Frankreich: Neue Polizei zur "Sicherung des Alltags"
Mehr Polizisten und Gendarmen für die Problemzonen in den Städten und im ländlichen Raum; die Identitätskontrollen sollen künftig "effektiver und schneller" verlaufen
Bei der Regierung Macron geht es so oft wie möglich ums ganz Große, um eine Revolution, wie ja auch der Titel des Buches, das der Präsident geschrieben hat, so heißt. Also wird auch das Projekt der Einrichtung einer "Sicherheitspolizei für den Alltag" bzw. einer "Polizei der Sicherung des Alltags" (im Orginal: "police de sécurité du quotidien, PSQ"), das eins der vielen Reformprojekte Macrons ist, von Innenminister Collomb als "echte Revolution" an die Öffentlichkeit gebracht.
Von einer "neuen Doktrin" ist die Rede, von einem gesellschaftlichen Projekt, das Versöhnung, Zusammenhalt und Frieden schaffen soll. Eigentlich, so klärt der Innenminister in Interviews auf, sei die police de sécurité du quotidien eine "Arbeitsmethode, eine neue geistige Verfassung für die Gesamtheit der Sicherheitskräfte".
Die "Rückeroberung der Vorstädte für die Republik"
Das ist der große Ton, der für die Regierung unter Präsident Macron typisch ist. Zu hören ist er auch bei der Umschreibung dessen, was einer Auslöser für die Reform ist: die Problemzonen in den Städten, Vorstädten und manchen ländlichen Gebieten. Sie machen sporadisch, aber verlässlich immer wieder auf sich aufmerksam, mit brennenden Autos oder Mülltonnen oder Bushaltestellen, jedes Mal mit Ausschreitungen mit der Polizei.
Auch in den deutschen Nachrichten wird das gebracht, zuletzt im Fall Theo, vor einem Jahr (siehe Weiter Krawalle in den Vorstädten). Der Fall Theo, wo Polizisten bei einer Identitätskontrolle in einem Problemviertel einen Mann schwer verletzten, hatte in Frankreich große Aufmerksamkeit wegen der Brutalität der Polizisten gefunden. Unbestreitbar ist, dass der Mann, der sich bei einer Kontrolle gegen die Polizisten zur Wehr setzte, schwere Verletzungen im Darmbereich davon trug.
Wie diese Verletzungen zustande kamen, ist allerdings bis heute nicht klar. Vor einigen Tagen wurden in französischen Medien noch einmal Aufnahmen der Überwachungskamera des Vorfalls publiziert. Doch auch sie hatten Lücken und konnten nicht genau zeigen, wie die Verletzungen des Mannes zustandekamen. Die Polizisten wurden gerichtlich nicht belangt.
Vor einem Jahr kam es zu Demonstrationen im Namen der "Gerechtigkeit für Theo", aber auch zu Demonstrationen von Polizisten, die sich in der Öffentlichkeit schlecht behandelt und nicht respektiert fühlten. Damals war Wahlkampf zwischen Macron und Le Pen, die sich eindeutig aufseiten der Polizisten positionierte.
Es war ein ziemlich erregter Wahlkampf, bei dem Macron das Versprechen abgab, sich um alles zu kümmern: um die Sicherheit in den schwierigen Zonen, wo sich manche Bewohner nicht trauen, in ein öffentliches Verkehrmittel zu steigen, um den Respekt für die Polizisten und um ein besseres Verhältnis zwischen der Bevölkerung und der Polizei.
Das Gesamtpaket läuft unter dem Begriff einer "republikanischen Rückeroberung" (reconquête républicaine) der Problemviertel. Allerdings sind schon die Vorgängerregierungen an ihren Vorsätzen gescheitert.
Auch der Macron-Administration fällt zwar im kreativen politischen Bezeichnen einiges Neues, aber methodenmäßig wenig tatsächlich Revolutionäres ein, wie sich dann bei den konkreteren Ankündigungen zur police de sécurité du quotidien in den letzten Tagen gezeigt hat.
