Friedensbewegung aus Schockstarre erwacht
Nicht nur der Anti-Nato-Kongress in Berlin hat gezeigt, dass die Gegner von Rüstung und Krieg wieder aktiv sind. Allerdings besteht die Tendenz, die Rolle deutscher Politiker kleinzureden
Die Dokumentation "Das kurze Leben des Wolfgang Borchert" ist 25 Jahre alt. Doch die Aktualität ist frappierend. In der letzten Szene liest die bekannte Künstlerin Ida Ehre Borcherts erfolgreichstes Poem "Sag Nein" auf einer Veranstaltung der Friedensbewegung Mitte der 1980er-Jahre in Hamburg.
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen - sondern Stahlhelme und Maschinengewehre. dann gibt es nur eins: Sag Nein!
Wolfgang Borchert
Die letzten Worte wurden tausendfach wiederholt. Gerade in einer Zeit, in der die kapitalistische Krise wieder offen zum Krieg führt, wie aktuell in der Ukraine, wo letztendlich ein Konflikt zwischen Russland und der Nato ausgetragen wird, wäre diese laute "Nein" dringender denn je. Tatsächlich hat auch in Deutschland die Friedensbewegung die Schockstarre überwunden. Der vieldiskutierte Kongress "Ohne Nato leben – Ideen zum Frieden", der am Samstag an der Humboldt-Universität in Berlin stattfand, hat bei aller Detailkritik ein Verdienst.
Der Fraktion der Vaterlandsverteidiger aller Couleur wurde Kontra gegeben. Das Echo war dem entsprechend. Die Nato-Freunde aller Parteien schrien auf. Sogar eine Protestaktion vor dem Veranstaltungsort gab es, wobei die Nato-Demokraten auch gleich deutlich machten, was sie unter Meinungsfreiheit verstehen. Sie echauffierten sich darüber, dass ein solcher Anti-Nato-Kongress mitten in Berlin stattfinden konnte.
1968 war es noch die Springer-Presse, die im Verein mit in der Nazizeit Sozialisierten Westberlinern gegen langhaarige Nato-Gegner und Vietnam-Freunde hetzte. Heute wollen die Nato-Fans aus den Reihen der ukrainischen Rechten und Sympathisanten des Asow-Regiments nicht reden, genau so übrigens wie der Ex-Marxist Paul Mason, der in einem taz-Interview viel über Putin als Wiedergänger Hitlers redet und keinen Satz auf die ukrainischen Neonazis verwendet.
Dafür mussten sich linke Bewegungen wie Diem 25 als "Putin-Freunde" verleumden lassen, obwohl sie sich entschieden gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine aussprechen, aber deshalb nicht gleich zu Nato-Linken mutiert sind.
Es ist schon bezeichnend, dass nicht die Vaterlandsverteidiger im linksliberalen Spektrum sich rechtfertigen müssen, sondern Gruppierungen, die alte linke Grundsätze verteidigen, in einen Krieg zwischen kapitalistischen Staaten auf keiner Seite zu stehen. Wie weit die Nato-Freunde, die am gegen den Kongress protestierten, von linken Grundsätzen entfernt sind, zeigt sich schon an dem Motto "Ohne Nato- dafür lieber mit Putin – Nein danke!"
Das erinnert an die Situation während des Ersten Weltkrieges, als Intellektuelle und Professoren sich hinter die Kriegsziele ihrer jeweiligen Nation stellen mussten und als Vaterlandsverräter beschimpft wurden, wenn sie den Überfall des deutschen Militärs auf das neutrale Belgien und die dort von Deutschen verübten Kriegsverbrechen verurteilten.
Kein Zimmerwald in Berlin
So positiv es da ist gegen die Vaterlandsverteidiger aller Seiten die Nato zu kritisieren, so bedauerlich ist, dass auf dem Kongress die Mängel der deutschen Friedensbewegung aus den 1980er-Jahren sich wiederholten. So sieht der nun wieder parteilose Sozialdemokrat Oskar Lafontaine den Hauptfeind noch immer in den USA, denen er vorwirft auch im Ukraine-Konflikt keinen Frieden zu wollen.
Zur Rolle deutscher Politiker beim Maidan-Umsturz, der den deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus an die Macht gebracht hat, schweigt Lafontaine. Dafür umwirbt er die deutschen Kapitalisten, wenn er im junge-Welt-Interview sagt:
Aufgrund der Dummheit der Grünen, der anderen Politiker der Ampelkoalition, aber auch der sie unterstützenden CDU/CSU verlieren deutsche Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit. Wir schießen uns ins eigene Knie. Die USA lachen wahrscheinlich über uns, weil sie von den Sanktionen kaum betroffen sind, ihr Flüssiggas jetzt in höherem Umfang in Europa absetzen können und ihre Waffenindustrie riesige Geschäfte macht.
