Frankreich will zurück in die Zukunft
Der französische Präsident Hollande möchte sein Land mit 34 Großprojekten "reindustrialisieren"
Frankreich war einmal das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Europas: Seit Voltaire bis zur Concorde glänzte die einstige Kolonial- und Handelsmacht jahrhundertelang und dominierte den Weltmarkt vom Wein bis zum Atomsprengkopf. Doch die Grande Nation schwächelt.
Nach 10 Jahren der "Entindustrialisierung" will man nun aus den Überresten der Großmacht ein "neues industrielles Frankreich" schaffen. "Frankreich muss sich neu erfinden", verkündigte Präsident Hollande letzte Woche. Noch dicker trägt das Werbevideo der französischen Regierung auf, das die Franzosen als Erfinder des Automobils, der Dampflokomotive und des Kinos preist.
Fazit: Die Grande Nation habe in der Geschichte viele Prüfungen bestanden, Erfindergeist bewiesen und werde mit dem Plan von Hollande "wiederauferstehen". Einen derartigen Nationalismusschub nimmt selbst der erstarkten Rechten in Frankreich den Wind aus den Segeln.
Denn Frankreich steckt in einer enormen Krise. Im Gegensatz zum "Exportweltmeister" Deutschland hat Frankreich seit Jahren ein Außenhandelsdefizit, im letzten Jahr waren es 67 Milliarden Euro. Viele Branchen kriseln seit Monaten, ein Beispiel ist die verarbeitende Industrie, und auch die Prognosen für die Arbeitslosenzahlen sind - wie fast überall in Europa - nicht sehr ermutigend.
3,7 Milliarden Euro für die "Neuerfindung Frankreichs"
Bis Ende 2014 soll laut OECD die Arbeitslosigkeit in Frankreich nochmal ordentlich zulegen. Die schlechte wirtschaftliche Lage macht sich auch im Alltag bemerkbar. Immer mehr Menschen leben unter der Armutsgrenze, in den letzten Monaten ist deren Zahl auf über 14 Prozent gestiegen. Diesen Trend will die Regierung Hollande nun stoppen.
Hollandes Zaubertrank für das schwächelnde Frankreich sind 34 Projekte für die "Reindustrialisierung Frankreichs", die von den größten französischen Unternehmen angeschoben werden sollen. Der französische Staat - sonst eher in der Position des zentralistischen Übervaters - will sich dieses Mal zurückhalten und den Projekten nur eine Anschubfinanzierung geben: 3,7 Milliarden Euro macht die Regierung für die "Neuerfindung Frankreichs" locker - immerhin über 100 Millionen Euro pro Vorhaben.
Das meiste solle privat investiert werden und zudem bekommen die Projekte Abgaben erlassen und gute Rahmenbedingungen. Auch Frankreich will sich modern geben: Der Staat soll nur noch einen Rahmen vorgeben und die Entwicklung der Projekte "stimulieren".
Ein 2-Liter-Auto, das erste elektrische Flugzeug, der "Hochgeschwindigkeitszug der Zukunft" und ein Roboter
Schaut man sich die geförderten Innovationen näher an, wird klar, dass es vor allem um Prestigeprojekte geht: In Frankreich soll ein erstes elektrisches Flugzeug und der "Hochgeschwindigkeitszug der Zukunft" gebaut werden. Die Autobranche wird ein 2-Liter Auto auf den Markt bringen, um nur einige der Highlights zu nennen.
Besonderes Aufsehen erregte der erste Roboter im Elysee Palast, der millionenfach verkauft werden soll, um Kinder zu unterhalten und alte Menschen zu pflegen. Von der Nanoindustrie über Cyber-Sicherheit, sogenannte "intelligente Textilien" bis hin zu Recyclingprojekten und Gebäudedämmung - die Liste der Innovationen ist lang.
Großfirmen wie EADS, Renault und Dassault sollen in den nächsten fünf bis zehn Jahren das Land "neu erfinden". Bei genauerem Hinsehen sind viele Projekte aber keine französischen Neuheiten, sondern internationale Projekte oder Teil der europäischen Aufholjagd im internationalen Innovationswettbewerb.
Das Elektroflugzeug von EADS wurde schon im Sommer auf einer Luftfahrtmesse in Paris vorgestellt und ist bis jetzt nicht mehr als ein kleiner Zweisitzer, Kleinflugzeuge mit hybridem Elektroantrieb wurden bereits von Siemens und auch von EADS entwickelt.
Auch mit dem 2-Liter Auto betritt Renault nicht wirklich Neuland, wenn man an das VW-Modell des Ein-Liter-Autos denkt, das bereits seit Jahren in der Testphase ist. Der französische TGV ist hingegen schon heute der effektivste Hochgeschwindigkeitszug Europas. Angesichts des kürzlichen dramatischen Zugunfalls mit sechs Toten in einem Pariser Vorort gibt es jedoch nicht bei den TGVs, sondern eher beim Streckennetz und bei den normalen Linienzügen Investitionsbedarf.
480.000 Arbeitsplätze
Die Botschaft der Regierung jedoch ist eindeutig: Die Großprojekte sollen nicht nur bis zu 480.000 Arbeitsplätze und eine blühende Exportwirtschaft zaubern, sondern auch das Bild eines wirtschaftlich starken Frankreichs und das Gefühl des Aufschwungs vermitteln. Wenn die Wirtschaft wieder läuft, so die Vorstellung der Regierung, könnten endlich die massiven Staatsschulden Frankreichs ausgebaut werden "Unser Land ist nicht frei, wenn wir nicht die Schuldenkette sprengen", erklärte Innenminister Arnaud Montebourg.
Außer der Regierung glaubt kaum jemand, dass das Programm Frankreich retten wird. Vertreter des Mittelstands beklagen, ohnehin geplante Investitionen seien unter der Fassade der "34 Projekte" zugunsten der Industrie verteilt worden. Statt die unter der Krise leidenden mittelständischen Unternehmen zu entlasten, würden "die Großen" noch bevorteilt.
Das Energiewende-Gesetz
Die Kritiker links von Hollandes Sozialisten beklagen, dass die großen Ankündigungen keine der strukturellen Probleme Frankreichs lösen würden. Und während marktkonforme Kritiker dringend eine Reform des Sozialsystems fordern, wollen die französischen Grünen lieber Arbeitsplätze über die Energiewende schaffen und werfen Hollande vor, diese zu verschleppen.
Tatsächlich hat die französische Regierung das Energiewende-Gesetz auf Ende 2014 verschoben. Die Grünen stellten dem Präsident ein Ultimatum von sechs Tagen bis zur Umweltkonferenz am kommenden Freitag, um nötige Schritte für eine Energiewende anzukündigen. Doch für den französischen Präsidenten sind Öko-Themen derzeit nicht prioritär. Mal wieder drohen die französischen Grünen deshalb, aus der Regierung mit den Sozialisten auszusteigen.
Während die Regierung von der "dritten industriellen Revolution" fantasiert, gehen in Paris seit Wochen hunderttausende Menschen gegen die Sozialreformen von Hollande auf die Straße. Die Rentenreform mobilisierte laut der Gewerkschaft CGT letzte Woche landesweit bis zu 360.000 Leute; die Polizei spricht von 150.000.