Freundschaftsoffensive in Amerika

Der 5. Amerika-Gipfel könnte einen politischen Neuanfang zwischen den USA und seinen südlichen Nachbarn markieren

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Überraschende Annäherung zwischen den USA und Lateinamerika: Bei dem 5. Amerika-Gipfel in dem Karibikstaat Trinidad und Tobago hat US-Präsident Barack Obama einen Neuanfang in den Beziehungen zu den südlichen Nachbarstaaten angekündigt. Die in seiner Rede am Freitagabend verkündete „neue Partnerschaft“ bezog der 46-Jährige ausdrücklich auch auf Kuba – das einzige Land, das bislang von dem Regionaltreffen ausgeschlossen ist. Auf Druck der USA war Kuba schon vor 47 Jahren auch aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verbannt worden. Die von den USA historisch forcierte Isolation Havannas hatte im Vorfeld des Treffens für massiven Unmut gesorgt. Auf dem Amerika-Gipfel ging Obama wohl aus deswegen in die Offensive: Er wisse, dass frühere Versprechen Washingtons zur regionalen Zusammenarbeit nicht erfüllt worden seien. Dies werde sich nun ändern.

Obama und Chavez vereint. Bild: ABN

Die Charmeoffensive wirkte auch bei den vehementesten Kritikern. Schon vor der Eröffnungsgala war Obama im Jade-Salon des Hyatt-Regency-Hotels, in dem sich die Staatschefs zunächst versammelt hatten, auf seinen venezolanischen Amtskollegen Hugo Chávez zugegangen, um ihm die Hand zu reichen. Der Wortführer der linksgerichteten Staaten Lateinamerikas reagierte zunächst erstaunt, dann erfreut. „Ich bin dafür sehr dankbar“, sagte Chávez später einigen der 1200 akkreditierten Journalisten. Es sei eine „feinsinnige Geste“ des US-Präsidenten gewesen.

Die neue Tonlage zwischen Caracas und Washington ist erstaunlich. Noch vor sieben Jahren hatte die damalige US-Regierung einen blutigen Putschversuch gegen die demokratisch gewählte Regierung Chávez´ gutgeheißen und – glaubt man der Staatsführung in Caracas – diesen zuvor sogar tatkräftig unterstützt. Obamas 15-minütige Rede ließ von dieser aggressiven Linie gegen politische und wirtschaftliche Gegenspieler nichts mehr erkennen.

USA in Kuba-Frage isoliert

Dabei war das Treffen der 34 Staats- und Regierungschefs von einer absurden Situation bestimmt: Die offizielle Tagesordnung von Freitagnachmittag bis zum Ende des Gipfels am Sonntagmittag sah nicht in einem Punkt eine Aussprache zum Konflikt um die Kuba-Politik der USA vor. Die lateinamerikanischen Medien aber berichten seit Wochen über nichts anderes. Kubas Revolutionsführer Fidel Castro nahm in mehreren Kommentaren zu dem Disput Stellung. In der Woche vor dem Amerika-Gipfel empfing er eine Delegation US-amerikanischer Abgeordneter, die nach der Visite in Havanna prompt ein Umdenken in Washington forderten.

Auch wenn das bei der US-Führung niemand zugeben wollte: Der Kuba-Konflikt steht ganz oben auf der Prioritätenliste ihrer Lateinamerika-Politik. Zwar ist die Regierung in Havanna seit dem ersten Amerika-Gipfel 1994 in Miami (Florida) von den regionalen Beratungen ausgeschlossen. Nur „Staaten mit demokratisch gewählten Regierungen“ könnten an dem Treffen teilnehmen, heißt es seit damals. Doch das Manöver zur politischen und wirtschaftlichen Isolierung Havannas ging nach hinten los. Inzwischen stehen die USA alleine dar. Selbst alliierte Staaten wie Kolumbien oder Mexiko widersprechen der aggressiven Kuba-Politik offen.

Führung in Washington reagiert auf Kritiker

Das ist auch der US-Regierung klar. Es wäre „bedauerlich“, sagte Obamas Sonderberater für den Amerika-Gipfel, Jeffrey Davidow, wenn das Kuba-Thema die Beratungen in Trinidad und Tobago dominieren würde. Miguel Insulza, der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), aus der Kuba 1962 auf Druck der USA als einziger Staat der Region ausgeschlossen wurde, kam indes in Erklärungsnot, weil das Thema in Port of Spain nicht offiziell behandelt wird.

In der Woche vor dem Amerika-Gipfel startete die US-Regierung daher einen letzten Versuch, ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Präsident Obama ordnete am Montag zuvor kurzerhand an, eine Reihe repressiver Maßnahmen auszusetzen. Exilkubaner können fortan ohne jede Einschränkungen in ihr Herkunftsland reisen und ungehindert Geld nach Kuba überweisen. Zudem haben US-amerikanische Telekommunikationsunternehmen künftig die Möglichkeit, in Kuba tätig zu werden. „Barack Obama wünscht sich mehr Freiheiten für das kubanische Volk“, sagte Präsidentensprecher Robert Gibbs.

