Frankreich: "Historischer Sieg für eine bessere Klimapolitik"

Verwaltungsgericht in Paris macht den französischen Staat für schuldhafte Versäumnisse beim Klimaschutz verantwortlich

Kann ein Staat für Versäumnisse in der Klimapolitik gerichtlich zur Rechenschaft gezogen werden? Ja, das kann er, entschied vergangene Woche ein Verwaltungsgericht in Frankreich. Der Schadensersatz, zu dessen Zahlung der französische Staat verurteilt wurde, fiel billig aus: ein Euro für die vier NGOs, die geklagt hatte. Der symbolische Wert des Urteils wird dagegen sehr hoch veranschlagt. Die Klimaschützer sprechen von einem Jahrhundert-Fall: "L' affaire du siècle". So wurde der "historische Sieg für das Klima" auch enthusiastisch bejubelt.

Das 1-Euro-Schadensersatz-Urteil könnte teure Konsequenzen haben, so die ersten Spekulationen über das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist. In seinem Urteil bestätigte das Gericht die Klagen der vier Klimaschutz-Verbände - Notre affaire à tous, Greenpeace, Oxfam und die Nicolas-Hulot-Stiftung. Es statuierte einen "immateriellen Schaden", der sich aus einem "schuldhaften Versäumnis des Staates" ergibt.

Das Versäumnis, und an dieser Stelle dürften Politiker kurz die Augenbrauen heben, besteht darin, dass selbstgesetzte Ziele zur Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen von der Politik nicht ausreichend umgesetzt wurden. Der Staat habe seine Verpflichtungen nicht erfüllt.

Dafür gibt es konkrete Kriterien. Der Gerichtsentscheidung lag der Zeitraum von 2015 bis 2018 zugrunde und die Maßgaben zur Reduzierung von Treibhausgasen, wie sie die französische Regierung festgelegt hatte. Um im Jahr 2050 CO2-Neutralität zu erreichen, hatte sie beschlossen, die Emissionen bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zum Ausstoß im Jahr 1990 zu reduzieren. Nach dieser Festlegung hätten die Treibhausgas-Emissionen jährlich um 1,5 Prozent sinken sollen, stattdessen wurde für das Jahr 2018 eine Senkung von lediglich 0,9 Prozent festgestellt.

Dass die Ziele in der Vergangenheit nicht erreicht wurden und dass man auch das vorgelegte Maß ab 2025 - eine Reduzierung der Treibhausgase um 3,2 Prozent - nicht schaffen kann oder will, hatte die Regierung in Paris schon dadurch eingestanden, dass sie von ihr nach unten korrigiert wurden. Das Verwaltungsgericht ("tribunal administratif de Paris") gab der Klage eines "schuldhaften Versäumnisses" statt.

Die Klimaschützer hatten große Unterstützung für ihre Klage erfahren. Binnen einen Monats hatten sie zwei Millionen Unterschriften gesammelt - "eine beispiellose Mobilisierung in Frankreich" - und den Fall des Jahrhunderts über ihre Petition 2019 vor Gericht gebracht.

Nach der aktuellen Entscheidung wird nun über die Konsequenzen debattiert. Im vorliegenden Fall steht die materielle Bemessung des Schadens noch im Hintergrund. Darauf hatten sich die Kläger offenbar noch nicht gut genug vorbereitet. Das könnte künftig anders aussehen.

Bewertung des finanziellen Ausgleichs

Das Gericht lehnte die Forderung nach einem finanziellen Ausgleich für diesen ökologischen Schaden ab, wie Le Monde berichtet. Danach war das Gericht der Auffassung, dass die klagenden Verbände nicht nachgewiesen haben, dass es dem Staat unmöglich war, für den Schaden in anderer Form zu entschädigen (die französische Formulierung heißt hier: "réparer en nature", Anm. d.V.). Statuiert wurde aber auch, dass der Antrag auf Zahlung eines symbolischen Euro "in keinem Verhältnis zur Bedeutung des Schadens" steht.

Geht es nach der Anwältin der Nicolas-Hulot-Stiftung, benannt nach dem früheren Umweltminister der Regierung Macron, der mit dessen Klimapolitik nicht einverstanden war, so ist das Urteil "revolutionär", weil die Verantwortung des Staates in einer Weise gerichtlich anerkannt wird, dass Untätigkeit als illegal eingestuft wird und als Ursache für ökologische Schäden gilt.

Das könnte bei einer genaueren Bewertung des ökologischen Schadens in künftigen Urteilen auch zu höheren Entschädigungszahlungen führen, wie Äußerungen eines Spezialisten für Umweltrecht nahelegen, der im Zeitungsbericht zitiert wird. Der Fehler der Kläger in diesem Fall sei es gewesen, dass die Substanz des Schadens nicht genau beschrieben und bewertet wurde.

Die Schwierigkeit liegt allerdings nicht nur in der Feststellung der Schadenssubstanz, sondern auch in der Berechnung des Anteils, den der Staat am Schaden hat. So könnten etwa Einzelpersonen vor Gericht eine Entschädigung für verschiedene Arten von Klimaschäden einklagen, wie von einem Spezialisten des öffentlichen Rechts angemerkt wird. Er warnt allerdings vor allzu großen Erwartungen. Denn die staatlichen Versäumnisse seien schließlich nicht die einzige Ursache des Klimawandels: "In Fällen von Luftverschmutzung, in denen die Gerichte auch den Staat für schuldig befunden haben, haben die Opfer bisher nie eine Entschädigung erhalten."

Der Geschäftsführer von Greenpeace Frankreich, Jean-François Julliard, hofft, dass das Urteil in den Köpfen der Parlamentarier präsent ist, wenn es um künftige umweltpolitische Entscheidungen geht.