Frankreich: Neu entflammte Kopftuch-Diskussion
Eine Mutter mit Kopftuch bei einem Klassenausflug und die Versuche, dies politisch zu kapitalisieren. Zur Lagerbildung gehört, dass sie intelligente Lösungen erschwert
Die Kopftuch-Diskussion ist in Frankreich wieder aufgeflammt. Es ist bei genauerer Betrachtung ein komplizierteres Thema, als es die großen Lager, die sich darum bilden, erkennen lassen. Zu den Eigenheiten der Lagerbildung gehört, dass sie sozial intelligente Lösungen erschweren.
Wie eine solche aussehen kann, berichtete dem Autor ein Lehrer aus Montpellier. Vor einem Schulausflug wurde der Lehrer benachrichtigt, dass die Mutter eines Schülers teilnehmen wolle, von der bekannt war, dass sie gewöhnlich mit einem Kopftuch bekleidet ist, das deutlich Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit gibt. Das könnte möglicherweise zu Problemen führen, sei es durch andere Eltern, sei es in der Öffentlichkeit, so das Gefühl des Lehrers.
Das entsprechende Gesetz von 2004 verbietet der Mutter das Tragen eines solchen Kopftuchs nicht. Der Lehrer unterhielt sich mit der Mutter, ohne ihr Kleidervorschriften zu machen. Sie kam zum Klassenausflug mit einem "dezenten Kopftuch", das mehr dekorativ wirkte denn als ostentatives Signal ihrer Religionszugehörigkeit. Es gab keine Probleme.
Anlass für die gegenwärtige Polemik, die von französischen Medien aufgenommen wird, ist ein Zwischenfall in einem Regionalparlament (conseil régional Bourgogne-Franche-Comté). Dort richtete sich am 11. Oktober ein Abgeordneter des Rassemblement National (RN), der Nachfolgepartei des Front National, in einer zunehmend aggressiven Weise direkt an eine Besucherin, die eines der Kopftücher trug, die deutlich machen, dass die Trägerin eine Muslima ist. Er forderte sie auf, das Kopftuch sofort abzunehmen, da sie sich in einem öffentlichen Gebäude aufhält. Seine Worte waren scharf und ganz offensichtlich verletzend.
Die Frau war eine Mutter, die ihren Sohn auf einem Klassenausflug in das Regionalparlament begleitete. Ihr Kind weinte ob der harschen Zurechtweisung des RN-Regionalabgeordneten. Das Foto mit dem weinenden Kind an der Schulter der Frau mit dem Kopftuch verbreitete sich rasch in den Medien und den sozialen Netzwerken.
Es wurde zu einem Exempel, an der sich die Lagerdiskussion entzündete. Das eine Lager verwies darauf, dass ein derartiges Kopftuch in einem Parlament der laizistischen Republik nichts zu suchen hat, das andere Lager zeigte darauf, wie grob und verletzend Mitglieder des RN mit Bürgern der Republik umgehen.
Die Rechtslage spricht für die Mutter
Die bestehende Rechtslage ist auch in diesem Fall eindeutig. Sie lässt aber Fragen offen. Die Frau darf als Begleiterin ihres Kindes bei einem Schulausflug ihr Kopftuch tragen, so berichtet Le Monde. Verboten ist dies nur für Lehrerinnen und Schülerinnen. Das Gesetz verbietet auch nicht das Tragen eines solchen Kopftuches für Besucherinnen des Regionalrates.
Auch die weiteren Aktionen des Rassemblement National erkennen die Rechtslage an, denn sie richten sich darauf aus, einen neuen Gesetzesentwurf zu lancieren, der Eltern, die ihre Kinder auf einem Schulausflug begleiten, künftig untersagt, deutliche Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit zu zeigen. Neutralität sollte das Gebot auch für die begleitenden Eltern sein. Dem gegenüber stehen aber Freiheitsrechte.
Neutral?
Bei näherer Betrachtung stellt sich der geschilderte Einzelfall als etwas komplizierter heraus. Denn man kann durchaus einwenden, dass die Begleiterin eines Schulausflugs nicht an einer gänzlich privaten Veranstaltung teilnimmt und sich deswegen auch die Kleiderwahl überlegen wird - was auch für Väter zutreffen wird.
