Frankreich: Macron dämpft EU-Zustimmung
Der von Habermas als EU-Held gelobte Politiker kann im eigenen Land wenig Begeisterung für die Union entfachen. Besonders die weniger gut Gestellten wenden sich ab
Der deutsche Philosoph Habermas hatte bei seiner Medien-Preisverleihung vergangene Woche keine Augen für "irritierend schöne Französinnen", bemerkte Joachim Lottmann. Der Schriftsteller, der für bös' funkelnd zugeschliffene Wiedergaben der Realität bekannt und gefürchtet ist, schildert Habermas als Karikatur.
"Er scheint geradezu der Prototyp des weltfremden, abgehobenen, sich unverständlich ausdrückenden Professors zu sein, der die Freuden und Leiden der Normalsterblichen nicht kennt und nicht kennen will." Der "Meisterdenker", so Lottmann, habe seine große Zeit lange schon hinter sich. In den 1960er und 1970er Jahren sei er sozusagen der Koran gewesen.
Die Rede von Habermas zur Verleihung des deutsch-französischen Medienpreises machte vergangene Woche die Runde in den Medien. Die Zeit veröffentlichte sie im Wortlaut mit der Frage in der Überschrift: "Sind wir noch gute Europäer?" Andere Medien konzentrierten sich darauf, dass Habermas - nicht zum ersten Mal - Macron lobte: Der französische Staatspräsident sei derjenige unter Europas Regierungschefs sei, "der Mut zu Gestaltung hat".
Während die deutsche Bundesregierung den Kopf in den Sand stecke, mache Macron, wie Habermas ihn preist, "den Willen deutlich, Europa zu einem globalen Mitspieler im Ringen um eine liberale und gerechtere Weltordnung zu machen".
Macron wird für die soziale Unausgewogenheit seiner Reformen im eigenen Land zu Recht kritisiert; aber er ragt über das europäische Führungspersonal hinaus, weil er jedes aktuelle Problem aus einer weiter ausgreifenden Perspektive beurteilt und daher nicht nur reaktiv handelt.
Jürgen Habermas
Geht es nach einer Ipsos-Umfrage, die Le Monde heute veröffentlicht, so behält Lottmann mit seiner Einschätzung Recht, dass "viele nicht wollen", was mit der Rede von Habermas im Grunde gemeint sei, nämlich "der EU noch mehr politische, wirtschaftliche, soziale und finanzielle Kompetenzen zu übertragen".
Vom proeuropäische Enthusiasmus, der dem Eindruck nach mit der Wahl von Macron zum Präsidenten kurz auflebte, ist demnach nicht viel übrig. Im Gegenteil: Hatte die ähnlich oder gleich angelegte Meinungsumfrage vor Jahresfrist noch erbracht, dass 58 Prozent der Befragten die Zugehörigkeit zur EU als "gute" oder "sehr gute Sache" beurteilen, so sind es in diesem Jahr nur mehr 53 Prozent.
Nun sind 31 Prozent der Meinung, dass es sich bei der EU-Mitgliedschaft um eine "ausreichend" oder "sehr schlechte Sache" handelt. Das sie ein Anstieg um 5 Prozentpunkte gegenüber der Befragung im Juni letzten Jahres.
"Keine gute Sache" für Arbeiter
Als auffallend wird herausgehoben, dass die EU laut Ipsos von den mittleren und oberen Schichten befürwortet wird, jedoch von den "catégories populaires" abgelehnt würde. In anderen Worten: Zwei Drittel der beruflich in der mittleren oder oberen Führungsschicht Tätigen (les cadres) beurteilen die Zugehörigkeit zur EU positiv, "während ein Arbeiter unter zweien die EU-Mitgliedschaft als 'schlechte Sache' beurteilt".
Eine Mehrheit der Befragten war zudem der Meinung, dass die EU-Mitgliedschaft Krisenwirkungen auf die französische Bevölkerung verstärke. 30 Prozent waren der gegenteiligen Auffassung und 18 Prozent vertraten die Überzeugung, dass die EU-Mitgliedschaft keine solche Wirkung haben.
Für gut 30 Prozent der befragten Franzosen löst die EU-Mitgliedschaft vor allem Gefühle der Enttäuschung aus. Betrachtet man die Zustimmung zur EU - bzw. die Ablehnung durch das Parteienspektrum, so ergeben sich erwartungsgemäß deutliche Unterschiede zwischen den Wählern der Partei Macrons - La République en marche (LRM) - und der Partei Le Pens, die nun Rassemblement national (RN) heißt.
87 Prozent der Wähler der Macron-Partei finden, dass die EU-Mitgliedschaft eine "gute oder sehr gute Sache" ist. Bei den Wählern der Partei von Marine Le Pen sind es immerhin erstaunliche 15 Prozent. 85 Prozent der Wähler des Rassemblement national sind überzeigt davon, dass die EU-Mitgliedschaft Krisen verstärkt, statt die Franzosen davor zu schützen, wie es zwei Drittel der LRM-Wähler glauben.
Interessant ist, dass 68 Prozent der RN-Wähler bei der Frage zum Euro-Ausstieg, über die sich die Führung der Vorgängerpartei Front National zerstritten hatte, für einen Ausstieg sind. Insgesamt sind es 27 Prozent unter den Befragten.
Einig ist sich eine sehr große Mehrheit, nämlich 63 Prozent, darin, dass die Migrations-Politik der EU negativ zu beurteilen ist.
Was den Zusammenhalt der EU angeht, so gäbe es einen Ansatzpunkt laut Befragung: Zwei Drittel der Franzosen sind für mehr Entschiedenheit Europas gegenüber dem US-Präsidenten Trump, was Iran oder den Handel anbelangt.