Auftstockung in den "quartiers difficiles"
Die Polizeikräfte in den Problemzonen werden aufgestockt und ihre Ausrüstung wird auf den neuesten Stand gebracht, so lauten die konkreten, greifbaren Maßnahmen der "neuen Doktrin". Bis zum Januar 2019 sollen 30 Problemzonen - "quartiers difficiles" - je 15 bis 30 zusätzliche Polizisten bekommen.
Genannt werden: La Chapelle, im Norden von Paris, Le Mirail ( Toulouse), Viertel im Norden von Marseille, das VIIIe Arrondissement in Lyon, Le Neuhof-La Meinau in Straßburg, Viertel in Montpellier, Corbeil-Essonne, die Innenstadt von Calais und weitere Zonen in Sarcelles, Lille, Aulnay-sous-Bois, le Havre, Nantes und Nizza. Im ländlichen Raum, wo die Gendarmerie zuständig ist, sollen 20 Départements (hauptsächlich in Auvergne-Rhône-Alpes und im Westen Frankreichs) mit 500 zusätzlichen Kräften ausgestattet werden.
Es werden aber keine neuen Spezialeinheiten geschaffen, zwar ist von "Kontakt-Brigaden" (brigades de contact), die eine Nähe zur Bevölkerung herstellen sollen, aber der Innenminister hütet sich, wie an den Berichten zu seiner Kampagne zur Vorstellung der police de sécurité du quotidien abzulesen ist, davor, dass man mit gescheiterten Projekten von "Polizeieinheiten der Nähe" in Zusammenhang gebracht wird.
"Die Repression ist unverzichtbar"
Natürlich soll darauf geachtet werden, dass die Polizisten möglichst guten Kontakt zur Bevölkerung haben, aber, so betonte Collomb in einem Interview, ihre Autorität sollen sie schon zeigen: "Die Repression ist unverzichtbar. Die Delinquenten sollen wissen, dass sie mit der PSQ öfter festgenommen werden, verfolgt und bestraft."
Die Beamten sollen sich also durchaus resolut zeigen und bestimmt vorgehen. Konzeptionell vorgesehen ist, dass sie mehr Zeit für Patrouillen haben und weniger Zeit am Schreibtisch mit Verwaltungsarbeiten verbringen müssen. Das soll zum Beispiel durch Pauschaltrafen bei Cannabis-Vergehen erreicht werden. Damit soll die Akten-und Verwaltungsarbeit verkürzt werden. Die Polizisten und Gendarmensollen sollen viel mehr draußen sein, lautet das Konzept.
Damit sie besser mobil arbeiten können, sollen sie "gut vernetzt" sein, so der Innenminister, der auf die digitale Neuausrichtung der Sicherheitskräfte großen Wert legt. Im nächsten Jahr insgesamt 110.000 Tablets oder Smartphones bekommen. Damit soll die Identitätskontrolle von gegenwärtig 15 Minuten auf zwei verkürzt werden, so der Innenminister. Die Sicherheitskräften sollen mit ihrem Geräten an Ort und Stelle schnellen Zugriff auf relevante Datenbanken haben.
Collomb verspricht sich durch die kürzere Dauer und Effizienz bei der Personenkontrolle eine entspanntere Atmosphäre. Auch zusätzliche 10.000 Kameras, welche die Polizisten deutlich sichtbar an ihrer Uniform tragen sollen, sollten laut Innenminister zu besseren Kontakten beitragen. Man wird sehen.
Gespannt dürften die Polizisten auch sein, ob sich in den einzelnen Revieren durchsetzt, was Collomb als neue Geisteshaltung ankündigt: "Zahlen sollen nicht mehr wichtig sein" ("La fin du pilotage par le chiffre"). Gemeint sind wohl die Menge der Anzeigen und "Strafzettel", die (nicht nur) in Frankreich als Indizien für das dienstliche Engagement eines Reviers gelten. Diese Zahlen, die leichterhand zu erhöhen seien, so Collomb, sollen künftig "nicht mehr das Interesse ausmachen" ; wichtiger sei nun, dass die Polizisten eine wirksame Politik auf dem Terrain umsetzen, welche die Situation verändert". Konzeptionell ist das eine sehr gute Idee.