Frankreich bleibt Ziel des IS: Messeranschlag in Marseille
Der "Soldat des Kalifats" wurde von Fremdenlegionären schnell erschossen. Nach ersten Informationen war er erst kurz zuvor aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden
Ein Mann, der laut einer Zeugin vor der Tat als "bizarr" auffiel, tötete am frühen Sonntagnachmittag vor dem Marseiller Bahnhof Saint-Charles zwei junge Frauen mit seinem Messer. Kurz darauf wurde er von Fremdenlegionären erschossen.
Das Muster der Tat deutet auf einen Terroranschlag hin. Nach dem Attentat in Nizza, am 4. Juli 2016, gab es explizite Androhungen des IS, dass Marseille ein nächstes Ziel sei; mehrere Anschläge wurden laut französischen Medien seither vereitelt. Am späten Sonntagabend meldeten France-TV-Info und Beobachter der Dschihadistenszene dann, dass die berüchtigte IS-Medienagentur Amaq ein Bekennerschreiben im Netz lanciert habe. Die "Operation" sei einem Aufruf des IS zu Anschlägen auf die Länder der Anti-IS-Koalition gefolgt.
Zeugen berichten, dass sie "Allahu Akbar"-Rufe des Mörders gehört hätten. Der französische Innenminister, der sich rasch an den Ort des Geschehens begab, zeigte sich jedoch am späten Nachmittag noch vorsichtig in der Einordnung des Angriffs.
Zwar sei die für terroristische Akte zuständige Staatsanwaltschaft in Paris eingeschaltet. Mit den Ermittlungen wurden Behörden wie die Anti-Terror-Unterabteilung SDAT (Sous-direction anti-terroriste) und der Inlandsgeheimdienst DGSI (Direction générale de la Sécurité intérieure) betraut.
Die Tat könnte terroristischer Natur sein, aber zur Stunde können wir das nicht bestätigen.
Gérard Collomb, französischer Innenminister
Auf Nachfragen gab er nur in einem Punkt eine etwas ausführlichere Antwort. Aufgefallen sei ihm bei den Videos der Überwachungskameras ein eigenartiges Verhalten des Täters. Der Angreifer habe ein Verbrechen "gegen eine erste Person begangen, sei danach geflüchtet und wiedergekommen, um eine zweite Person zu töten". Spekulationen oder Schlüsse aus diesem "sonderbaren Verhalten" zog Collomb nicht.
Die "endogene Bedrohung"
"Terroranalysten", wie der in Frankreich bekannte Jean-Charles Brisard haben für diese Verunsicherung einen Begriff gefunden: Das Essentielle der Bedrohung sei "endogen", von "von innen kommend". Es gebe keinen Profil-Typus des Terroristen mehr, die Verhaltensweisen bei der Aktion seien oftmals improvisiert.
Nach ersten Informationen ist über den Täter lediglich bekannt, dass er nicht in der französischen Gefährder-Datenbank (Fiche S) registriert war, aber als Kleinkrimineller (u.a. Drogenhandel) bekannt war. Identifiziert wurde er nach Medienberichten über seine Fingerabdrücke. Laut Informationen von France 2 sei er "französischen Behörden und in mehreren Ländern des Magreb unter sieben verschiedenen Identitäten für ein Dutzend kleinerer Vergehen bekannt". Manche sprechen von acht Identitäten, einem irregulärem Leben des Mannes zwischen 2005 und 2014, der "nicht lange genug im Gefängnis saß oder nicht rechtzeitig nach Algerien abgeschoben wurde".
Laut Informationen der Libération wurde der Mann kurz vor seiner Tat aus einem Polizeigewahrsam entlassen. Dort saß er wegen Verdacht auf Diebstahl. Wie die Zeitung - nach eigenen Angaben - von der zuständigen Präfektur erfahren hat, hatte der Mann keine Aufenthaltserlaubnis.
Herausgestellt wird in den ersten Reaktionen der "barbarische Akt", eine Formel, auf die sich Politiker, die zahlreich antworteten, einigten und der auffallend schnelle, rigorose Einsatz der Soldaten, die im Rahmen der Operation Sentinelle zur Sicherung an zentralen Stellen platziert sind (und selbst zum Ziel von Anschlägen wurden, vgl. Autoanschlag in Frankreich: Soldaten als Ziele). Sie waren binnen weniger Minuten am Ort des Geschehens und schossen nach einer kurzen Warnung sofort.
Zwar sei die abschreckende Wirkung der Operation Sentinelle nicht wirklich zu erkennen, aber es bestätige sich, dass sie mittlerweile sehr schnell reagieren, heißt es in der "Fachwelt". Die jungen Polizisten würden seit einiger Zeit so ausgebildet, dass sie in solchen Fällen schnell und eigenständig handeln, ohne Spezialtruppen abzuwarten, war gestern zu lesen.