Wenn nun bekannt ist, dass der Klassenausflug zu einem Regionalparlament geht, dann kann man annehmen, dass die Wahl eines solchen Kopftuchs bewusst getroffen wird, um eine Haltung oder eine Position zu demonstrieren. Diese wird in einem Kontext signalisiert, der von einem jahrelangen Streit über die Kopftuch-/Verschleierungsfrage geprägt ist.
Politische Kapitalbildung
Diesen Hintergrund des Lagerstreits nutzte auch der RN-Abgeordnete, der prompt auffällig auf das auffällige Kopftuch reagierte und sich im Sinne seiner Partei und ihrer Anhänger zu profilieren versuchte. Der Zwischenfall führte dann zu einer öffentlichen Diskussion in mehreren großen Medien, in der sich die Lager gegenseitig wie üblich beharken und ihr Selbstverständnis bestätigten. Die Ausnahme dazu bildet ausgerechnet die Regierungspartei La République en Marche (LRM).
Abgeordnete der LRM machten nämlich deutlich, dass sie auf der Seite derjenigen stehen, die in dem Auftritt des RN-Abgeordneten das Hauptproblem sehen und die Kleidungsvorschriften sich bitte den in Frankreich hochgehaltenen Freiheitsrechten unterzuordnen hätten. Dies gab den Medien ein neues Thema: Man beobachtet nun die Spaltungen innerhalb der LRM. Denn aus der Führung kamen andere Töne.
Bildungsminister Jean-Michel Blanquer gab das Statement aus, dass das Tragen eines Schleiers (franz.: voile) "in unserer Gesellschaft nicht wünschenswert ist". Der Gebrauch des Wortes "Schleier", der mehr einschließt als das Kopftuch, markiert, dass es ihm nicht um die Bewertung des Einzelfalls geht, sondern dass er diesen politisch dazu nutzen will, um seine Partei zu profilieren.
Was dem Anführer der linken Opposition, Jean-Luc Mélenchon, sofort auffiel und zu einer harten Kritik veranlasste: Der Erziehungsminister sollte besser schweigen. Hier seien Zauberlehrlinge am Werk, die die Geschichte vergessen haben. Es gebe in Frankreich eine "Atmosphäre des Hasses auf den Islam ohne jede Nuance", so der Chef der Partei "Unbeugsames Frankreich".
Macron hatte zuletzt bei seinen Äußerungen zur Einwanderung schon erkennen lassen, dass er hier einen Schwenk vollzieht, der ihn näher an Positionen der Le Pen-Partei heranrückt. Das zielt auf die vielen unentschlossenen Wähler in Frankreich. Die Mehrheit ist skeptisch gegenüber Einwanderern, insbesondere aus Ländern mit hohem Anteil an Muslimen.
Macron selbst hielt sich bei der Diskussion über den genannten Zwischenfall präsidentiell zurück. Er betonte, dass das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Raum - anders als das Tragen solcher Kopftücher im öffentlichen Dienst - keine Angelegenheit des Staats oder des Präsidenten sei.
Gleichwohl stärkte er seinem Erziehungsminister den Rücken. Im nächsten Jahr stehen die Bürgermeisterwahlen an. Sie waren bislang nicht besonders wichtig, sind dies aber für Macron, der im Wettbewerb mit Le Pen steht. Macron wird von Le Pen-Anhängern immer wieder vorgehalten, was auch außerhalb dieses Lagers oft vorgebracht wird, das er seine beiden Wahlerfolge, die Wahl zum Präsidenten und den Sieg seiner Partei bei den Parlamentswahlen, nicht wirklich mit der Mehrheit der Wähler gewann, sondern nur mit einem Teil, da viele die Stimmabgabe verweigerten oder ungültige Stimmzettel abgaben.
Seither wird ihm dieses "Legitimationsdefizit" entgegengehalten - sei es von der Opposition auf der Straße, den Gelbwesten, wie auch von vielen anderen Kritikern, oft auch vonseiten der Anhänger des Rassemblements National. So gerät die Bürgermeisterwahl 2020, obwohl es dort doch um anderes, nämlich die Lokalpolitik, geht, für ihn zur nächsten Probe, wie viele Wähler er für Vertreter seiner Politik mobilisieren kann.
Dass er nun bei der Immigration oder beim Problem des politischen Islams wie auch zu den Parallelgesellschaften, häufiger Positionen bezieht, die für Wähler interessant sein können, die eher nach rechts tendieren, fällt auf. Es heißt über die unentschiedenen Wähler, dass sie meist nicht auf der linken Seite des Spektrums stehen.