Frieden für die Ukraine

Landkarte Ukraine, Russland mit Nationalflaggen und Friedensflagge in der Ostukraine

Neue Vorstöße für einen Waffenstillstand in der Ukraine mehren sich. Selenskyj, Stoltenberg und Baerbock bringen Optionen ins Spiel. Doch was hat Russland davon?

Plötzlich reden alle von einem Waffenstillstand. Erst Präsident Selenskyj, der gegenüber Sky News einen Waffenstillstand für möglich hielt, wenn der nicht russisch besetzte Teil der Ukraine unter den Schutz der Nato gestellt würde.

Dann der ehemalige Nato-Generalsekretär Stoltenberg, der einen Waffenstillstand und "vorübergehende Gebietsabtretungen" der Ukraine ins Gespräch brachte. Ihm folgte Außenministerin Baerbock, die deutsche Bodentruppen zur Sicherung eines Waffenstillstands in Aussicht stellte.

In der Tat: Ein Waffenstillstand wäre hochwillkommen. Tod und lebenslange Kriegsversehrung in bislang mindestens sechsstelliger Größenordnung hätten ein (vorläufiges) Ende. Das Risiko einer militärischen Eskalation wäre drastisch reduziert.

Doch sollte man die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Welches Interesse hätte Russland an einem Waffenstillstand? Militärisch hat es derzeit die Initiative. Ganz bestimmt will Moskau der Ukraine keine Atempause mit der Gelegenheit zur militärischen Konsolidierung gewähren. Oder um Nato-Schutz zu erhalten. Oder um deutsche Truppen zwischen die russischen und die ukrainischen zu schieben.

Bedingungen eines Waffenstillstands

Einen Waffenstillstand gibt es nur, wenn Russland eine Gegenleistung erhält. Stoltenberg hat das erkannt. Aber sind "vorläufige Gebietsabtretungen" für Russland von Interesse?

De facto kontrolliert es diese Gebiete schon. "Vorläufig" bedeutet aber, dass die Gebiete nicht de jure abgetreten werden sollen. Die Ukraine (und mit ihr der Westen) würde die russische Verwaltung zwar dulden, würde aber darauf beharren, dass diese völkerrechtswidrig ist.

Andauernder Bruch des Völkerrechts

Damit würde der Bruch des Völkerrechts fortbestehen. Folglich müsste der Westen auch die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten. Was also hätte Russland von dem Waffenstillstand – außer, dass der russische Vormarsch aufgehalten würde und die Ukraine Verstärkung oder Schutz durch die Nato erhielte?

Gewiss, auch Russland könnte den Waffenstillstand nutzen, um Fakten zu schaffen. Da die Abtretung nicht de jure vollzogen wird, würde Russland wahrscheinlich eine gezielte Russifizierung dieser Gebiete betreiben, um deren "vorübergehende" Abtretung faktisch unumkehrbar zu machen.

Ansiedlung, Zwangsumsiedlung

Bereits seit Besetzung der Krim 2014 gibt es Berichte über Ansiedlung russischer Bürger und Zwangsumsiedlungen ukrainischer Bürger.

Solche Maßnahmen wären ein eklatanter Bruch des humanitären Völkerrechts und würden vermutlich zu neuen Konflikten zwischen Russland und dem Westen führen. Der wesentliche Grund dafür ist, dass eine "vorübergehende Gebietsabtretung" ohne völkerrechtliche Beglaubigung keine Rechtssicherheit und keine dauerhafte Friedensregelung schafft.

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Der Westen müsste sich zudem vorwerfen lassen, dass er durch eine "vorübergehende" Abtretung die Bevölkerung in den ostukrainischen Gebieten rechtlos an Russland "verkauft".

Das liefe dem bisherigen Anspruch, in der Ukraine einen Kampf für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen, diametral zuwider. Nichts davon käme den Menschen in den russisch besetzten Gebieten zugute, wenn es bei dem Stoltenberg-Vorschlag bliebe.

Doch es gibt eine viel bessere Lösung, besser sowohl für die Ukraine als auch für Russland. Nicht nur ein Waffenstillstand, sondern eine Friedenslösung, im Einklang mit dem Völkerrecht, unter Wahrung der Sicherheitsinteressen beider Seiten und unter Anerkennung der entstandenen militärischen Realitäten.

Wie Telepolis berichtete, schlägt die von uns gegründete Hamburger Friedensinitiative vor, die russisch besetzten Territorien durch eine Volksabstimmung zu unabhängigen Staaten zu machen.

Diese Staaten sollen im Inneren frei, demokratisch und rechtsstaatlich verfasst sein. Die Ukraine hätte damit das wichtigste Ziel aller Politik erreicht: Die Wahrung der Menschenrechte und die Grundlagen individuellen Wohlergehens für die Gesamtheit der ukrainischen Bürger.

Andererseits sollen die neuen Staaten in allen militärischen und sicherheitspolitischen Entscheidungen der Zustimmung Russlands bedürfen, mit Russland militärisch verbündet sein und Russland die Stationierung von Truppen auf ihrem Territorium gewähren.

Es wären Staaten, von denen keine Gefahr für Russland ausgehen würde. Zugleich wären sie ein Cordon sanitaire gegenüber der Ukraine und der Nato. Damit entsprächen sie Russlands Forderung nach Sicherheit, wie es selbst sie versteht und beachtet wissen will.

Weitere Bestimmungen unseres Vorschlags regeln den Schutz der Ukraine durch die Nato, den Schutz der freiheitlichen inneren Ordnung in den neuen Staaten, weitere Sicherheitsgarantien für Russland, die Rückführung der verschleppten Kinder, die Behebung der Kriegsschäden, den wirtschaftlichen Wiederaufbau und die Aufhebung aller Sanktionen.

Die Vorteile dieses Vorschlags liegen auf der Hand. Es gäbe Frieden, nicht nur einen (vielleicht brüchigen) Waffenstillstand.

Die Bürger in den russisch besetzten ukrainischen Gebieten würden nicht entrechtet, sondern lebten in einem Rechtsstaat mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung. Russlands Sicherheitsinteressen wären gewahrt und auch von den Nato-Staaten völkerrechtlich anerkannt.

Die Ukraine erhielte den Schutz der Nato. Die Sanktionen gegen Russland und die politische Ächtung Russlands würden aufgehoben. Alle territorialen Streitigkeiten würden dauerhaft und völkerrechtlich wirksam beigelegt.

So wichtig und richtig ein baldiger Waffenstillstand ist: Er kann nur ein erster Schritt sein. Die von Stoltenberg vorgeschlagene "vorübergehende" Gebietsabtretung brächte keinen Frieden. Sie könnte die wesentlichen Probleme nicht lösen, würde möglicherweise neue schaffen und zudem 20 Prozent der ukrainischen Bevölkerung entrechten.

Der Vorschlag der Hamburger Friedensinitiative hingegen könnte die Grundlage eines endgültigen Friedens gewährleisten: im Einklang mit dem Völkerrecht, mit hoher sicherheitspolitischer Stabilität und mit befriedigenden Ergebnissen für beide Konfliktparteien.