen lassen, da man sie dabei sieht, wie Polizisten den blutenden Mann, dessen Hände am Rücken gefesselt sind, bäuchlings am Boden schleifen.
Der Vorfall fand große Beachtung. Er werde genau überprüft, reagierten die Behörden, auch Innenminister Castaner schaltete sich, dies bestätigend, ein. Die Abwehrhaltung in der Regierung funktioniert nicht mehr im lange Zeit dominierenden "Ignore"-Modus. Auch die Rechtfertigung, seitens der Polizei an die Öffentlichkeit kam, lässt es angeraten sein, lieber auf Distanz zu gehen.
Denn laut Aussage eines der beteiligten Polizisten sei es nötig gewesen, den am Boden liegenden im Gesicht und am Hinterkopf blutenden Mann mit Schlägen ins Gesicht zu beruhigen, da dieser den Polizisten damit gedroht habe, sie über sein Blut mit Aids anzustecken. Berichtet wird, dass die Polizisten Anzeige gegen den Mann erstattet haben, wegen Gewalt gegen Beamte. Auch die Polizeipräfektur in Paris und die Aufsichtsbehörde der Polizei ermitteln.
Der von der Polizei traktierte Mann dementiert laut Medienberichten die HIV-Aussage. Dennoch wird nun überprüft, ob der Mann HIV-infiziert ist. Indessen veröffentlichte die Tageszeitung Le Parisien einen Verlauf des Hergangs, der plausibel erscheint - und "in keinem Fall die Bilder rechtfertigt, die zeigen, wie ein Polizist auf den am Boden liegenden Mann einschlägt".
Der junge Mann soll Sekunden zuvor einem Polizisten auf den Rücken gesprungen sein, als eine Gruppe von Polizisten damit begann, einen Teil des Demonstrationszugs von Gelbwesten in Richtung des offiziell genehmigten Weges umzuleiten. Da der Polizist, auf dessen Rücken der "zu diesem Zeitpunkt maskierte Mann" gesprungen war, zugleich mit einem anderen Demonstranten "zu tun hatte", sei ihm ein halbes Dutzend Kollegen der Brigade CSI-75 (nicht gerade bekannt für eine sachte Vorgehensweise) zur Hilfe gekommen, die den jungen Mann rabiat herunterrissen, so dass er mit dem Hinterkopf zuerst auf dem Boden aufschlug und infolgedessen aus Wunden am Hinterkopf blutete. Die Wunden im Gesicht stammten dann von Schlägen der Polizisten.
Da es allerdings noch andere Aussagen vonseiten der Polizei gibt, wonach sie auf einen Flaschenwurf des jungen Mannes reagierte, ist der Verlauf der Sache noch umstritten. Einigkeit besteht aber in vielen Berichten darüber, dass der Polizeieinsatz erneut unverhältnismäßig war - zumal der Fall zwar spektakulär hervorgehoben wurde, aber bei weitem nicht der einzige Gewaltakt der Polizei bei den Demonstrationen am vergangenen Samstag war.
Gelbwesten und Gewerkschaftsproteste
Nach Zahlen des Twitterauftritts des Nombre Jaune, der mit der Gelbwesten-Bewegung verbunden ist, nahmen am acte 62 am vergangenen Samstag "mindestens 36.795" Personen teil. Auffallend ist, dass die Demonstrationen mit dem Protest gegen die Rentenreformen verbunden werden. Auch die Gewerkschaften haben sich über den anlasslosen oder unverhältnismäßigen Einsatz von Tränengas bei ihren Donnerstagsdemonstrationen beschwert.
Zwar hatten die Gelbwesten zu früheren Zeiten noch sehr viel mehr Teilnehmer, aber dem folgten Wochen, an denen so wenig kamen, dass viele die Bewegung schon am Ende sahen. Doch setzten die Gilets Jaunes dessen ungeachtet ihre actes fort und verbündeten sich mit den Protesten der Gewerkschaften gegen die Rentenreform.
Nun hat Macron erneut eine größere soziale Bewegung, der auch Schüler angehören, gegen sich. Und im Frühjahr warten Kommunalwahlen auf ihn, die durch die politischen Veränderungen der letzten Jahre an Bedeutung gewonnen haben. Die Aussichten für Macrons Partei La République en Marche sind schlecht.