Freiheit für Roman und Julian!

Seite 3: Fall Golunow: Beispiel für den Westen

So funktioniert eine freie Presse - zumindest im Fall Golunow - in Russland. Die Staatschefs in London und Washington könnten sich im Fall Assange ein Beispiel daran nehmen. Wenn unsere Presse ebenso mutig wäre. Doch die hat lieber noch kleinste und selbst konstruierte Verfehlungen von Julian Assange zehn Jahre mehrheitlich breitgetreten und ihn zu einem Außenseiter stigmatisiert.

Beim weißrussischen Politblogger Roman Protassewitsch, dem eine schnelle Entlassung aus der Folterhaft genauso gegönnt sei wie Assange, sind unsere Journalisten gnädiger. Sie bemühen sich nicht allzu sehr, Romans Aktivitäten in der Ostukraine im Kontext des rechtsextremen Regimentes Asow näher zu beleuchten, die in seinen Wikipedia-Einträgen auf Deutsch, Englisch und Französisch erwähnt werden. Das passt wohl genauso schlecht zum gepflegten Narrativ wie der hier angestellt Vergleich der Fälle Assange und Golunow.

Statt Sanktionen: Gefangenenaustausch Assange - Protassewitsch

Vergleicht man Julian Assange und Roman Protassewitsch, kommt man um kritische Worte zu Romans Vergangenheit eigentlich nicht herum: Seine Tätigkeit für das rechtsextreme Asow-Regiment kann kaum mehr bezweifelt werden, auch wenn er dort höchstwahrscheinlich eher nur als Frontberichterstatter tätig war, nicht als Kämpfer. Damit ist der Blogger in verrufene Kreise geraten:

Schon mit seinem Bataillonsabzeichen bedient es sich absichtlich einer Nazisymbolik: Die sogenannte Wolfsangel wurde auch von der SS-Verfügungsdivision als Erkennungszeichen genutzt. Asow-Kommandeur Bilezky sieht seine Einheit auf einer historischen Mission, einem "Kreuzzug der weißen Rasse gegen die von Semiten angeführte Untermenschen". Die Mitglieder der Einheit sind häufig offene Nationalsozialisten oder Rassisten.

Roland Bathon, Telepolis: https://www.heise.de/tp/features/Inhaftierter-Protasewitsch-Held-Nazikaempfer-oder-nichts-davon-6061654.html

Ob Roman die Nazi-Ideologie damals geteilt hat oder nicht, kann nicht gesichert festgestellt werden. Aber selbst wenn: Er bleibt ein politisch verfolgter Blogger, der unter zweifelhaften Umständen in Minsk inhaftiert wurde. Der Westen sollte ihm helfen, auch wenn er vielleicht etwas zu lautstark und selbstgerecht auftritt. Schließlich hatte US-Präsident Obama 2013 bei seiner Jagd auf den CIA-Dissidenten Edward Snowden selbst ein Flugzeug entgegen den Regelungen des internationalen Luftverkehrs zur Landung in Wien gezwungen.

Noch dazu war es bei Obama die durch ihren diplomatischen Sonderstatus geschützte Präsidentenmaschine des Bolivianischen Staatsoberhauptes Evo Morales gewesen, was zu Protesten gegen USA und EU in vielen Ländern Lateinamerikas führte. Daher wäre ein subtilerer Einsatz für den jungen, den USA verbundenen Blogger angemessen und vielleicht auch erfolgversprechender als das ebenso stereotype wie martialische Sanktionensgeschrei.

Roman Protasewitsch sollte dringend befreit werden, weil seine Menschenrechte in Gefahr sind, da hilft es auch nicht, wenn führende westliche Medien tendenziös alle Schattenseiten seiner Biografie verschweigen. Wenn unsere Leitmedien schon in die Rhetorik des Kalten Krieges verfallen, sobald es gegen Moskau geht: Warum sich nicht an die alte Praxis des Gefangenenaustausches zwischen Ost und West erinnern? Man könnte Minsk und Moskau doch Julian Assange für Protassewitsch anbieten.

Denn eines steht fest: Bei einer von dort beantragten Auslieferung an die Separatistenbehörden von Lugansk ist ein faires Gerichtsverfahren gegen Roman wohl ebenso unwahrscheinlich wie eines für Julian in den USA.

Dieser Artikel ist ein aktualisierter Auszug aus dem Buchbeitrag:

Sies, Hannes (2021): Schauprozess gegen Julian Assange: Fanal für Presseunfreiheit, in: Klaus-Jürgen Bruder, Almuth Bruder-Bezzel (Hg.) Macht: Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird, Frankfurt/M.: Westend Verlag 2021

Weiterhin empfohlen:

Nils Melzer, Der Fall Julian Assange: Geschichte einer Verfolgung, München: Piper Verlag 2021