Frieden im Niemandsland
Seite 2: "Soldaten unterbrechen den Krieg"
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Unter dieser - von ihm selbst geprägten Überschrift - vermittelt Michael Schober Nonkonformismus und Verweigerung im militärischen Kontext. Zum legendären "Weihnachtsfrieden" an der Front wird auch eine Betrachtung von Helmut Donat dargeboten. Den sentimentalen Zugang kategorisch zu verlästern, hieße, Gefühle, die sich hier im Wissen um viele Millionen Tote geradezu zwangsläufig melden, zu ächten.
Notwendig ist aber nur der Einspruch gegen eine entschärfende Verkitschung des Geschehens, die den Abgrund verschweigt und dem Publikum die Chance einer heilsamen Beunruhigung nimmt. Denn der "Weihnachtsfrieden" an der Front enthüllt, recht verstanden, das Subversive der Weihnacht: Die Aufkündung des Gehorsams gegen die Feldherren aller Zeiten, das Ende der blutigen "Globalisierung" von Cäsaren im Anbruch einer universellen Geschwisterlichkeit der Menschen … die Pulverisierung jeglichen Kirchentums, das dem Kriegsverbrecher Hindenburg und ähnlichen Größen der Gewaltreligion huldigt, nicht aber dem Kind.
Der Glaubenssinn aller Getauften verschaffte sich Weihnachten 1914 in den Schlachtfeldern Raum - wider die hierarchischen Lehrer der Nationalkirchen. Manchem erschloss sich das Subversive der Weihnacht womöglich schon allein durch einen Stachel, der noch im kulturellen Wissen aufgehoben war.
Widerspruch aus Kunst und Publizistik
Mit dem Dada-Mitbegründer Hugo Ball (1886-1916), dem Journalisten Harry Stürmer, der 1917 ein "neudeutsch-protestantisches Kriegs-Christentum" kritisierte, und dem bislang wohl nur in regionalgeschichtlichen Kontexten bekannten Schriftsteller Joseph Anton Henke (1892-1917) werden in dieser Abteilung drei unterschiedliche Beispiele für Einspruch gegen den Krieg bzw. Abkehr von der Kriegsreligion vorgestellt. Damit kommt immerhin ein ganz kleiner Ausschnitt des weiten literarischen Feldes zum Vorschein.
Friedens-Anfragen im Wortlaut - Ausgewählte Quellentexte
Die Auswahl der Quellenbeispiele in unserem Band vermittelt - ohne den Anspruch, repräsentativ zu sein - ein pluralistisches Bild von Friedensvoten mit religiösem Hintergrund, darunter einige nur wenig bekannte Lichtblicke bis hin zu den späten Jahren der Weimarer Republik. Nicht zuletzt bot sich hier die Möglichkeit, Appelle des Erzbischofs von Uppsala, eine Pionierin der Frauenfriedensbewegung wie Auguste Kirchhoff (1867-1940), einen so überaus bedeutsamen Friedensmahner wie Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966) und zwei beispielhafte Friedensvoten von Rabbinern (Fritz Leon Bernstein, Leo Baeck) zumindest über Primärtexte bekannt zu machen.
Das Dargebotene verbindet gleichermaßen Ermutigung und Klage. Tröstlich bleibt die Erkenntnis, dass es trotz der allgegenwärtigen Kriegsreligion einer Minderheit unter den Christ:innen noch immer möglich war, dem "Rabbi Jesus" aus Nazareth zuzuhören und seinen Glücklich-Preisungen zu trauen. Gerade dies führt aber zur traurigen Klage, weil die oberen Etagen des "kirchlichen Institutes" im Kreis dieser Hörbereiten und Verstehenden gar nicht vertreten waren.
Schönheit und Widerstand
Die bedeutsamste Kritik der Kriegstheologie im Kaiserreich hat der Schweizer Karl Barth (1886-1968) vermittelt, dem wir bei der Fortsetzung unserer Reihe noch mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Die biblische Botschaft zielt auf heilende Erfahrungen in der Menschenwelt, doch sie ist das Gegenteil der religiös verbrämten Bestätigung eines Weltgefüges, das aus der Angst hervorgegangen ist und die Gewalt als Gottheit installiert.
Der Schaden, den eine egomane Kirchenapparatur zur Zeit des Menschenschlachthauses durch absurde Heilsversprechen - im Zusammenhang mit kriegsbedingten Frömmigkeitsübungen, theologischen Phantasie-Produktionen und anderen Unternehmungen zur Steigerung der eigenen Bedeutsamkeit - bei ungezählten Menschen jeden Alters angerichtet hat, führte leider nur wenige Verantwortliche zur Besinnung.
Da die deutschen Kirchen 1914 bis 1918 im Wesentlichen Kriegskirchen zur Stärkung der nationalen Kampfbereitschaft waren, deren Leitungen außerdem in nicht wenigen Fällen Friedensbemühungen geradezu sabotierten, wäre es für die Menschen nach Ansicht von Kritikern besser gewesen, es hätte sie nicht gegeben.
Angesichts neuer Feindbildproduktionen, der rasanten Aufrüstungspolitik unserer Tage und der wiederum revolutionierten Mordtechnologien des Militärs dürfen die Kirchen nicht noch einmal die Friedensbotschaft des Jesus von Nazareth verraten. Die Schönheit der im Sammelband "Frieden im Niemandsland" erschlossenen Zeugnisse von Christ:innen, die sich vor über hundert Jahren der Kriegsmaschine verweigert haben, ist eine mögliche Kraftquelle für den Widerstand in der Gegenwart.
Die Beispiele der wenigen Botschafter:innen des "Friedenskönigs" können uns allerdings in keiner Weise beruhigen. Denn sie offenbaren ja erst das ganze Ausmaß der Gottlosigkeit eines Kirchentums, das - ohne es selbst zu bemerken - Jesus von Nazareth nacheinander in zwei Weltkriegen exkommuniziert hat.
Haben sich die Strukturen und Dogmatiken der nachkonstantinischen Kirchenkomplexe seitdem wirklich durchgreifend geändert? Was kommt hierzulande auf die Gemeinde Jesu zu, falls deutsche Bischöfe - statt im Bewusstsein der nationalen Kirchengeschichte friedenskirchliche Vorreiter für den gesamten Erdkreis zu werden - der weltkirchlichen Ökumene und dem Bischof von Rom bestenfalls hinterherhinken? Ist die Sorge unberechtigt, dass sogar noch immer nationalkirchliche Voten zugunsten der deutschen Atombombenteilhabe in einigen Schubladen liegen?
Frieden im Niemandsland. Die Minderheit der christlichen Botschafter im Ersten Weltkrieg. (Kirche & Weltkrieg, Band 3 - herausgegeben von P. Bürger). Norderstedt: BoD 2021. ISBN: 978-3-7534-0205-5 (560 Seiten, Paperback, 18,90 Euro) Inhaltsverzeichnis und Autorenübersicht hier auf der Verlagsseite.
Der ökumenische Sammelband enthält Beiträge von Eberhard Bürger, Peter Bürger, Helmut Donat, Karlheinz Lipp, Thomas Nauerth, Elisabeth Rotten, Michael Schober und Johannes Weissinger sowie zahlreiche Quellentexte.