Oskar Lafontaine
Hier wird ein deutsches "Wir" konstruiert, dass von Arbeitern bis zur Kapitalistenklasse reicht und sich gegen die USA wehren soll. Das ist nur die Kehrseite des "Wir", das die Fraktion der Vaterlandsverteidiger konstruiert. Dagegen sollte man sich in der Tradition der Zimmerwalder Linken gegen die Bourgeoisien aller Länder stellen und für eine Kooperation mit den Lohnabhängigen unabhängig von ihrer nationalen Zuordnung eintreten.
Letztere hätten tatsächlich die Macht, den Krieg zu beenden, wie 1918 die Revolutionären Obleute in Berlin. Dabei haben auch in der aktuellen Kriegssituation Arbeiter aus Belarus, Italien und Griechenland durch Streiks Rüstungstransport zumindest verzögert.
Neuer Aufbruch der Friedensbewegung?
Wesentlich weniger als der Anti-Nato-Kongres beachtet wurde die dreistündige digitale Aktionskonferenz, auf der sich Aktive aus der ganzen Republik über die nächsten Schritte verständigen wollten. Auffällig war, dass dort vor allem jüngere Frauen eher optimistische Töne anstimmten, und davon sprachen, dass es möglich sei, den Aufrüstungskurs sogar noch im Bundestag zu stoppen.
Dass die Debatte um den Sonderhaushalt schon verschoben werden musste, weil sich die unterschiedlichen Fraktionen der herrschenden Klasse nicht einigen konnten, sehen sie als Indiz dafür. Sie plädierten für verbindliche Vereinbarungen, beispielsweise für eine Großdemonstration im Herbst in Berlin gegen die weitere Aufrüstung.
Widerspruch kam von älteren Friedensaktivisten, die vor der Hoffnung auf schnelle Erfolge warnten und für den berühmten langen Atem plädierten. Sie erinnerten daran, dass auch die Friedensbewegung der 1980er-Jahre trotz ihrer Breite zunächst eine Niederlage einfuhr, als die bekämpften Mittelstreckenraketen aufgestellt wurden.
Sie warnten auch vor der Festlegung auf Großaktionen und wollten mit dezentralen Aktionen zunächst die eigenen Reihen festigen. Einige Termine stehen aber schon fest, wie der langjährige Aktivst Willi van Ooyen gegenüber Telepolis betonte.
Engagement gegen den Krieg mit sozialer Frage verbinden?
Da geht es zunächst um die antimilitaristische Begleitung der parlamentarischen Debatte um die Aufrüstung. Die 2. und 3. Lesung des Bundeshaushalts und dem Einzelplan 14 werden in der Haushaltswoche vom 31. Mai bis zum 3. Juni 2022 stattfinden. In dieser Zeit könnten dezentrale Aktionen mit dem Schwerpunkt auf den 28. Mai und am 30. Mai in Berlin einen Kontrapunkt setzen.
Vom 19. bis 26. Juni 2022 ist eine Aktionswoche zur Schließung der Air-Base Ramstein geplant. Von dort werden noch immer Drohnenangriffe in verschiedenen Kriegsschauplätzen koordiniert. Auch auf Demonstrationen und Camps gegen das G7-Treffen in Elmau, die am 25.Juni in München geplant ist, wird der Kampf gegen Krieg und Militarismus eine wesentliche Rolle spielen.
Zudem sind noch weitere Aktionen von antimilitaristischen Gruppierungen, die nicht an der Aktionskonferenz beteiligt sind, wie die Aktionswoche gegen Rheinmetall in Kassel Ende August geplant. In diesen konkreten Aktionen besteht die Chance, das Engagement gegen Krieg und Militarismus mit der sozialen Frage zu verbinden.
Auf der Aktionskonferenz wurden zudem die hohe Inflation und die Folgen für die einkommensarmen Teile der Bevölkerung angesprochen. Eine linke Kampagne müsste den Zusammenhang verdeutlichen.
Die von Politikern aller Parteien propagierten Opfer der Bevölkerung für die Ukraine bestätigt nur, was der fortschrittliche Teil der Arbeiterbewegung schon vor mehr als 100 Jahren erkannte. Im Krieg steigen die Aktienkurse, während für die Mehrheit der Bevölkerung soziale Not, Verarmung und am Ende der Tod auf den verschiedenen Schlachtfeldern drohen. Genau das soll die nationalistische Ideologie der Vaterlandsverteidigung überdeckt werden.