Früher im April hatte die US-Kongressabgeordnete Barbara Lee bereits die Aufhebung des Reiseverbots für US-Amerikaner nach Kuba gefordert. Lee war gerade von einer Delegationsreise aus Havanna zurückgekehrt. Politiker wie der US-Senator Richard Lugar hatten zudem für einen grundsätzlichen Kurswechsel plädiert. Dieser sei notwendig, um das angespannte Verhältnis zu Lateinamerika zu verbessern. Der Boston Globe argumentierte indes mit wirtschaftlichen Interessen des Landes gegen die Politik Washingtons: „Wir befinden uns inmitten einer Wirtschaftskrise“, hieß es in dem Blatt, „aber wir schließen uns selbst von einem Markt 90 Meilen vor unserer Küste aus.“

Die Aussetzung einiger Blockademaßnahmen verfehlte angesichts dieser grundlegenden Kritik ihr Ziel. Für die innenpolitischen Kritiker gehen die Korrekturen nicht weit genug. Und auch die lateinamerikanischen Staaten fordern nicht weniger als die Aufhebung der Blockade, die sich – anders als ein einfaches Embargo – auch gegen Drittstaaten richtet.

Doch auf die Blockade selbst ging auch Obama nicht ein. Er sei bereit, mit der Führung in Havanna über eine ganze Reihe von Themen zu reden, kündigte er an: „Ab er ich will ganz klar sein: Ich bin nicht interessiert an Gesprächen nur um der Gespräche willen“.

Neues Selbstbewusstsein in Lateinamerika

Fraglich, ob diese Haltung in der Region mittelfristig auf Akzeptanz stößt. In den vergangenen Wochen hatte nicht einmal der US-Kritiker Chávez, sondern der im Westen als „gemäßigt“ geltende brasilianische Präsident Luiz Inácio „Lula“ da Silva die US-Blockade scharf kritisiert. In zwei Treffen mit seinem US-Amtskollegen forderte er eine Normalisierung der Beziehungen zu der Regierung in Havanna. Es sei „unnormal“, wenn ein Land des Kontinents von einem Regionalgipfel ausgeschlossen ist, merkte auch da Silvas außenpolitischer Berater Marco Aurelio García an. Der Präsident Brasiliens hoffe daher auf eine Annäherung Washingtons an Havanna. Drastischer hatte es Nicaraguas Staatschef Daniel Ortega formuliert: Einen Amerika-Gipfel ohne Kuba verdiene diesen Namen nicht.

Das neue Selbstbewusstsein der lateinamerikanischen Staaten gegenüber den USA ist Ausdruck eines Integrationsprozesses, der in den vergangenen Jahren die politische Realität südlich des Rio Grande verändert hat. Neben dem linksgerichteten Staatenbündnis „Bolivarische Alternative für Amerika“ (ALBA) haben sich weitere zwischenstaatliche Gremien zur Durchsetzung lateinamerikanischer Interessen gebildet. Dieser Integrationsprozess schreitet schnell voran:

Weniger als ein Jahr nach ihrer Gründung hat die Südamerikanische Staatenunion (UNASUR) erst am 10. März einen regionalen Verteidigungsrat ins Leben gerufen. Die Teilnahme der USA als Beobachter an diesem neuen Militärbündnis schloss Brasiliens Verteidigungsminister Nelson Jobim bei der konstituierenden Sitzung des Gremiums indirekt aus. Es sei von „fundamentaler Bedeutung“, dass Washington zunächst gute Beziehungen zu Südamerika aufbaue, sagte der Chefdiplomat. Die Änderung der Kuba-Politik sei eine Voraussetzung dafür.

Die gescheiterte Kuba-Politik droht sich damit zu einem sicherheitspolitischen Problem für Washington auszuwachsen. Es ist daher nicht erstaunlich, dass am Samstag ein kurzfristig angesetztes Treffen Obamas mit den Vertretern der UNASUR-Mitgliedsstaaten stattfand.

Linksgerichtete Staaten lehnten Erklärung des Gipfels ab

Dass die grundsätzlichen Konfliktlinien zwischen den USA und der lateinamerikanischen sowie karibischen Gemeinschaft bestehen bleiben, war vor dem Amerika-Gipfel vor allem bei einem Treffen der linksgerichteten ALBA-Staaten deutlich geworden. In den beiden Tagen vor dem Amerika-Gipfel kamen sie in dem venezolanischen Küstenort Cumaná zusammen, um gemeinsame Positionen abzustimmen. Neben den Staats- und Regierungschefs der ALBA-Staaten Kuba, Venezuela, Bolivien, Nicaragua, Honduras und Dominica nahmen an der Zusammenkunft auch die Präsidenten der Beobachterstaaten Ecuador und Paraguay, Rafael Correa und Fernando Lugo, teil. Vor Beginn der Konsultationen war aus Havanna eine hochrangige Delegation unter Leitung des kubanischen Außenministers Bruno Rodríguez und des Vizepräsidenten Ricardo Cabrisas in Venezuela eingetroffen.

