Frieden muss gestiftet werden

Seite 2: Erkenntnisse des AA zu Kosovo blieben unter Verschluss

Die Erkenntnisse des AA blieben unter Verschluss, wie auch Nato-Berichte, wonach die vom Westen aufgerüstete, albanische UCK mit neuen Attacken in das Vakuum stieß, das der Abzug der serbischen Truppen hinterlassen hatte.

Der Geheimdienstexperte Roger Faligot schrieb in der Zeitschrift European:

Sowohl der deutsche zivile als auch der militärische Geheimdienst sind damit befasst, albanische Terroristen auszubilden mit dem Ziel, den deutschen Einfluss auf dem Balkan zu zementieren.

Das US-State Department sprach am 17. März von einer serbischen Offensive gegen die neuen Terrorakte der UCK, die aber hohe zivile Verluste vermeidet, um dem Westen nicht "die Option einer Militäraktion" zu geben. Als solche sollte auch das angebliche Massaker von Račak herhalten. Die finnische Leiterin der Untersuchungskommission Ranta sprach später in der Sendung Monitor von der Möglichkeit, dass die ganze Szene von der UCK gestellt gewesen sei.

Das Haager Tribunal ließ den Anklagepunkt aus Mangel an Beweisen fallen. Die Bundeswehr meldete zwei Tage vor dem Krieg: "Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen."

Die im Kosovo eingesetzte US-Diplomatin Norma Brown kannte die Lage: "Bis zum Beginn der Nato-Luftangriffe gab es keine humanitäre Krise. Sicher, es gab humanitäre Probleme… Aber jeder wusste, dass es erst zu einer humanitären Krise kommen würde, wenn die Nato bombardiert."1

Durchaus aussichtsreiche, diplomatische Lösungen wurden in Rambouillet durch westliche Maximalforderungen im geheimgehaltenen Annex B untergraben. Die Nato wollte diesen Krieg. Sie hat einseitig für die UCK Partei ergriffen, was ihr die Chance bot, ihre neue Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen und bei der Gelegenheit den letzten, vor allem nichtstalinistischen sozialistischen Staat in Europa zu zerschlagen.

Der Gründungsvater der Friedensforschung, Johan Galtung, nannte als wirklichen Kriegsgrund die Disziplinierung des "Fremdkörpers" Serbien als Letztes mit Russland und China verbundenem Land in Europa, das sich der neoliberalen Globalisierung widersetzt. Egon Bahr hatte früh gewarnt: "Gerade, weil verhindert werden muss, dass Jugoslawien auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion Schule macht, müssen wir uns auf Grundfragen einer europäischen Ordnung konzentriere."

Doch Rot-Grün demonstrierte Bündnistreue. Zum dritten Mal im 20. Jahrhundert führte Deutschland einen Angriffskrieg gegen Serbien. Zur Begründung wurde neben Genozid als Zweites die Nazi-Karte gezogen, genau das Muster, nach dem nun auch Putin agiert.

Unter der Parole "Nie wieder Auschwitz" rechtfertigte der einst pazifistische Außenminister seine Zustimmung zum Krieg. Der Kanzler sprach von "Deportationen", der Verteidigungsminister von "Selektionen". Er brachte untermalt von gefälschten Fotos der US-PR-Agentur Ruder Finn die Mär von "Konzentrationslagern" auf und schreckte nicht davor zurück, die "Ermordung der geistigen Elite" zu beklagen.

Die als ermordet gemeldeten Albaner tauchten alle wieder auf, aber da hatte der Krieg schon begonnen. Milošević war zum neuen Hitler erkoren. Die US-Agentur brüstete sich später mit ihrem "großartigen Coup", in der öffentlichen Meinung die Serben mit den Nazis gleichzusetzen. "Mit einem einzigen Schlag konnten wir die Story von den good guys und den bad guys präsentieren, die sich von ganz allein weiterspielte."

