Freiheit für Roman und Julian!

Seite 2: Rufmordkampagne und politische Verfolgung gegen Assange

Mit Melzer spricht hier wohlgemerkt kein Assange-Unterstützer und kein Anwalt von Assange, sondern ein Anwalt der Menschenrechte, berufen von der UNO. Und der nutzt sein diplomatisches Mandat für eigene Ermittlungen, bis hinein in, wie er entsetzt feststellen muss, manipulierte schwedische Justizakten, und im Fazit "die behördliche Nötigung der beiden Frauen zur Anpassung ihrer Aussagen an das offiziell forcierte Vergewaltigungsnarrativ" zu konstatieren (S.149).

Melzer kommt in seinem Bericht, der sich wie ein Justizthriller liest, also zu Schlussfolgerungen, die sich weitgehend mit dem decken, was Assange-Anhänger seit zehn Jahren skandalisieren: Der WikiLeaks-Gründer wurde Opfer einer Intrige, einer gnadenlosen Rufmordkampagne sowie politischer Verfolgung.

Es handelt sich also um ein Staatsverbrechen, für das die Verantwortlichen der beteiligten Staaten - der USA, Großbritannien, Schweden und zuletzt auch Ecuador - vor Gericht gehören. Gegen Assange konnten die USA vor Gericht, anders als die Londoner Richterin in ihrem Urteil behauptet, aus Melzers Sicht nichts strafrechtlich Relevantes vorweisen. In einem rechtsstaatlichen Verfahren wäre er schon lange ein freier Mann. Das läuft schließlich auf den Vorwurf der Justizwillkür hinaus.

Melzer zeigt sich in seinem Buch überzeugt, die westlichen Medien hätten sich mit ihrer willfährigen Beteiligung an der Anti-Assange-Rufmordkampagne zu Gehilfen einer perfiden psychischen Folter gemacht - er spricht von "öffentlichem Mobbing" (S.109). Der UN-Funktionär kritisiert auch das anhaltende Ausbleiben medialer Aufmerksamkeit für den Fall Assange. Würden westliche Leitmedien die Justizwillkür angemessen skandalisieren, so seine These, würde das windige Verfahren rasch eingestellt: "Denn wenn Regierungen eines fürchten, dann ist es das gebündelte Scheinwerferlicht und die kritischen Fragen der Massenmedien." (S.312)

Beides bleibt jedoch aus. Stattdessen greifen westliche Leitmedien Nils Melzer an, den Überbringer der unbequemen Botschaft: dass im Westen ein Dissident gefoltert wird, von den eigenen Regierungen, nicht im feindlichen Ausland.

Wie es aussieht, wenn Medien funktionieren, zeigt Melzer am Beispiel des kritischen Journalisten Iwan Golunow. Der Russe brachte 2019 in seinem Land Behördenkorruption ans Licht und wurde prompt wegen angeblicher Drogenvergehen inhaftiert. Doch im Gegensatz zu unseren Leitmedien im Fall Assange stellte sich die russische Mainstream-Presse mutig auf die Seite des Dissidenten, schreibt Melzer:

‘Wir sind Iwan Golunow‘ titeln unisono die Frontseiten der drei führenden russischen Tageszeitungen… Die Blätter hinterfragen offen die Rechtmäßigkeit von Golunovs Verhaftung und verlangen eine gründliche Untersuchung. In flagranti ertappt und vom Scheinwerferlicht der Massenmedien bloßgestellt, rudern die russischen Behörden wenige Tage später zurück. Präsident Putin ordnet sogar persönlich die Freilassung Golunovs und die Entlassung zweier hochrangiger Vertreter des Innenministeriums an.

Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung, S. 311