Frankreich: Opposition auf der Straße nicht laut genug
Sozialproteste "marée populaire": Regierungschef Eduard Phillipe mokiert sich über die "schwache Mobilisierung"
Als Macron im letzten zwei Mal große Mehrheiten erhielt, bei der Präsidentschaftswahl und bei den Parlamentswahlen, hieß es, dass der Jupiter-Präsident zwar mächtige Verbündete in der Wirtschaft und in den Medien hinter sich habe, aber keine wirkliche Mehrheit in der Bevölkerung. Viele sind den Wahlen ferngeblieben, die Abstinenz von der demokratischen Stimmabgabe aus Mangel an Alternativen sei das eigentliche politische Signal aus Frankeich wurde im Frühsommer 2017 öfter geäußert und seither immer wieder: Die wahre Mehrheit, die wahre Opposition zeigt sich auf der Straße.
Seither gibt es eine etwas theatralische Kontroverse darüber, wer auf welchen Zahlen zählen kann. Ein Beispiel: Am gestrigen Samstag führte der derzeit bekannteste Politiker der Linken in Frankreich, Jean-Luc Mélenchon, eine Demonstration in Marseille an. Aus Teilnehmerkreisen wurde mitgeteilt, dass man 65.000 in Marseille mobilisieren konnte. Die Polizei zählte dagegen 4.200, wie das Regionalmedium La Provence berichtet.
Der Unterschied ist enorm und müsste sich eigentlich dem bloßen Augenschein mitteilen. Doch selbst in der Nachricht der Regionalzeitung werden nur die Angaben von AP wiedergegeben und nicht was ein von der Zeitung geschickter Beobachter bei der Demonstration gesehen hat …
Mittlerweile vertrauen mehrere bekannte Medien in Frankreich, darunter l’AFP, France Inter, Le Monde, Le Figaro, Mediapart, Le Parisien, Libération, France 2 und einige mehr den ermittelten Zahlen der "société Occurrence". Allerdings wird von deren deren Zahlen offensichtlich nur spärlich Gebrauch gemacht.
So gibt Occurrence laut Medienberichten gibt für die gestrigen Demonstrationen in Paris 32.000 an - aber Zahlen der Gesellschaft für Marseille z.B. werden nicht berichtet. Das Innenministerium zählte in Paris 21.000 Teilnehmer, während die Gewerkschaft CGT in der Hauptstadt 80.000 Teilnehmer zählt. Auch für andere großen Städte wie etwa Toulouse differieren die Angaben ("zwischen 5.000 und 8.000").
So sind die Angaben von 2.500 für Montpellier oder 1.900 für Grenoble und 1.500 für Strasbourg nicht wirklich verlässlich; auch wenn man geneigt ist, anhand dieser Zahlen das große Bild zu relativieren.
280.000 an einem Tag auf der Straße, das ist die Teilzahl für ganz Frankreich, die die Gewerkschaft CGT übermittelt, ist etwa im Vergleich zu Deutschland eine imposante Zahl - wann wurde hierzulande zuletzt eine Viertelmillion mobilisiert? Schaut man jedoch auf die Zahlen der genannten Städte, so nimmt das etwas die politische Wucht der Demonstration.
Wie Bernard Schmid Anfang der Woche an dieser Stelle erläuterte (siehe Frankreich: Ausgedehnte Sozialproteste) ging es beim gestrigen Tag mit dem schwer ins Deutsche zu übersetzenden Titel: "marée populaire"(Menschenmeer)1 um eine ganze Reihe von Streithemen, die von Macrons Reformen rühren.
Aufgelistet werden die Motive zur Marée populaire auf der Webseite der 60 Organisationen, für den gestrigen Tag mobilisiert haben, im Großen geht es um die laut vernehmliche Widerwehr gegen eine Politik, die als Austeritätspolitik mit Restrukturierungen zum Schaden von Angestellten und generell der Schwächeren in der Gesellschaft verstanden wird, als "neoliberales Kolonisationsprojekt des Inneren". Dass die Banlieues an der Spitze von Demonstrationszügen standen, sei bezeichnend, so die Berichte und Reportagen.
Während auf der linken Seiten als Erfolg gefeiert wird, dass sich die große linke Gewerkschaft CGT einem gemeinsamen Aufruf mehrerer Organisationen angeschlossen hat und sich lediglich beigeordnet, aber nicht "übergeordnet" hat - eine Verhaltensänderung, die man auch bei Mélenchon als Erfolg meldet, sprach Premierminister Eduard Phillipe von einer Mini-Mobilisierung, die die Regierung in ihrem Kurs bestätige.
"Um Macron zum Zuhören zu bringen, muss man lauter klopfen", lautete eine Schlagzeile der linken Zeitung Humanité zum gestrigen Aktionstag. Geht es nach dem Premierminister, so war der gestrige Tag nicht laut genug.