Dieses "Spiel" hatte, wie der Bundestags-Drucksache 13/11470 zu entnehmen ist, auch sein eigenes wording: Einsatz bewaffneter Streitkräfte zu begrenzten Luftoperationen. Lehrstoff für künftige Aggressoren. Zwar wurde, wer die Spezialoperationen "Krieg" nannte, wahrlich nicht mit Gefängnis bedroht. Aber die Massenmedien verzichteten von sich aus weitgehend darauf, die ganze Härte der Kriegsführung beim Namen zu nennen.

Viele Fakten sickerten nur tröpfchenweise oder nach Jahren durch. Sicher, es gab keine brutal belagerte und fast ausgelöschte Stadt wie Mariupol, das Hauptquartier der ukrainischen Armee im Donbass, wo auch große Teile des Bataillon Asow stationiert sind.

Doch den nach ukrainischen Angaben schrecklichen 1.800 Luftangriffen im ersten Monat des Krieges stehen in den 78 Tagen Nato-Krieg unvorstellbare 38.000 Luftangriffe gegenüber, auf hauptsächlich zivile Ziele in Serbien.

1.200 schwere Bomber und Jagdbomber waren beladen mit 9.160 Tonnen Bomben – darunter 1.100 Streubomben mit abgereichertem Uran, die jeweils 300 Splitter verschleuderten, deren Blindgänger bis heute Menschen töten.

Drei Flugzeugträger und 20 weitere Schiffe unterstützten von der See her. Lasergesteuerte Grafitbomben schalteten die Stromversorgung in Jugoslawien aus, legten Hospitäler, Tiefkühlhäuser, Kläranlagen und Wasserpumpen lahm.

Folgen der Nato-Bombardierung von Chemieanlagen

Am Anfang des Krieges hat die jugoslawische Regierung die Nato darauf aufmerksam gemacht, welche gesundheitlichen und ökologischen Katastrophen durch eine Bombardierung von Chemiebetrieben ausgelöst würden und legte einen Plan der gefährlichsten Anlagen bei.

Zynischerweise haben die Befehlsgeber der "humanitären Intervention" den Plan als Zielvorgabe genutzt und danach bombardiert. Die so entstandenen Chemiewaffen kontaminierten Böden und Flüsse mit 3.000 Tonnen Ätznatron, 800 Tonnen Salzsäure, 100 Tonnen Quecksilber und anderen Umweltgiften.

Heute wird ein potenzieller Einsatz von Chemiewaffen als Gamechanger gehandelt – damals war niemand da, der eine solche rote Linie setzen konnte. Die Nato nannte 5.000 getötete serbische Soldaten und 10.000 Verletzte, sie selbst, in großer Höhe operierend, hatte keine Opfer. Nach dem Krieg wurden mehr Menschen vertrieben als zuvor – 350.000, darunter viele Roma.

Traurige Bilanz nach Belgrader Angaben: Tod von einigen Tausend Zivilisten. Zerstörung von 235 Fabriken, was fast 30 Prozent der Erwerbstätigen arbeitslos machte. Zerstört wurden 61 Brücken, hunderte Schulen, Gesundheitseinrichtungen und öffentliche Gebäude, darunter das Innenministerium und die chinesische Botschaft, beschädigt wurden über 50.000 Wohnungen.

Auch 36 sakrale Orte, so 33 Glaskuppeln der Gedenkstätte in Kragujevav, wo die Wehrmacht in einer "Sühneaktion" 4.000 Bewohner erschossen hatten, darunter 300 Schüler. Beschädigt wurde auch die Skulptur mit der Aufschrift: Der Faschismus ist überwunden. (Heute hört man, die Holocaust-Gedenkstätte Babyn Jar sei von den Russen leicht getroffen worden.)

Dass sich all das nicht in unser Gedächtnis einbrennen konnte, hat einen einfachen Grund: Restlos zerstört wurde auch der Belgrader Fernsehsender, 16 tote und 30 verletzte Redakteure und Techniker wurden in dem ausgebrannten Gebäude geborgen.

