Frankreich: Gilets-Jaunes-Festnahmewelle
Ministerpräsident Philippe will Demonstrationsstrafrecht verschärfen, italienische Regierung stellt sich hinter Gelbwesten
Gestern nahm die französische Polizei mit insgesamt etwa 160 Beamten 35 Personen fest, die verdächtigt werden, während der Gilets-Jaunes-Proteste in der Nähe der südfranzösischen Stadt Bessan ein Straßenmauthäuschen zerstört und angezündet zu haben. Außerdem wurde bekannt, dass sich der Boxer Christophe D. freiwillig der Polizei stellte, nachdem eine Aufnahme vom 5. Januar, auf der er während einer Gelbe-Westen-Demonstration in Paris auf einen Polizisten einprügelt, viel Aufmerksamkeit erregt hatte.
Dem in Gewahrsam genommenen Mann drohen nun bis zu sieben Jahre Haft und eine Geldstrafe in Höhe von bis zu 100.000 Euro. Außerdem erwartet ihn eine Zivilklage des verletzten Polizisten, der inzwischen aus dem Krankenhaus entlassen wurde, aber noch bis mindestens 19. Januar arbeitsunfähig ist. Ein ebenfalls verletzter Kollege von ihm war zwei Tage lang krank geschrieben.
Demonstranten drangen in Innenhöfe des Amtssitzes von Regierungssprecher Benjamin Griveaux ein
Kurz bevor er sich stellte, nahm Christophe D. ein Video für Facebook auf, in dem er seine Gewalttat als falsche Reaktion auf einen Tränengas- und Schlagstockeinsatz der Polizei bezeichnet, der ihn am Samstag erzürnte. Außerdem ruft er in diesem Video die Teilnehmer an den Demonstrationen dazu auf, die Proteste friedlich fortzusetzen. D. ist seinen eigenen Angaben nach "weder extrem links noch ganz rechts", sondern jemand, der sich darüber ärgert, dass sich Rentner keinen Zahnersatz leisten können, während Politiker auf Kosten des Volkes im Luxus leben.
An den Gelbe-Westen-Demonstrationen am Wochenende hatten insgesamt etwa 50.000 Unzufriedene teilgenommen. Trotz des Einsatzes von etwa 80.000 Polizisten schafften sie es in Paris, in die Innenhöfe des Amtssitzes von Regierungssprecher Benjamin Griveaux einzudringen. Der französische Ministerpräsident Édouard Philippe kündigte darauf hin einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Demonstrationsstrafrechts an.
Di Maio: "Neues Europa" der Gelben Westen und der direkten Demokratie
Währenddessen forderte der stellvertretende italienische Ministerpräsident Luigi di Maio von der M5S die Gelbwesten im Blog seiner Bewegung dazu auf, "standhaft" zu bleiben und warf der französischen Regierung vor, sie wolle vor allem "die Interessen der Elite schützen, aber nicht die des Volkes", das nun ebenso wie in Italien seine Stimme erhebe, nachdem die etablierte Politik für seine Sorgen und Nöte "taub" geworden sei. Nun, so di Maio, werde "ein neues Europa geboren -eines der Gelben Westen, eines der Bewegungen, eines der direkten Demokratie".
Auch der italienische Innenminister Matteo Salvini von di Maios Koalitionspartner Lega meinte, er unterstütze die Proteste "ehrenhafter Bürger" gegen einen Präsidenten, der "gegen sein Volk" regiere, worauf hin sich die französische Europaministerin Nathalie Loiseau bei einem Ratstreffen in Brüssel eine "Einmischung in innere Angelegenheiten" verbat. Salvini sieht die Proteste der Gelben Westen dagegen (ebenso wie di Maio) auch als europäische Angelegenheit.
Heute sprach Salvini in Warschau nicht nur mit seinem polnischem Amtskollegen Joachim Brudziński, sondern auch mit Jaroslaw Kaczyński, dem Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei Prawo i Sprawiedliwość (PiS), der kein Regierungsamt mehr inne hat. Nicht offiziell bestätigten Informationen der italienischen Tageszeitung La Repubblica nach ging es bei diesem Treffen um eine mögliche Zusammenarbeit auf Europaebene. Salvinis Lega ist Teil der ENA-Fraktion, in der bislang der französische Rassemblement National (RN) von Marine le Pen dominiert. Die PiS gehört dagegen der EKR-Fraktion an, deren Fortbestand nach dem brexitbedingten Abgang der britischen Tories ebenso infrage steht wie jener der von der britischen UKIP angeführten direktdemokratisch orientierten EFDD, in der die M5S Mitglied ist.
Zdzisław Krasnodębski, der für die PiS und die EKR den Posten des stellvertretenden Europaparlamentspräsidenten einnimmt, schloss gegenüber dem ORF eine breite "Allianz der unionskritischen Parteien im EU-Parlament" nicht aus, meinte aber, dass man nicht nur mit der italienischen Lega, sondern auch mit der österreichischen FPÖ "gewisse Probleme" habe, die die "Beziehungen zu Russland" und die "Geschichte" beträfen. Würden diese Probleme gelöst, könnte so eine Allianz der Meinung des FPÖ-Generalsekretärs Harald Vilimsky nach die Sozialdemokraten überholen und im Europaparlament zweitstärkste Kraft werden.