Die ALBA-Staaten lehnten die Abschlusserklärung des Amerika-Gipfels ab. Das Dokument sei in seinem Inhalt „ungenügend und inakzeptabel“ hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der anti-neoliberalen Ländergruppe. Es gebe keine Antwort auf die weiter eskalierende Weltwirtschaftskrise und lasse Kuba außen vor, so die beiden Hauptkritikpunkte. „Der Kapitalismus bringt die Existenz der Menschheit und des Planeten in Gefahr“, heißt es in der Deklaration der ALBA-Staaten: „Was wir derzeit erleben, ist eine globale Wirtschaftskrise systematischer und struktureller Art, es ist nicht eine der üblichen zyklischen Einbrüche.“ Die Staaten Lateinamerikas und der Karibik hätten mit dem ALBA-Pakt und anderen regionalen Mechanismen daher einen neuen Weg eingeschlagen.

Dazu gehört vor allem die in Cumaná beschlossene Regionalwährung „Sucre“. Dieses Zahlungsmittel soll mittelfristig die Unabhängigkeit Lateinamerikas und der Karibik vom US-Dollar als Leitwährung erhöhen. Unterstützt wird das Vorhaben von dem amtierenden Generalsekretär der UNO-Vollversammlung, Miguel D´Escoto Brockman. Der ehemalige Außenminister der sandinistischen Regierung Nicaraguas (1979-1990) kündigte in Cumaná zugleich eine UNO-Konferenz an, bei der im Juni Maßnahmen gegen die Weltwirtschaftskrise beraten werden sollen. Dazu seien auch die lateinamerikanischen Staaten eingeladen. Kuba eingeschlossen.

Gegengipfel diskutiert alternative Wege gegen die Krise

Doch der Druck für eine neue Politik kommt vor allem auch von sozialen Bewegungen. Parallel zu dem offiziellen Treffen fand von Donnerstag bis Samstag in der Westindien-Universität in Port of Spain ein Gegengipfel von Globalisierungskritikern statt. An dem IV. Gipfel der Völker nahmen nach Angaben der Veranstalter rund eintausend Mitglieder sozialer Organisationen und Bewegungen teil. Sie debattierten alternative Vorgehensweisen gegen die derzeitige Krise und ihre sozialen Konsequenzen. Vor allem die zunehmende wirtschaftliche Migration in Industriestaaten und die Militarisierung Lateinamerikas standen im Zentrum der Debatten. Das Treffen sein eine „einzigartige Möglichkeit, gemeinsame Aktionen und Strategien zu entwickeln“, sagte Mitorganisator David Abdulah der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina.

Gerade in lateinamerikanischen Medien hatte der Gegengipfel große Aufmerksamkeit erfahren. In den USA und Europa wurde er geflissentlich übergangen. Das mag auch an der von Abdulah beschrieben Zielstellung liegen. Es gehe, sagte er, „um den Kampf für eine neue Welt, da der Neoliberalismus untergegangen ist“. Die Milliarden US-Dollar, die derzeit in wirtschaftliche Rettungspläne gesteckt werden, brächten keine Lösung der strukturellen Probleme.

Zu einer solchen Debatte über strukturelle, also systemische Änderungen ist auch die Obama-Regierung nicht bereit. Sie versucht, die Fehler der abgewählten Führung unter George W. Bush zu korrigieren. Dazu gehört auch der Aufbau neuer Strukturen, um die in den vergangenen Jahren entstandenen autonomen Regionalmechanismen zurückzudrängen. Die Ankündigung einer energiepolitischen Allianz unter Leitung Washingtons etwa dürfte in Südamerika mit Aufmerksamkeit aufgenommen worden sein. Die anti-neoliberalen Staaten hatten mit dem Petrocaribe-Bündnis eben eine solche Allianz geschaffen, um einen Ausverkauf von Erdöl und Erdgas an die Industriestaaten zu vermeiden.

Auch die von US-Außenministerin Hillary Clinton angekündigte Erhöhung der Fonds für lateinamerikanische Staaten um 17 Prozent ist nicht per se als Schritt zur Annäherung zu werten. In der Vergangenheit wurden solche Hilfsgelder von der US-amerikanischen Behörde für Entwicklungshilfe USAID unter dem Motto der „Demokratieförderung“ schließlich auch dafür verwendet, oppositionelle Strukturen in den linksgerichteten Staaten der Region aufzubauen.

Nachdem alle schönen Worte verklungen sind, bleibt für die Lateinamerika-Politik der USA nur ein Indikator: Behält sie die Blockade gegen Kuba aufrecht – und damit die grundsätzliche Absicht, die politischen Systeme auf dem amerikanischen Kontinent nach eigenem Gusto zu bestimmen? Nach dem 5. Amerika-Gipfel weist nach wie vor alles darauf hin.