Der Angriff sei notwendig geworden, so der damalige britische Premierminister Tony Blair in der BBC, weil westliche Sender die Aufnahmen von zivilen Opfern übernommen hätten. "Das ist eines der Probleme, wenn man in einer modernen Kommunikationsgesellschaft Krieg führt. Uns war klar, dass diese Bilder auftauchen und eine instinktive Sympathie für die Opfer bewirken würden."

Als der Belgrader Sender RTS seine Tätigkeit aus einem Behelfsstudio wieder aufnahm, schaltete das europäische Satelliten-Konsortium auf deutsche Initiative das Signal des jugoslawischen Fernsehens ab. "Bilder von getöteten Zivilisten und verwüsteten Wohnhäusern", so meldete die ARD-Tagesschau am 27. Mai, "werden künftig nicht mehr zu sehen sein."

Heute ermöglicht die permanente mediale Konfrontation mit den zu Herzen gehenden Leidensgeschichten von Kindern und Müttern, von Ausgebombten und Verwundeten, nie dagewesene Empathie und bewundernswerte Hilfsbereitschaft, sie treibt Hunderttausende Demonstranten auf die Straße und zu spontanen Solidaritätsaktionen.

Solche erschütternden Opfergeschichten gab es "mitten in Europa" auch in Jugoslawien mehr als genug, doch wer versucht hat, eine genauer zu erzählen, wie ich nach einem Besuch in Belgrad, fand kaum Gehör. Nach dem Krieg legte Amnesty International einen Bericht vor:

Nato-Streitkräfte haben sich schwere Verstöße gegen das Kriegsrecht zuschulden kommen lassen. Dadurch haben sie unrechtmäßig Zivilisten getötet.

Doch eine weltweite Solidaritätsbewegung hat es nicht gegeben. Kein Künstler aus einem Nato-Staat war gehalten, sich von diesem Angriffskrieg zu distanzieren.

Der Spiegel 17/99 erlaubte sich die Respektlosigkeit, sich vorzustellen, Schröder, Scharping und Fischer würden verhaftet.

Die Bundesrepublik habe sich an einem Staatsverbrechen beteiligt, dem schwersten, das im deutschen Strafgesetz aufgeführt ist – einem Angriffskrieg von deutschem Boden aus. Darauf steht lebenslang.

Doch das blieb ein keckes Gedankenspiel. Dass der den Weisungen des Justizministers unterstellte Generalbundesanwalt keine Ermittlungen aufnahm, überraschte nicht. Er begründete es damit, dass der Jugoslawien-Einsatz eine "dem Völkerfrieden dienende Intervention" dargestellt habe.

Die Vernachlässigung des Rechts zugunsten einer vermeintlichen Moral ist strukturell nichts anderes als die einst östliche Logik, die den Klassenstandpunkt im Ernstfall über das positive Recht gesetzt hat.

Die noch während des Krieges von Jugoslawien beim IGH in Den Haag eingereichte Klage gegen zehn Nato-Staaten, darunter Deutschland, wurde mit einem formalen Trick abgewiesen. Klagen können nur UN-Mitglieder, ein Status, der Jugoslawien kurzerhand abgesprochen wurde, da es im Zerfall befindlich sei.

Als die UdSSR später zerfiel, war Russland als Mitglied des Sicherheitsrates zu gewichtig, um so mit ihm umspringen zu können. Auch die Auslegung von Völkerrecht ist eine Machtfrage.

Nach dem Krieg hat sich kein Gericht der Welt für das den Serben zugefügte Leid zuständig gefühlt. Die am Krieg beteiligten Nato-Staaten haben nicht nur der Weltöffentlichkeit, sondern auch potentiellen Nachahmern demonstriert, wie man Einflusssphären gewinnt, ohne sich für die Folgen verantworten zu müssen.