Frankreich: Faszination für deutsche "Lösungen"

Seite 2: Berichterstattung: Falscher gemeinsamer Nenner "Radikalpopulisten"

Doch die Projektionen, die journalistische Berichte über Nachbarländer enthalten, verraten ja oft schon, wie schief dabei der Blick auch auf die eigene Gesellschaft ist.

Wenn dann etwa ein Korrespondent, der zu den Frankreichreichwahlen Spalten über Spalten bei der früher sozialdemokratisch orientierten Frankfurter Rundschau ebenso wie im als konservativ geltenden Cicero und in einer Reihe anderer Medien füllt, auf ebenso alte wie geistig primitive Worthülsen zurückgreift und Links- wie Rechtsopposition auf den falschen gemeinsamen Nenner "Radikalpopulisten" (sic) bringt, dann hat das durchaus System.

Eine solche Links-böse-gleich-Rechts-böse-Gleichsetzung hat seit dem antikommunistischen Mief, der seit den fünfziger Jahren und der Adenauer-Ära die Innenpolitik Westdeutschlands über Jahrzehnte hinaus prägte – wobei ihm der kasernensozialistische Mief in der DDR ebenfalls zunutze kam -, gewiss Tradition. Nur ist die der oben zitierten Begrifflichkeit innewohnende Behauptung barer Unsinn.

Denn beim früheren Front National, und jetzigen Rassemblement National handelte es sich schlichtweg noch nie um eine populistische Partei, wie anderswo ausführlich dargelegt. Dies schließt natürlich nicht aus, dass die Partei unter ihren politischen Instrumenten je nach Bedarf auch populistisch zu bezeichnende Rhetorikelemente und Stilmittel ("Wir da unten gegen die da oben") einsetzt; nur machte das benutzte Mittel noch nie die politische Natur einer Organisation aus und trug auch nicht zu ihrer Strategiefindung bei.

"Pressevisionen"

Und die linkssozialistische, ökologische und linksnationalistische Elemente zusammenfassende Wahlplattform unter Jean-Luc Mélenchon, "Das unbeugsame Frankreich" (LFI, La France insoumise) in aller Schlichtheit als "populistisch" einzustufen und darüber auch noch mit der neofaschistischen extremen Rechten gleichzusetzen, zeugt, pardon, von einer eher dämlich wirkenden Analyse.

Ebenso übrigens wie die Einstufung des langjährigen sozialdemokratischen Berufspolitikers (mit allen Höhen und Tiefen, die das beinhaltet) Mélenchon als angeblichen "bekennenden Trotzkisten". So etwas war der Mann übrigens einmal, und zwar bis 1976.

In jenem Jahr drehte der gewiefte sozialdemokratische Stratege François Mitterrand – als die beiden bei einer Diskussionsveranstaltung aufeinander trafen, und der damals 25-jährige Mélenchon Mitterrand zunächst verbal zu attackieren versuchte – ihn politisch um. Seitdem ist sein Trotzkismus für Mélenchon so etwas wie eine Jugendsünde, für deutsche so genannte Qualitätsmedien allerdings 46 Jahre später anscheinend ein prägendes Merkmal.

Streikführerin unter Reinemachefrauen

Nebenbei ist eine solche Links-Rechts-eine-Sauce-Gleichsetzung auch eine handfeste Beleidigung jedenfalls für manche der Protagonistinnen.

Wenn eine Einwanderin aus Westafrika, die 22 Monate lang Streikführerin – in einem erfolgreichen Arbeitskampf – der ausgebeuteten Zimmerfrauen und Reinigungskräfte bei einer französischen Hotelkette war und die französische Staatsbürgerschaft erworben hat, zur Abgeordneten des Wahlbündnisses Mélenchons gewählt wurde und in allen Medien Aufmerksamkeit hervorrief, dann ist es ist nicht nur unhöflich, eine solche Persönlichkeit mit neofaschistischen Politikerinnen wie der Erbin der Dynastie von Jean-Marie Le Pen gleichzusetzen.

Solche Lebenswelten mögen deutsche Berufsjournalisten in ihrer gut klimatisierten Korrespondentenbüros natürlich nicht kennen.

Übrigens zogen auch für die extreme Rechte nun Abgeordnete mit einem beruflichen Profil, das sonst in der Nationalversammlung eher selten vertrat war, ein – dort sinkt in der neuen Legislaturperiode jetzt der Anteil der Ärzte, die bis dahin neben Anwältinnen und hohen Beamten den stärksten Anteil unter den Berufsgruppen stellten.

Denn auch die extreme Rechte, mit nunmehr 89 Abgeordneten des Rassemblement national, verfügt, über einen Teil ihrer Basis in den so genannten sozialen Unterklassen. Nur hätten die Ideen der extremen Rechten, fänden sie Anwendung, zur Wirkung, dass es jemandem wie Rachel Kéké ihr Leben lang verwirkt würde, "etwas zu werden".

Und wenn die neue RN-Abgeordnete Lisette Polette anfänglich als "frühere Putzfrau" vorgestellt wurde, dann stimmt das schlicht und einfach nicht: Die Dame war nicht mit ausführenden Arbeiten beschäftigt, sondern Führungskraft, leitende Angestellte bei einer größeren Reinigungsfirma.